Im Wahlkampf versprechen die Parteien finanzielle Wohltaten: Die Zumutungen kommen jetzt schon

Exakt 49 Wochen sind es bis zur Bundestagswahl am 28. September 2025, da kann noch viel passieren. Aber so wie es heute aussieht, stellen sich die aussichtsreichen Parteien schon auf ein Großthema ein, das zuletzt in Zeiten von Kultur- und Identitätskämpfen fast schon abgemeldet schien: auf einen Wahlkampf um Wirtschafts- und Finanzthemen, um einen Aufschwung für die Unternehmen und für den Geldbeutel der Bürger. Doch so einfach ist es nicht.

Natürlich soll alles besser werden, keinesfalls schlechter. So sieht es Kanzler Olaf Scholz, sein SPD-Vorstand beschloss zuletzt ein Strategiepapier fürs Wahljahr, das für die breite Mehrheit geringere Steuern verspricht (und höhere Sätze für das oberste eine Prozent). So sieht es CDU-Herausforderer Friedrich Merz, der Zumutungen im Wahlprogramm schon vorsorglich abgeblockt hat, von einem späteren Renteneintritt bis zu einem höheren Spitzensteuersatz. Und so sieht es auch Robert Habeck, der demnächst zu designierende Kanzlerkandidat der Grünen, der in der Manier eines argentinischen Radikalliberalen mit der Kettensäge das Bürokratiedickicht lichten will – und schon nach dem Heizungsstreit des vorigen Jahres signalisiert hat, dass es mit Transformationszumutungen für die Bürger erst einmal gut sein solle.

Die Zumutungen kommen jetzt schon

Das Problem ist nur, für die aktuellen wie für künftige Regierungsparteien: Ebenjene Zumutungen, die sie tunlichst vermeiden wollen, kommen jetzt schon auf die Leute zu und nach der Wahl vermutlich noch mehr. Spüren werden das vor allem die Beschäftigten und Arbeitgeber, und zwar schon in zehn Wochen, pünktlich zum Beginn des Wahljahres am 1. Januar. Dann werden die Beiträge zur Sozialversicherung kräftig steigen, um bis zu 1,2 Prozent, davon die Hälfte zulasten der Arbeitnehmer. Der größte Teil entfällt auf die Krankenkassen, die ihre Zusatzbeiträge im Schnitt um 0,8 Punkte erhöhen werden, wie der zuständige Schätzerkreis voraussagt. Um das Defizit in den Pflegekassen zu decken, sind wohl 0,3 Punkte nötig. Und selbst die Rentenbeiträge, die eigentlich stabil bleiben sollten, müssen womöglich um 0,1 Punkte steigen.

Und weil die Löhne zuletzt nominal stark gestiegen sind, steigen nach dem bisherigen Rechenmodus auch die Einkommensgrenzen, bis zu denen diese Beiträge prozentual zu entrichten sind: in der Kranken- und Pflegeversicherung von 5175 auf 5512,50 Euro im Monat, in der Rentenversicherung von 7550 Euro im Westen und 7450 Euro im Osten auf einheitlich 8050 Euro. Das macht für alle, die mit ihrem Gehalt oberhalb dieser Summen liegen, noch mal deutlich größere Abzüge aus als die prozentuale Beitragserhöhung. Im Gegenzug soll allerdings der Einkommensteuertarif an die Inflation angepasst werden, damit die Leute nicht höhere Steuern auf Einkünfte zahlen müssen, die real gar nicht gestiegen sind.

Die F.A.S. hat die Auswirkungen all der möglichen Beitragsanhebungen überschlagen – und es läuft insgesamt auf eine Mehrbelastung hinaus. Wer zum Beispiel 4000 Euro im Monat verdient, zahlt im kommenden Jahr rund 190 Euro mehr an die Krankenversicherung, zudem wahrscheinlich rund 70 Euro mehr an die Pflegeversicherung und auch noch 24 Euro mehr für die Rente. So summiert sich die Mehrbelastung auf rund 280 Euro. Menschen mit höheren Einkommen zahlen deutlich mehr, bei einem Gehalt von 10.000 Euro monatlich steht wahrscheinlich eine jährliche Mehrbelastung von mehr als 1500 Euro ins Haus.

