Serie „Der Informant“: „Es geht drum zu zeigen, wie die Angst vor dem Anschlag den Anschlag hervorbringt“ – WELT
Chefermittler Gabriel Bach vom Landeskriminalamt, gespielt von Jürgen Vogel, hat im großen Saal der Elbphilharmonie Posten bezogen. Im Vorfeld des Sinfoniekonzerts gab es Anschlagsdrohungen, weil der jüdische Dirigent die Erste Geige mit einer jungen Muslima besetzt hat.
Bach hört auf sein Bauchgefühl, als er während des Konzerts einem bärtigen Terrorverdächtigen auf die Toilette folgt, der seine Kabine zwar bald wieder verlässt, allerdings ohne zu spülen. Für Bach ist klar: Entweder hat der Mann eine Waffe abgeholt oder den geplanten Anschlag auf andere Weise in Gang gesetzt.
Als der Verdächtige in den Saal zurückkehrt und auf dem Weg zu seinem Platz auch noch einen ungewöhnlich heftigen Hustenanfall hat, glaubt der leitende Kommissar, das sei ein Zeichen für Komplizen und handelt. Er gibt einen Schuss in den Reflektor unter der Decke ab, woraufhin im Saal Panik ausbricht. Das Publikum flieht kopflos. Im Chaos gelingt es Bach, den Bärtigen zu überwältigen.
Die Figur des so tatkräftigen wie abgründigen Chefermittlers steht im Zentrum der Erzählung einer neuen ARD-Serie mit dem Titel „Informant – Angst über der Stadt“. In sechs Folgen und knapp viereinhalb aufregenden Stunden erzählt der Mehrteiler von Autor und Regisseur Matthias Glasner vom erwarteten Anschlag und der Suche nach möglichen Tätern. Darüber hinaus reißt das komplexe Stück weitergehende Fragen an – von strukturellen Problemen in Landes- und Bundeskriminalamt sowie beim Bundesnachrichtendienst bis hin zu Systemfragen – wie dem Scheitern der Integration von Migranten in Deutschland und zum wachsenden Rassismus in der Gesellschaft.
Die Titelrolle des Informanten Raza Shaheen, ältester Sohn einer afghanischen Familie in Hamburg, spielt Schauspieler Ivar Wafaei – und zaubert bei seinem Bildschirmdebüt einen faszinierend vielschichtigen Charakter auf den Schirm. Er wird von Bach auf afghanische Drogenbarone angesetzt, denen man Verbindungen zu Terroristen nachsagt. Die Einsätze des Ermittlers und seines Informanten führen dabei kreuz und quer durch Hamburg.
Matthias Glasner ist an der Elbe zu Hause. Und so zeichnet er in „Informant“ auch ein kenntnisreiches Porträt der Hansestadt – in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit zwischen malerischen Plätzen am Elbstrand und düsteren Ecken in sozialen Brennpunkten wie Wilhelmsburg. Dabei werden kriminelle Methoden ebenso gezeigt wie die Einfallslosigkeit der Ordnungshüter, die den Informanten ständig mit der Abschiebung seiner Freundin bedrohen, obwohl sie fließend Deutsch spricht und einen Job hat, also bestens integriert ist.
Razas Vater musste sich in Hamburg als Taxifahrer durchschlagen, in Kabul war er Professor, aber seine Abschlüsse werden hierzulande nicht anerkannt. Seit seine Frau an Krebs gestorben ist, geht er nicht mehr in die Moschee – wird aber von muslimischen Nachbarn dazu gedrängt. Immer wieder werden auch Missstände deutlich, die seit Jahrzehnten durch deutsche Gesetze verursacht werden, denn, so Glasner im Gespräch in der Elbphilharmonie, „die Politik denkt viel lieber über einfache Lösungen wie Abschiebungen nach als über das andere Ende der Kette, eine mögliche Integration und deren Bedingungen.“
Das Motiv der Terrorgefahr sei „im Film nur eine Metapher, um über Paranoia zu erzählen“, sagt Glasner, „denn es gibt im Film keinen einzigen Terroristen. Es geht darum zu zeigen, wie die Angst vor dem Anschlag den Anschlag hervorbringt.“ Doch steigert die Serie auch die Paranoia, von der sie erzählt, jedenfalls mit Blick auf das Konzerthaus im Hafen. Lange wehrte sich die Elbphilharmonie gegen die Dreharbeiten. Doch nachdem die Kulturbehörde und die Filmförderung den beharrlichen Regisseur unterstützten, willigte die Intendanz schließlich ein. „Als wir die Zusage hatten, haben uns dann auch alle hier am Haus hundertprozentig unterstützt“, erzählt Glasner.
