Zum Wandern im Chianti ist jetzt eine gute Zeit

Die Gegend, aus der der Chianti kommt, zählt zu den schönsten Landstrichen Italiens: unverbaut, etwas hügelig, bestückt mit Weinhängen, Olivenhainen und malerischen Dörfern. Ein perfektes Revier zum Wandern, wie unsere Autorin auf ihrer Tour von Florenz nach Siena fand.

Es ist nicht ganz einfach, in Florenz für Aufsehen zu sorgen – die Konkurrenz aus Michelangelo-Statuen, schönen Italienerinnen und exzentrisch gekleideten Japanern ist stark. Doch es gibt eine Möglichkeit: Man stellt sich mit klobigen Wanderschuhen, Funktionskleidung und großem Rucksack auf den Ponte Vecchio, eine der größten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Wie die Leute da gucken! Wie sie überlegen! Wo kommt denn diese Exotin her? Und wo will sie hin? Doch nicht etwa in die Uffizien in diesem Wanderaufzug? Oder zu Ferragamo? Oder am Ende bis nach Rom?

Leider fragt dann doch keiner nach. Also heißt es, einen letzten Blick auf den Fluss zu werfen, die Teleskop-Stöcke in die Hand zu nehmen und über die Brücke zum Oltrarno-Ufer zu traben. Es sind die ersten Schritte auf dem Weg von Florenz nach Siena, einmal der Länge nach durch das Chianti, das Hügelland zwischen den beiden Städten. Florenz und Siena liegen nicht sehr weit auseinander, 78 Kilometer sind es auf der Chiantigiana, der historischen Verbindungsstraße. Mit dem Auto dauert das keine Stunde. Zu Fuß plant man besser mal vier Tage ein.

Vom Chianti als Wandergebiet hört man wenig, auch wenn es theoretisch beste Voraussetzungen mitbringt: Es ist grün, dünn besiedelt, lebt von Wein und Oliven statt von Industrie und wölbt sich zu nicht allzu steilen Hügelketten. Zwar gibt es kaum markierte Wanderwege, dafür aber jede Menge dieser typischen toskanischen Schottersträßchen, auf denen normalerweise nur wenige Autos unterwegs sind und die sich daher gut für Fußgänger eignen.

Das Wegenetz im Chianti ist uralt und hat sich über die Jahrhunderte hinweg kaum verändert, vor allem weil sich die Geografie mit ihren Städtchen, Burgen, Landgütern insgesamt wenig verändert hat. Einige der alten Pfade und Karrenwege wurden natürlich asphaltiert, doch es sind immer noch genug kleine Schotterstraßen und Feldwege für Wanderfreunde übrig.

In Florenz startet die Tour nach Siena

Planen lässt sich die Tour gut mit Wanderkarte und Google Maps und in gemütliche Tagesetappen aufteilen, die zwischen 16 und 25 Kilometer lang sind. Doch erst einmal heißt es: raus aus Florenz. Eine schmale Gasse führt gleich hinter dem Ponte Vecchio in die Hügel von Florenz. Es ist eine Gasse, die wirkt, als hätte sie sich seit den Zeiten von Medici-Fürst Lorenzo il Magnifico nicht im Geringsten verändert.

Steil und still schlängelt sie sich erst als Costa San Giorgio und dann als Via Leonardo zwischen hohen Altbauten und Parkmauern hindurch, vorbei an Renaissance-Villen und einer romanischen Kirche, bis man sich unversehens mitten auf dem Land wiederfindet, in einem Weiler mit gackernden Hühnern und ohne auch nur einen Meter hässlicher Peripherie berührt zu haben.

Die 400.000-Einwohner-Stadt Florenz liegt unsichtbar irgendwo tief unten; dafür rückt die Certosa von Galluzzo ins Bild, ein ehemaliges Kloster, das auf einem Hügel sitzt wie die Märchenburg in einem Fantasyfilm. Unter der summenden Autostrada del Sole hindurch geht es nach Impruneta, wo seit Etruskerzeiten Terrakotta gebrannt wird, neuerdings auch zu Briefkästen und Hausnummern.

Im Nachbardorf Ferrone hat die „Bar Alimentari Faggi“ offen, ein altmodischer Gemischtwarenladen mit Getränkeausschank. Der Inhaber säbelt dicke Scheiben vom ungesalzenen toskanischen Weißbrot ab. „Ein bisschen Sbriciolona dazu?“, fragt er und schwenkt eine weiche Fenchelsalami vom Durchmesser einer durchtrainierten Wandererwade. Draußen vor der Ladentür stehen ein paar Tischchen, der Inhaber serviert Rotwein zum Panino. Das ist zwar kein isotonisches Wandergetränk, passt dafür aber viel besser in eine der berühmtesten Weinbauregionen der Welt.