Auf der anderen Seite steht eben die Anpassung der Einkommensteuer an die Inflation, das nimmt von der Belastung etwas weg. Die F.A.S. hat die Schätzungen von Frank Hechtner von der Universität Erlangen-Nürnberg gegen die Beitragserhöhungen gestellt. Eine tatsächliche Entlastung bleibt bei Singles nur für Leute mit einem Bruttoeinkommen von 2000 Euro, sie sparen sich rund drei Euro im Monat. Ein Single mit 6000 Euro Monatseinkommen führt im nächsten Jahr mehr als 300 Euro zusätzlich an den Staat ab. Ist er oder sie verheiratet mit zwei Kindern und der Zweitverdiener bringt 3000 Euro mit nach Hause, dann reduziert sich die Belastung auf 25 Euro.

Weil aber der Vorwahlkampf schon begonnen hat, ist das alles noch nicht endgültig beschlossen. Die Grünen blockierten zuletzt den günstigeren Steuertarif, im Gegenzug wollte die FDP den höheren Bemessungsgrenzen für die Sozialbeiträge nicht zustimmen.

Hin und Her auch bei der CDU

Von Hin und Her ist allerdings auch bei der CDU der Weg zum künftigen Wahlprogramm bestimmt. „Es wird auch im Regierungsprogramm stehen müssen, dass wir die Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung anpassen“, hatte im Sommer etwa die Chefin des Wirtschaftsflügels verkündet – ein Junktim, das Merz nach Protesten des Sozialflügels sofort einkassierte. Und auch das Steuerkonzept der SPD, die arbeitende Mitte zu entlasten und im Gegenzug den Spitzensteuersatz moderat zu erhöhen, sollte dem Kanzlerkandidaten der Union eigentlich bekannt vorkommen: Er hat den Vorschlag vor gut einem Jahr selbst gemacht.

„Schon Leute, die nur ein bisschen mehr verdienen als der Durchschnitt, erfahren eine enorme Belastung durch Abgaben und Steuern“, sagte er damals der F.A.S. „Wir müssen die Belastungskurve abflachen, denn Leistung muss sich lohnen. Ob der Spitzensteuersatz dann bei 42 oder 45 Prozent liegt, ist nicht entscheidend.“ Nach starkem Widerstand aus den eigenen Reihen ließ er die Idee wieder fallen, die einst schon der langjährige CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble hegte. Heute sagt Merz im Fernsehen, er sei über den Vorschlag der SPD „schockiert“.

Dass aus dem Plan nie etwas wurde, liegt allerdings nicht nur an Vorbehalten gegenüber dem höheren Spitzensteuersatz. Das Konzept ist auch ziemlich teuer. Geringere Steuern für die breite Masse sind durch höhere Sätze für ein paar wenige nicht zu bezahlen, zumal auch sie mit dem unteren Teil ihres Einkommens vom günstigeren Tarif profitieren. Von Einnahmeausfällen in zweistelliger Milliardenhöhe war seinerzeit die Rede, das hätte schon in den finanziell glücklichen Zehnerjahren zu beträchtlichen Verteilungskämpfen geführt. Angesichts der Mühen, mit denen die derzeit noch amtierende Ampelkoalition gerade ihren Haushalt zusammenzimmert, erscheint das erst recht illusorisch.

Hinzu kommt: Jede neue Regierung, in welcher Kombination auch immer, wird vom kommenden Herbst an mit gewaltigen Haushaltsnöten zu kämpfen haben. Die Finanzplanung, die das Ampelbündnis hinterlässt, operiert überall mit optimistischen Annahmen. Und noch in der nächsten Wahlperiode ist die Frage zu beantworten, wie eigentlich nach dem Ende der Bundeswehr-Sonderkredite die Verteidigungsausgaben zu bezahlen sind.

