Viertagewoche: Ein Modell zu Gunsten von die Gesamtwirtschaft? Es gibt gleichermaßen Zweifel
Wenn Martin Kübel davon erzählt, wie er und seine Mitarbeiter die erste Jahreshälfte erlebt haben, dann fallen starke Worte. „Das Team wurde beflügelt – an Inspiration, an Ideen“, schwärmt der Inhaber und Geschäftsführer der kleinen Mannheimer Unternehmensberatung CML. Vom 1. Februar dieses Jahres an waren Kübel und seine 25 Kopf große Belegschaft eine von 41 Organisationen in Deutschland, die an einem Modellversuch zur Viertagewoche teilgenommen haben. Dieser dauerte ein halbes Jahr.
Es ist ein Sehnsuchtsthema: Drei Tage Wochenende, vier Tage arbeiten, gleiches Gehalt. Kann das gut gehen? An diesem Freitag zog die Wirtschaftsprofessorin Julia Backmann von der Universität Münster, die das Projekt wissenschaftlich begleitet hat, Bilanz.
Das Fazit fällt gemischt aus. Anders als in vergleichbaren Versuchen in anderen Ländern zeigte sich kein signifikanter Effekt der geringeren Arbeitszeit auf die Zahl der monatlichen Krankheitstage in den Unternehmen. Die Viertagewoche verbesserte auch nicht das umweltbewusste Verhalten der Teilnehmer. Das könnte man zunächst vermuten, weil die Beteiligten seltener zum Arbeitsort pendeln müssen. Verbessert haben sich im Vergleich zur Kontrollgruppe die mentale und körperliche Gesundheit, was mithilfe von Fitnesstrackern und Stresshormon-Messungen aus Haarproben ermittelt wurde.
Während die Haarproben noch nicht komplett ausgewertet sind, zeigten die Fitnesstracker, dass die Beteiligten der Viertagewoche aktiver waren, täglich mehr Schritte liefen, länger schliefen und weniger Stressminuten erlebten als die Kontrollgruppe. Befragungen ergaben zudem: „Die Viertagewoche führte zu einer signifikant positiven Veränderung der Lebenszufriedenheit, die sich hauptsächlich durch die zusätzliche Freizeit ergab“, sagte Backmann am Freitag vor Journalisten in Düsseldorf.
Weniger Arbeitsstunden, dieselbe Produktivität: Funktioniert das?
Der Versuch war nicht der erste seiner Art, ähnliche Experimente gab es etwa schon in den USA, in Portugal und Großbritannien. Wie in vielen anderen Ländern stand auch in Deutschland die Organisation „4 Day Week Global“ hinter dem Projekt, hierzulande außerdem noch die Berliner Agentur „Intraprenör“, die Unternehmen zum Thema Arbeitgeberattraktivität berät und insofern am Thema auch ein Eigeninteresse hat.
In Deutschland testeten die teilnehmenden Unternehmen die Viertagewoche bei gleichbleibendem Gehalt und auf 80 Prozent reduzierter Stundenzahl, aber mit dem Ziel, die Produktivität von 100 Prozent Arbeitszeit zu erreichen. Es wurde mit Kontrollgruppen gearbeitet, die im jeweils gleichen Unternehmen das althergebrachte Arbeitszeitmodell beibehielten.
Ähnlich wie im Ausland selektierten sich die teilnehmenden Unternehmen selbst in die Studie hinein – man konnte sich aktiv bewerben. Das legt den Schluss nahe, dass vor allem diejenigen bei dem Projekt mitmachten, die einer Viertagewoche ohnehin aufgeschlossen gegenüberstehen.
Die Produktivität wurde über Unternehmenskennzahlen wie Umsatz und Gewinn erfasst, aber auch über Befragungen. Meist arbeitete nur ein Bruchteil der Belegschaft im Viertagemodell. Das vorausgeschickt, unterschieden sich die in der Studie abgefragten Leistungskennzahlen nicht signifikant von denen des Vorjahres.