Wandern durch Weinberge und lichte Wälder

Die ersten ernsthaften Weinberge tauchen allerdings erst kurz vor dem Straßendorf Chiocchio auf, dem heutigen Tagesziel. Links und rechts der Wanderstrecke ziehen sich Rebstöcke über die Hänge; prall und mattblau hängen die Trauben im leuchtenden Laub. Sangiovese vermutlich – der stellt im Gebiet des Chianti Classico den Löwenanteil dar.

Ein paar Wachteln watscheln zwischen den Rebstöcken herum, sonst herrscht wenig Betrieb auf dem Sträßchen. Doch dann staubt einer dieser schwarzen Vans mit verdunkelten Scheiben vorbei, die in der Toskana wohlhabende Reisende zu Outlets und Weinverkostungen fahren. Mit großen Augen gucken die Insassen aus dem Fenster, scheinen sich zu fragen: Wandern kann man hier auch? Sie sehen fast ein wenig neidisch aus.

Tatsächlich bestehen nur zehn Prozent der Chianti-Region aus Weinbergen. Der Rest dürften Bäume sein. Doch die ergeben keine finsteren Forste wie bei uns, sondern heitere Wälder, in denen Kastanien und Steineichen im Sonnenlicht flirren, sich zu Olivenhainen öffnen, in Zypressenalleen auslaufen oder vor kleinen Orten wie Santo Stefano enden, einem alten Weingut mit eigener Kapelle. Ein herbstlicher Wiesenblumenstrauß steht auf dem Altar. Ein blaues Ape-Dreirad knattert vorbei, mit ans Fahrerhaus geschnalltem Besen und fröhlich winkendem Landwirt am Steuer. „Buongiorno“, ruft er.

Tag zwei ist Hochleistungstag. Es geht von Chiocchio nach Panzano, doch nicht direttissimo, sondern in einer langen Schleife über Badia a Passignano mit seiner geheimnisvoll von dunklen Zypressen umstandenen Abtei. Macht 24 Kilometer und 1000 Höhenmeter. Da können in Greve, dem geschäftigen Städtchen mit seiner Arkadenpiazza, die Weinbars ihre Tische noch so verlockend in die Sonne stellen – keine Zeit!

Man kann sich aber in der Bäckerei Schiacciata all’uva einpacken lassen, frischen Hefekuchen, dick bestreut mit roten Weinbeeren und Zucker. Das Gebäck schmeckt später vorzüglich unter einem Olivenbaum mit Blick auf das Castello von Verrazzano, eine Burg mit mittelalterlichem Zinnenturm. Dort wurde Verrazzano geboren, der große Seefahrer und Entdecker der New York Bay. Ob es das Hügelmeer rund um Greve war, das den Mann zu seinen Expeditionen über die Ozeane inspiriert hat?

Später in Panzano geht es erst einmal zum Einkaufen. Blasenpflaster aus der Apotheke und aus dem Gemüseladen die langen Blätter vom Cavolo nero, aus denen die Toskaner Suppe kochen, die man aber auch um ein Knie wickeln kann, das nach dem langen Abstieg nach Badia a Passignano doch etwas schmerzt. Ein altes Hausmittel, das Wunder wirken soll. Und das tatsächlich wirkt.

Der Abschied vom Chianti fällt schwer

Etappe Nummer drei ins Weinstädtchen Castellina in Chianti steht deshalb nichts im Wege. Auf dem Weg zeigt sich besonders deutlich, wie wenig sich das Chianti in den letzten Jahrhunderten verändert hat. Was hätte man nicht alles hinbauen können in diese sorgsam kultivierte Natur! Doch von ein paar Reihenhaussiedlungen abgesehen, haben es die Menschen bei ihren romanischen Kirchtürmen belassen, bei den kleinen und kompakten Dörfern, den blassen Staubstraßen, alles überaus ästhetisch im Land verteilt.

Über das Flüsschen Pesa geht es bald auf schmalen Holzstegen. Ein paar Kilometer weiter weckt im winzigen Dorf Piazza das verlassene Pfarrhaus mitsamt seinem dornröschenhaft zugewachsenen Garten größte Lust, gleich einzuziehen.

