Der Ausverkauf an den Börsen setzt sich fort

Das vom amerikanischen Präsidenten Donald Trump ausgelöste Börsenbeben geht weiter. Auch die Wall Street eröffnete die neue Handelswoche tief rot. Der Dow Jones Industrial Index wie auch der breiter gefasste S&P 500 eröffneten rund vier Prozent tiefer, erholten sich dann aber etwas. Zuvor hatten sich noch Hoffnungen breit gemacht, die Wucht des Ausverkaufs, der mittlerweile drei Handelstage anhält, könnte sich abschwächen, weil die US-Notenbank Fed möglicherweise den Leitzins senken wird.

Ähnliches hatte sich am Montagmorgen in Frankfurt abgespielt. Zu Handelsbeginn sackt der Leitindex Dax um zehn Prozent ab. Im Anschluss erholten sich die Kurse wieder etwas. Am Nachmittag stand noch ein Minus von knapp drei Prozent auf der Kurstafel des Frankfurter Handelssaals, der Dax stand bei knapp unter 20.000 Zählern. Mit Eröffnung des Handels in den USA wuchs das Minus aber wieder auf fünf Prozent an. Ähnlich ging es auch an anderen Börsen in Europa zu. Zuvor war in Asien schon von einem „schwarzen Montag“ die Rede.

An der Spitze der Verlierer stand im frühen Handel zunächst Rheinmetall mit einem Minus von rund 18 Prozent. Ausgerechnet Rheinmetall. Der Rüstungskonzern erwies sich in den vergangenen Wochen als die Kurslokomotive im deutschen Leitindex. Auch nach den Verlusten vom Montag – gegen Nachmittag noch rund drei Prozent –  ist das Papier  immer noch doppelt so viel wert wie zu Jahresbeginn. Dass es ausgerechnet Rheinmetall traf, gibt trotzdem Anlass zu Sorge. Dem Wechsel von einem Bullenmarkt (mit steigenden Kursen) in einen Bärenmarkt (mit fallenden Kursen) geht meistens ein Abverkauf der Aktien voraus, die zuvor besonders gut gelaufen sind. 

Unter Druck standen auch Bankaktien: Die Commerzbank verlor rund neun, die Deutsche Bank sieben Prozent. Die Gefahr einer bevorstehenden Rezession könnte die Kreditausfälle deutlich erhöhen. Hinzu kommen Aussichten auf sinkende Zinsen, die die Margen unter Druck bringen. Die Aktie des exportorientierten Industriekonzerns Siemens verlor am Vormittag acht Prozent, später waren es noch etwas mehr als vier Prozent.  Der Aktienkurs des Autokonzerns BMW fiel im frühen Handel dagegen „nur“ um etwas weniger als vier Prozent, bevor er sich auf ein Minus von 2,7 Prozent weiter erholte.

Ähnliches Bild in Europa

An den anderen Börsen in Europa sah es nicht besser aus, etwa in Paris: Der Leitindex CAC 40 sackte zum Handelsauftakt um knapp sieben Prozent ab. Der Kurs von Frankreichs Börsenlokomotive LVMH setzte seine rasante Talfahrt fort und fiel auf den niedrigsten Stand seit November 2020. Den Marktführer für Luxusgüter treffen die neuen Zölle schwer, da er jeden vierten Euro in den USA umsetzt, den weit überwiegenden Teil seiner Produkte aber in Europa herstellt. Innerhalb von nur einem Jahr hat LVMH inzwischen weit mehr als 150 Milliarden Euro Börsenwert verloren.

Der Aktienkurs des französischen Gucci-Mutterkonzerns Kering hat sich binnen Jahresfrist gar mehr als halbiert. Doch auch die Papiere aus anderen Sektoren wie der Rüstungsindustrie standen in Paris am Montag auf der Verkaufsliste. Die Kurse von Safran, Dassault Aviation, Airbus und Thales notierten am Montagvormittag allesamt zwischen sechs und zehn Prozent im Minus.

Auch in London brachen die Kurse ein, erholten sich dann aber etwas. Der britische Leitindex FTSE 100 verlor in der Spitze mehr als fünf Prozent, am Nachmittag lag er noch vier Prozent im Minus. Die Aktie des Energiekonzerns Shell verlor sechs Prozent. Der Pharmakonzern Astra-Zeneca, größter Wert im FTSE 100, gehörte mit mehr als fünf Prozent ebenfalls zu den Tagesverlierern, obwohl für Medikamente bislang noch eine temporäre Ausnahme von den US-Zöllen gelten soll. Rüstungs- und Luftfahrtunternehmen wie Babcock, Melrose Industries und Rolls-Royce büßten ebenso stark an Börsenwert ein. Die Verluste waren aber über alle Branchen weit gestreut.