Ein Unternehmensberater zieht positives Fazit
Unternehmensberater Martin Kübel hatte von Anfang an große Lust auf eine Teilnahme am Projekt. Einer der Gründe war, dass er unter jungen Menschen großes Interesse an der Viertagewoche festgestellt hatte und im Wettbewerb um die besten Talente attraktiv sein möchte, wie er sagt. Er beschreibt aber auch, dass er selbst zunächst skeptisch hinsichtlich des Erfolgs gewesen sei. Mit seinen 53 Jahren zähle er eher zur Generation „Schaffe, schaffe, Häuslebaue“. Zudem sei die Beratung eine Branche, in der lange Arbeitszeiten üblich sind und lange Zeit sogar als schick galten, sagt er. Zum Ende des Modellversuchs zeigt sich Kübel überzeugt. Er habe „Pipi in den Augen gehabt“, als eine Mitarbeiterin ihm berichtete, dass sie sich zum ersten Mal richtig auf ihren Urlaub freue, weil der von Tag eins an beginnen werde und sie nicht erst noch mehrere Tage zum „Runterkommen“ brauche.
Kübels Unternehmensberatung ist eher ein kleiner Akteur mit rund 1,9 Millionen Euro Jahresumsatz. Er und sein Team beraten Wirtschaftsunternehmen, Hochschulen, Verwaltungen und Kliniken in Transformationsprozessen. Was Effizienz bedeutet, weiß er sehr gut. Dennoch sei er während des Viertagewochenprojekts überrascht gewesen, dass sich noch Effizienzpotentiale im eigenen Betrieb heben ließen, etwa indem das Team überflüssige Meetings abschaffte oder für einzelne Teilnehmer verkürzte. Wertvoll seien solche Erfahrungen für sein Unternehmen nicht zuletzt auch mit Blick auf seine Kunden, von denen er glaubt, sie künftig noch kompetenter zu arbeitsorganisatorischen Themen beraten zu können.
Auch in der Gesamtstudie zeigte sich, dass die teilnehmenden Teams sich oft anders organisierten, um in weniger Zeit möglichst gleich viel Arbeit zu schaffen. Mehr als 60 Prozent nannten die Reduzierung von Ablenkungen und die Optimierung von Prozessen als gute Methoden. Gut die Hälfte der Teilnehmer verringerte – wie Martin Kübels Beratungsfirma – die Häufigkeit von internen Besprechungen. Ein Viertel der Befragten führte neue digitale Werkzeuge ein.
„Nicht repräsentativ für die deutsche Wirtschaft“
Solche Prozess-Neuerungen sind einer von mehreren Gründen, warum der Arbeitsmarktfachmann Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg (IAB) zu bedenken gibt, dass die Studienergebnisse nicht auf die Gesamtwirtschaft übertragbar sind – auch wenn er den Modellversuch insgesamt für „sehr interessant“ und „verdienstvoll“ hält. „Die Effekte, die sich in solchen Studien zeigen, kommen nicht nur durch die Arbeitszeitreduktion selbst, sondern jeweils durch ein Maßnahmenpaket zustande“, sagt er. Insofern hänge die Arbeitszeitverkürzung nicht unbedingt kausal mit einer möglichen Effizienzsteigerung zusammen.
Deutlich kritischer kommentiert der Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) Steffen Kampeter das Projekt: „Die Studie basiert auf einer kleinen Zahl von Unternehmen und ist zudem nicht repräsentativ für die deutsche Wirtschaft.“ Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stünden, hätten sich bewusst gegen eine Teilnahme an dem Versuch entschieden, berichtet er mit Blick auf die Mitglieder seiner Vereinigung. „Sie wissen, dass es Produktivitätsreserven in diesen Größen nicht gibt.“ Letztlich komme eine Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich nur einer „massiven Lohnsteigerung“ gleich. Kampeter pläderte stattdessen für mehr Flexibilisierung und für die Abschaffung der Tageshöchstarbeitszeit zugunsten einer Wochenhöchstarbeitszeit.