Wenig Vertrauen in die Versprechen

Entsprechend gering ist in der Bevölkerung das Zutrauen, dass großspurige Entlastungsversprechen hinterher auch Wirklichkeit werden. „Jede Form von Steuererhöhung, egal für welche Gruppe, schreckt die Leute ab“, sagt der Meinungsforscher Manfred Güllner, Chef des Berliner Forsa-Instituts. „Umgekehrt fehlt ihnen der Glaube, dass sie von Steuersenkungen wirklich profitieren. Dazu verstehen die meisten auch viel zu wenig davon.“ Andere Demoskopen sehen das Thema jedenfalls nicht an der Spitze der Besorgnisse, im Gegensatz etwa zu sicheren Renten, weniger Bürokratie oder einer stärkeren Wirtschaft.

Gerade für einen Kandidaten wie Merz, in dem manche schon den künftigen Kanzler sehen, ist deshalb vor allem eines wichtig: die Leute nicht allzu sehr zu verunsichern. Als abschreckendes Beispiel dient die Kampagne, mit der Angela Merkel im fernen Jahr 2005 ihren schon sicher geglaubten Wahlsieg fast noch verspielte – weil die Konzepte von Einfach-Steuer und fixen Sozialbeiträgen den Eindruck erweckten, als sollten vor allem die Durchschnittsverdiener für die Kosten der damaligen Krise aufkommen. In wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen ist der CDU-Kandidat gerade dabei, sich eher links von seiner damaligen Kontrahentin zu positionieren.

Zu den Zumutungen, die Merkel damals für ihre Wähler bereithielt, zählte auch eine um zwei Prozentpunkte höhere Mehrwertsteuer. Die SPD attackierte den geplanten Aufschlag im Wahlkampf so hart wie heute die CDU umgekehrt die Steuerpläne der Sozialdemokraten. Als beide Parteien nach der Wahl koalierten, einigten sie sich nicht etwa in der Mitte. Nein, die SPD mit ihrem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück stimmte sogar einer um drei Punkte höheren Steuer zu, um die Haushaltslücken zu füllen. Vor allem aus der FDP wird derzeit gerne der Verdacht gestreut, Merz werde es nach einer gewonnenen Wahl genauso machen.

Dabei war es ausgerechnet die FDP, die 2009 mit der Aussicht auf eine große Steuerreform ihr historisch bestes Wahlergebnis erzielte – und dann von Merkel und Schäuble ausgebremst wurde, erst recht nach Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise im Jahr darauf. Das hinderte Merkel nicht daran, spätere Wahlkämpfe wiederum selbst mit dem Steuerthema zu bestreiten.

er Coup mit der Mehrwertsteuer war allerdings nicht die größte Überraschung, die nach einer Wahl aufs Publikum wartete. Schon im Jahr 2002 hatte der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder einen Wahlkampf geführt, der die Finanznöte von Staat und Sozialkassen weitgehend ausklammerte. Das konnte er sich auch deshalb leisten, weil ähnlich wie heute im Fall von Scholz kaum noch jemand damit rechnete, dass er die Wahl gewinnen könne und das Haushaltsproblem lösen müsse.

Es dauerte nach der überraschenden Wiederwahl aber nicht lange, bis Schröder eine Art Zeitenwende verkündete. „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen“, erklärte er am 14. März 2003 im Bundestag. Das war die „Agenda-Rede“, und Schröder wurde zunächst für seinen Mut bewundert, die Opposition für ihren kleinlichen Wahlkampflügen-Untersuchungsausschuss belächelt. Die Macht kostete den Sozialdemokraten dann weniger seine überraschende Kehrtwende als der Widerstand aus der eigenen Partei – und vor allem der Entschluss, vorgezogene Neuwahlen vom Zaun zu brechen. In der aktuellen Lage bietet all das reiches Anschauungsmaterial.