Bald 51 Prozent des Bruttolohns zu Gunsten von Sozialabgaben?
Eine teure Rentenreform und aus dem Ruder laufende Kosten in der Pflegeversicherung lassen der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) einen sprunghaften Anstieg des Gesamtbeitragssatzes zur Sozialversicherung in den kommenden zehn Jahren prognostizieren: Schon für das Jahr 2035 sei mit einer Belastung von 51 Prozent des Bruttolohns zu rechnen, heißt es in einer neuen Berechnung des PKV-Verbands, die der F.A.Z. vorliegt. Derzeit summieren sich die Beitragssätze aller Sozialversicherungszweige auf 40,9 Prozent. Das ist schon jetzt mehr als die bis vor einigen Jahren gültige politische „Sozialgarantie“ von 40 Prozent.
Der Durchschnittsbeitrag zur Pflegeversicherung steigt der Berechnung zufolge bis 2035 von heute 3,4 auf voraussichtlich 6,2 Prozent. Der Beitrag zu den Krankenkassen (GKV) würde sich demnach von heute 14,6 auf 18,2 Prozent erhöhen. Für die gesetzliche Rentenversicherung erwartet die Bundesregierung mit dem am Mittwoch im Kabinett beschlossenen „Rentenpaket II“ einen Anstieg von heute 18,6 Prozent auf 22,3 Prozent im Jahr 2035.
Von einer unveränderten Höhe geht die PKV-Berechnung für den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung (2,6 Prozent) und den GKV-Zusatzbeitrag (1,7 Prozent) aus. „Das Gesundheitsministerium erzielt keinen Konsens für eine generationengerechte Finanzierung der Pflege“, moniert PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther. „Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass das Umlagesystem der sozialen Pflegeversicherung in eine Sackgasse geraten ist.“
Stellen Sie Ihr Wissen im FAZ.NET-News-Quiz unter Beweis, und vergleichen Sie sich mit anderen Lesern.
Pessimistischer als jüngstes Ökonomen-Gutachten
Die Vorausschau des PKV-Verbands fällt damit noch eine Stufe ungünstiger aus als ein Gutachten, das zwei Ökonomen Ende Februar im Auftrag des Verbands „Die Familienunternehmer“ angefertigt hatten. Auch sie kamen damals zwar zu dem Schluss, dass ein Anstieg der Sozialbeiträge auf mehr als 50 Prozent faktisch schon heute programmiert sei. Sie rechneten mit dem Überschreiten dieser Schwelle aber erst nach 2040. Damals war noch offen, ob die Ampelregierung ihr neues Rentenpaket beschließen würde.
Die beiden Wissenschaftler – Stefan Fetzer, Gesundheitsökonom an der Hochschule Aalen, und Christian Hagist von der Privathochschule WHU in Vallendar – warnten allerdings schon unter diesen Umständen vor einem gefährlichen Teufelskreis, auf den sich das deutsche Sozialsystem damit zubewege. Mit einem solchen Beitragsniveau drohe dieses einen „Kipppunkt“ zu erreichen. Sozialversicherungspflichtige Arbeit sei dann womöglich nicht mehr ausreichend attraktiv, um das System zu tragen.
Wörtlich heißt es in ihrem Gutachten: Ein Beitragsanstieg auf 50 Prozent sei „allerdings ein hypothetisches Szenario, denn durch die steigenden Beitragssätze würde ein Kipppunkt erreicht, bei dem die junge Generation den Generationenvertrag einseitig aufkündigen und sich entweder in Schwarzarbeit oder Auswanderung verabschieden wird.“ Wenn aber der Beitragsanstieg mehr Menschen aus der beitragspflichtigen Beschäftigung in andere Erwerbsformen treibe, werde sich der Anstieg der Beitragssätze für die verbleibenden Arbeitnehmer noch stärker beschleunigen.