Arbeitsmarktfachmann Weber merkt zudem an, dass die Studie nicht kläre, wie es mittelfristig mit den Teilnehmern weitergeht. „Vielleicht gibt es erst sehr viel später einen Kreativitätsabfall im Unternehmen oder die Verdichtung der Arbeit führt doch irgendwann zu Stress, wenn sie nicht nur temporär ist.“ Solche Effekte hätten sich beispielsweise in der Coronazeit gezeigt, als die Arbeitsweltveränderungen kurzfristig gut verkraftbar waren, längerfristig jedoch nicht unbedingt.
Weber weist zudem auf die geringen Fallzahlen der Studie hin. „Wenn 41 Unternehmen weniger erwirtschaften, entsteht kein gesamtwirtschaftlicher Nachfrageeffekt“, sagt der Forscher. Denke man das Experiment weiter und würde man alle Vollzeitbeschäftigten in Deutschland auf eine Viertagewoche setzen, würde das 15 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Stundenkapazität in Deutschland kosten, sagt er. „Da müsste man schon die Produktivität extrem steigern, um keine Einbußen bei der Wertschöpfung zu erfahren. In vielen Berufen wird das gar nicht möglich sein.“ Er nennt Busfahrer und Pfleger als Beispiele, Tätigkeiten, in denen sich in weniger Zeit nur weniger Kilometer fahren oder Patienten versorgen lassen.
Allerdings machten die Studienautoren am Freitag in Düsseldorf klar, dass eine gesamtwirtschaftliche Übertragbarkeit nicht der Anspruch des aktuellen Projekts gewesen sei. „Rückschlüsse auf die gesamte Wirtschaft lassen sich nur schwierig ziehen“, sagte Wirtschaftsprofessorin Backmann dazu. Es gehe vielmehr darum, auszuloten, ob Organisationen, die Interesse an einer Viertagewoche haben, diese erfolgreich umsetzen können.
Zwei größere Unternehmen brachen Versuch ab
Manche Versuchsteilnehmer fanden unerwartete Zeitspar-Möglichkeiten. So zum Beispiel der Praxisverbund für Ergotherapie und Logopädie Gesa Meyer-Brüna GmbH aus dem Landkreis Leer in Niedersachsen: „Wir haben während der Projektzeit zum ersten Mal Zweierbehandlungen ausprobiert“, berichtet Praxisinhaberin Meyer-Brüna. Zwei ältere Schlaganfallpatientinnen etwa, die ohnehin unter Einsamkeit litten, hätten vom Austausch während der gemeinsamen Therapiestunden profitiert. Zusammen mit der Optimierung von Fahrzeiten und einer Neuorganisation der Hausbesuchsplanung, schaffte sie es, in einem Berufsfeld die Viertagewoche zu realisieren, in dem das viele für unmöglich halten.
Insgesamt waren die Unternehmen, die am Modellversuch teilnahmen zwar aus unterschiedlichen Branchen wie Dienstleistungen, IT, Medien, Fertigung und Pflege. Eine vollständige Branchenliste veröffentlichten die Studienautoren jedoch nicht, da nicht alle Teilnehmer ihr Einverständnis erteilt haben. Bekannt ist, dass die allermeisten Betriebe klein oder mittelgroß waren, nur 14 Prozent der Unternehmen hatten mehr als 250 Mitarbeiter. Zwei der 45 Teilnehmer-Unternehmen brachen den Versuch aufgrund wirtschaftlicher Herausforderungen oder mangelnder interner Unterstützung für die Viertagewoche ab – beides größere Betriebe aus dem Fertigungs- und Industriebereich.
Arbeitsmarktforscher Weber erhofft sich schlussendlich durchaus interessante Erkenntnisse über die Auswirkungen der Viertagewoche auf die individuellen Studienteilnehmer. Dabei gehe es auch darum, mit welchen Konzepten Unternehmen neue Arbeitszeitmodelle einführen. Er mahnt aber zur Vorsicht: „Man sollte keine Schlüsse ziehen, die für alle gelten“, sagt er. „Auch nicht, was die Arbeitgeberattraktivität betrifft.“ Denn sobald alle eine Viertagewoche anböten, steche der Einzelne nicht mehr heraus. „Dann ist der Wettbewerbsvorteil dahin.“