Terroristen folgen keinen Filmen
Im Übrigen glaube er nicht, dass Terroristen dort zuschlagen, wo alle damit rechnen, so der Regisseur. Das sei schließlich „das Dümmste, was sie tun könnten.“ Zudem habe „die Elbphilharmonie ihr Sicherheitskonzept deutlich upgegradet“, so Glasner, „und es war der Intendanz auch wichtig, das vor dem Erscheinen des Films zu tun, damit das nicht als Reaktion auf den fiktiven Anschlagsplan missverstanden werden kann.“
Jürgen Vogel glaubt nicht, „dass die Terroristen Vorschlägen aus Filmen folgen“. Doch natürlich könne „prinzipiell jeder Ort, an dem Menschen sich versammeln, ein Anschlagziel sein. Deswegen kann man sich vor Terror nicht wirklich schützen. Egal, was wir tun, egal, wen wir hinstellen, egal, wer regiert, diese Art von Terror ist immer möglich.“
Darum wirkt die neue ARD-Serie zwar als Augenöffner für viele Probleme, aber nicht wie eine Beruhigungspille. Die Preview von „Informant“ fand auf Einladung des NDR am Jahrestag des fiktiven Anschlags im kleinen Saal der Elbphilharmonie statt. Stargeigerin Anne-Sophie Mutter spielte nebenan im großen Saal gemeinsam mit dem Pianisten Lambert Orkis Werke von Mozart und Schubert. Da stand doch mancher Besucher nach dem Verlassen des Gebäudes mit einem mulmigen Gefühl im Magen auf der Rolltreppe in der sogenannten Tube, die ins Gebäude führt.
Der alten Weisheit „auch Paranoiker haben Feinde“ folgend, gibt es nämlich wie in Glasners Vorlage, der BBC-Serie „The Informants“, jede Menge Terrorverdächtige. Deshalb bleibt die Spannung auf hohem Niveau. Es geht schließlich auch um „das Misstrauen, die Angst, den Rassismus, nach dem man bei jedem Bärtigen in der U-Bahn denkt: Oh Gott, vielleicht doch … das hat natürlich noch mal zugenommen durch den Attentäter von Solingen“, so der Regisseur.
Dabei sei der Terror bei Drehbeginn kein großes öffentliches Thema mehr gewesen, erinnert sich Jürgen Vogel, „London, Madrid, der Breitscheidplatz in Berlin, das lag alles weit zurück.“ Doch dann kam, mitten in den Dreharbeiten, der 7. Oktober mit dem Überfall der Hamas auf das Musikfestival Supernova Sukkot Gathering und die Kibbuzim in Israel.
„Da wurde“, so Glasner, „aus der Action-Thriller-Serie mit politischem Hintergrund plötzlich eine politische Serie mit Action-Thriller-Elementen.“ Für die Konstellation mit dem jüdischen Dirigenten und der muslimischen Geigerin habe das West-Eastern Divan Orchestra von Daniel Barenboim und Edward Said Pate gestanden, in dem israelische und arabische Musiker gemeinsam musizieren, so Glasner.
Nach den Anschlägen sei das auch eine Belastung am Set gewesen, erinnert sich der Regisseur, weil eben sowohl Juden als auch Afghanen und Syrer Teil des Teams waren. Glasner: „Und die mussten dann plötzlich alle eine Haltung haben, obwohl sie das vielleicht gar nicht wollten, weil sie einfach nur, weit weg vom Nahen Osten, ihr Leben leben.“
Action als trojanisches Pferd
Genau davon, vom Leben als Migrant in Deutschland, von den Vorurteilen aus Sicht der Betroffenen, erzählt der Film eben auch. In die afghanische Familie des Informanten habe er sich „richtig verliebt“, sagt Glasner. Zur Familie zählt neben Reza und seinem Vater (Majid Bakthiari) auch dessen jüngerer Bruder Nazir (Ali Reza Amahdi) und als Mitbewohnerin Razas Freundin Sadia (Bayan Layla) zusammen. Bakthiari („Rheingold“) spielt wie ein Fels in der Brandung der Nachwuchstalente.
In der Serie habe er die Action und die Krimi-Elemente stets als trojanisches Pferd für Inhalte gesehen, die „sich sonst nur wenige Zuschauer ansehen“, erklärt der Regisseur. Also entfernte er sich recht weit von der britischen Vorlage, in der es vorrangig um Polizeiarbeit geht und machte aus den sechs Folgen „einen viereinhalbstündigen Film, der nun in sechs Abschnitten gezeigt wird und keiner Seriendramaturgie folgt“, so der Regisseur, und der das Düsterste sei, was er je gemacht habe. Tatsächlich geht Glasner als Autor sowohl in die gesellschaftliche Breite als auch die Tiefe seiner Figuren, die alle scheitern – fast alle, wie sich in einer zynischen Wendung am Schluss herausstellt.
Die tiefsten Abgründe auf dem Weg dorthin durchschreitet dabei Jürgen Vogel als Ermittler Gabriel Bach. Als ehemaliger Undercover-Agent der Polizei rutscht er durch eine Zufallsbegegnung wieder in die rechtsextreme Szene und lebt fortan hin- und hergerissen zwischen seinem bürgerlichen Leben mit Ehefrau (Claudia Michelsen) und fast erwachsener Tochter und seiner Undercover-Existenz.
Die Freunde mit Nazi-Tattoos kennen Bach unter dem Decknamen Charlie. Der hat eine Affäre mit der Sängerin Marion (Katharina Schlothauer) und neigt zu übelsten Gewaltausbrüchen.