Ökonomen haben ihre Wachstumsprognosen für die britische Volkswirtschaft wegen der US-Zölle und Chinas Reaktion nach unten revidiert. Obwohl Trump auf Waren aus Großbritannien „nur“ einen Zoll von zehn Prozent verlangt, halb so viel wie von EU-Ländern, trifft dies die international stark vernetzte Wirtschaft der Insel. Londons Regierung hatte bis zuletzt gehofft, von Trumps Zollhammer verschont zu werden. Goldman Sachs senkte wegen der Zolllast, die höher  als erwartet ausfiel, die Wachstumsprognose für Britannien von 0,8 Prozent auf 0,7 Prozent. Die Deutsche Bank hat ihre Prognose um 0,3 Punkte zurückgenommen, auf 0,6 Prozent in diesem Jahr.

Italien besonders betroffen

Der italienische Aktienmarkt hat seit den Zollankündigungen von Trump stärker an Wert verloren als die anderen größeren Indizes in Europa. Auch am Montag lagen die Verluste des Hauptindex FTSE-MIB in Mailand bis zum Nachmittag bei fast sechs Prozent, nachdem sie am Freitag schon mit einem Minus von 6,5 Prozent und am Donnerstag mit 3,6 Prozent aus dem Handel gegangen waren. Die schweren Einbußen gehen zum großen Teil darauf zurück, dass die konjunkturempfindlichen Banken in dem italienischen Index sehr schwer wiegen. Intesa Sanpaolo, Unicredit sowie MPS, BPER und Banco BPM wurden von den Verkaufswellen hart getroffen.

Von der Übernahmephantasie wegen inneritalienischer Konsolidierungsbemühungen, die in den vergangenen Monaten noch die Kurse beflügelte, ist nichts mehr geblieben. Stattdessen macht sich bemerkbar, dass Italien nach Deutschland der größte USA-Exporteur der Europäischen Union ist. Börsenschwergewichte wie die Energiekonzerne Enel und ENI verfolgen umfangreiche Geschäftsfelder auf der anderen Seite des Atlantiks. Das gilt auch für Ferrari, das mit 72 Milliarden Euro am höchsten bewertete Unternehmen Italiens, das seit Donnerstag acht Prozent an Wert verloren hat. 

Selbst der Rüstungslieferant Leonardo, vor Kurzem noch ein Börsenliebling, ist mit Kurseinbrüchen konfrontiert. Besonders hart getroffen sind die stahlnahen Branchen. Das Unternehmen Tenaris, das Stahlrohre für die Öl- und Gasindus­trie liefert und mehr als die Hälfte seines Umsatzes in den USA macht, büßte seit Ende März gut ein Viertel seines Wertes ein. 
Der Anbieter Saipem, der für die gleiche Branche Förderanlagen entwirft, verlor in einer Woche ein Fünftel seines Kurses. Auch der Autohersteller Stellantis, Muttergesellschaft von Opel, rangiert in diesem Ausmaß im Minus. Er hat schon angefangen, Fabriken in Kanada und Mexiko herunterzufahren. Autozulieferer wie Pirelli und Brembo können sich dem Verkaufsdruck ebenfalls nicht entziehen.

Die Analysten von Unicredit wollen an den „Trump trade“ nicht mehr glauben, der vor einiger Zeit noch davon ausging, dass Aktien und der Dollar von einer unternehmensfreundlichen Politik Trumps profitieren würden. In Zukunft würden stattdessen die „Auge-um-Auge“-Zölle die wirtschaftliche Unsicherheit und damit die Volatilität der Märkte erhöhen. 

„Schwarzer Montag“ in Asien

An den Börsen in Asien war derweil schon von einem „schwarzen Montag“ die Rede. Am Montag büßten an der Börse besonders stark Tech- und Konsumwerte ein. Die Digitalkonzern Alibaba und der Elektronikriese Xiaomi verloren rund 15 Prozent, das Internetunternehmen Tencent büßte elf Prozent ein. Besonders stark waren auch Zulieferer des Apple-Konzerns betroffen. Japans Elektronikunternehmen Nintendo und Sony büßten mehr als zehn Prozent ein, auch TSMC, der größte Halbleiterproduzent der Welt, verlor in Taiwan zehn Prozent und stieß damit an das Tageslimit.

Vereinzelt gab es indes auch Profiteure. Die Preise von Sojabohnen und Mais legten an den Börsen in China um bis zu drei Prozent zu. China hatte in seiner Reaktion auch Agrarunternehmen ins Visier genommen. Auch in Südkorea und Japan gingen die Kurse am Montag um rund fünf Prozent und sechs Prozent an den Börsen nach unten.

JP-Morgan-Chef Jamie Dimon warnt Anleger unterdessen vor den Auswirkungen der US-Zölle und eines globalen Handelskriegs. Die Turbulenzen könnten das Wachstum der weltgrößten Volkswirtschaft bremsen, die Inflation anheizen und möglicherweise zu dauerhaften negativen Folgen führen, schrieb Dimon in seinem  jährlichen Brief an die Aktionäre. Ob die neuen Zölle eine Rezession auslösen werden, sei zwar noch offen, doch „es wird das Wachstum verlangsamen“, schrieb Dimon. 

Archibald Preuschat, Frankfurt, Nikolas Zaboji, Paris, Philip Pliclert, London, Christan Schubert, Rom, Gustav Theile, Schanghai, Hendrik Ankenbrand, Singapur

Source: faz.net