Die Schlussetappe von Castellina nach Siena beginnt mit Gewehrfeuer im Zypressenwald bei Fonteruotoli. Wahrscheinlich musste mal wieder ein Wildschwein dran glauben – irgendwo müssen die Zutaten für den Toskana-Klassiker Pappardelle mit Wildschweinragout ja herkommen. Die Schüsse passen auch sonst ins Bild, denn die Gegend hier ist historisches Grenzgebiet.

Ganz in der Nähe verlief ab dem 13. Jahrhundert die Grenze zwischen Florenz und Siena, den sich ewig befehdenden Republiken. Ohne diese Feindseligkeiten wäre das Chianti heute nur halb so schön, denn ob Brolio, Volpaia, Lamole oder eben Fonteruotoli – all die romantischen Castelli, in denen sie heute so großartigen Wein machen, wurden damals von Florentiner Adelsfamilien errichtet, um das Land zu sichern.

Siena kann man jetzt immerhin schon in der Ferne liegen sehen, lang hingestreckt auf seinem Hügelrücken und schemenhaft überragt vom breiten Vulkangipfel des Monte Amiata. In immer flacheren Wellen rollt das Chianti allmählich aus; Weinberge und Olivenhaine leuchten im warmen Herbstlicht. Auch die Certosa von Pontignano glüht im sattgoldenen Glanz der Nachmittagssonne.

Das ehemalige Kartäuserkloster aus dem 13. Jahrhundert gehört heute zur Universität von Siena. Und ist ein Traum mit seinen stillen Kreuzgängen, der Klosterkirche, deren Deckenfresken ganz schwindelig machen, und dem kleinen Barockgarten voller Glyzinien und Zitronenbäume. Schöner kann die Toskana nicht werden.

Aber auch hier ist die Toskana reizvoll:

Siena, das Tages- und Gesamtziel, läge gleich auf der anderen Seite der Gartenmauer. Nur noch zwei Kilometer wären es hinunter nach Ponte a Bozzone, wo der Bus in die Altstadt fährt – die nördliche Peripherie von Siena ist nicht sehr fußgängerfreundlich. Doch nach vier Tagen Wandern durch grün-silbrige, stille Hügel ist allein schon der Gedanke an Linienbusse, an Verkehr, an Gedränge schwer zu ertragen.

Lieber noch ein wenig verweilen im Chianti, in seiner makellosen Schönheit, in dieser perfekten Symphonie aus Natur und Menschenwerk. In der Certosa, stellt sich heraus, vermieten sie auch Zimmer. Und morgen ist auch noch ein Tag.

Tipps und Informationen:

Anreise: Mit dem Flugzeug oder per Zug nach Florenz (von München aus kommt man mit Umsteigen in Bologna oder Verona hin). Für die Wanderung von Florenz durch das Chianti nach Siena sollte man vier Tage einplanen und verkehrsarme Sträßchen wählen, auf denen es sich wunderbar läuft.

Unterkunft: „Locando il Gallo“ in Chiocchio, im ersten Stock liegen die gemütlichen Zimmer; unten im Restaurant tischt der Besitzer höchstpersönlich toskanische Gerichte wie Risotto mit gekochtem Most auf, Doppelzimmer mit Frühstück ab 94 Euro (zwei Nächte Mindestaufenthalt), locandailgallo.com. „Rosso del Chianti“ in Panzano, hübsche Zimmer in einer Villa gleich hinter dem Ortszentrum, zum üppigen Frühstück im Salon sitzen alle Gäste um den großen Esstisch, Doppelzimmer mit Frühstück ab 100 Euro, rossodelchianti.com. „Certosa di Pontignano“, am schönsten sind die Zimmer im ersten Stock mit Blick über den Barockgarten bis nach Siena, Doppelzimmer mit Frühstück ab 75 Euro, lacertosadipontignano.com.

Wander-Veranstalter: Wer nicht auf eigene Faust wandern möchte, kann sich zum Beispiel wenden an Christoph Hennig, hervorragender Italienkenner und Wanderexperte, er organisiert individuelle, siebentägige Wanderungen von Florenz und Siena mit Gepäcktransport und Übernachtungen, ab 695 Euro pro Person (italienwandern.com). Wanderurlaub in den Hügeln der Toskana hat ASI Reisen im Programm, acht Tage ab 941 Euro (asi-reisen.de); Veranstalter Eurohike bietet eine achttägige Wandertour von Florenz durch das Chianti ans Meer an, ab 969 Euro pro Person (eurohike.at).

Weitere Auskünfte: visitchianti.net; visittuscany.com/de/gebiete/chiantigebiet/

Source: welt.de