Jürgen Vogel setzt dabei gleich drei glaubwürdige, völlig unterschiedliche Gesichter auf: Als Softie zu Hause, als Schläger mit Nazi-Tattoo und als tendenziell cholerischer Kriminalbeamter, der seine Kollegen nervt, aber Gefühle in seine Informanten investiert – obwohl er das selbst für höchst unprofessionell hält, wie er seiner BKA-Kollegin Holly Valentin predigt.
Aus der macht Schauspielerin Elisa Schlott eine kontrollierte, undurchsichtige Blondine mit steilen Karriereambitionen. Immer wieder muss Bachs Vorgesetzte, die manipulative LKA-Chefin Rose Kuhlenkampf (grandios mütterlich: Gabriela Maria Schmeide) Wogen beim Streit der beiden glätten.
Über die Rolle des Ermittlers Bach freut sich Vogel diebisch. Sein Freund Glasner hat sie ihm auf den Leib geschrieben. Seit den 90er-Jahren arbeiten die beiden immer wieder zusammen, drehten Filme wie „Sexy Sadie“ (1996), „Der freie Wille“ (2006) sowie „Gnade“ (2012). Hauptrolle: Jürgen Vogel.
„Jürgens Möglichkeiten“, so Glasner, „aber auch seine Abgründe fanden sich in dieser Figur in großem Maße wieder. Deswegen glaube ich, dass das für ihn gar nicht so schwer zu spielen war.“ Vogel grinst: „Die Figur war schon gut gezeichnet. Ich musste ihr eigentlich nur noch folgen.“
Kleist undercover
Als Ermittler Bach leitet er den Informanten und zitiert für ihn aus Kleists „Marionettentheater“, einem der heiligen Texte der darstellenden Künste. Vogel greift Kleists Weisheit gern auf: „Undercover zu arbeiten, ist ja ähnlich wie Schauspielerei. Du musst, wenn du in so eine Welt eintauchst, überzeugend sein. Da musst du eintauchen, und das hat viel mit dir zu tun, da brauchst du einen bestimmten Typus Mensch, der das auch aushält.“
Dabei gebe es eine Grenze, so Vogel, „das kannst du nicht spielen: deine Wut ist deine Wut. Deine Traurigkeit ist deine Traurigkeit. Deine Gewaltbereitschaft ist deine Gewaltbereitschaft.“
Letztere war bei den Dreharbeiten nicht zu knapp gefragt, die Serie enthält einige heftige Schlägereien, die Stunts, die damit einhergingen, drehte Vogel als „Handwerker des Naturalismus“ (Vogel über Vogel) selbst. Die psychischen Abgründe sind so tief, dass Henrik Ibsen seine Freude daran gehabt hätte.
Dabei reicht Glasner manchmal ein Satz, um eine ganze Szene zu entlarven. Der Intendant der Elbphilharmonie fällt durch seine vulgäre Wortwahl auf, wobei Glasner sagt: „Das war natürlich nicht auf den echten Intendanten gemünzt. Den kenne ich gar nicht, aber Menschen in Führungspositionen im Kulturbereich haben oft so eine Nonchalance, die irgendwo zwischen Arroganz und Paradiesvogel schwebt.“
Ein gutes Beispiel für Glasners Kunstfertigkeit als Autor ist auch Edgar Braun, der Einsatzleiter des BKA, gespielt von Nico Holonics. Es handelt sich um die einzige Figur, die inmitten zweifelnder, abwägender Kollegen nicht mit inneren Widersprüchen kämpft.
Bei den Polizei-Rollen interessiere ihn, „wie Menschen in Systemen zerrieben werden, weil die Systeme eben auch gegeneinander operieren, statt miteinander“, so Glasner. Aber mit Braun habe er „einmal ein richtiges Arschloch schreiben“ wollen und sei mit dem Ergebnis zufrieden. Schließlich gebe es solche Menschen in Führungspositionen öfter mal, auch unter Produzenten oder Fernsehchefs, und du denkst „verdammt, die machen so viel kaputt, weil sie das System so gut bespielen können – und so was macht mir wahnsinnige Angst.“
Für Bach sei es daher eine „echte Befreiung, dass er dem eine reinhauen darf“, freut sich Vogel und zeigt auch sonst Sympathie für die Rolle. Dafür, dass Bach seine Frau betrüge, habe er „großes Verständnis“, so der Schauspieler, „denn das ist einfach so: Wir wollen immer geiler sein, als wir sind, und korrekter, als wir fühlen. Das finde ich toll, weil die Figuren vielleicht gar nicht anders können, vielleicht kommt das wie eine Krankheit raus aus ihnen.“
Im Übrigen habe diese Suche nach Ehrlichkeit, nach Abgründen am Beginn der Zusammenarbeit mit Glasner gestanden, so Vogel, „denn man ist ja nur menschlich mit all seinen Fehlern.“
„Informant“: ab 11. Oktober in der Arte- und der ARD-Mediathek; im linearen ARD-Fernsehen am 16. (Teil 1-3) und 17. Oktober (Teil 3-6), je 20.15 Uhr
Source: welt.de