Zartmann: Ein Konzept scheint’s zu spendieren

Der Berliner Musiker Zartmann ist „zu oft mit paar Jungs nachts draußen.“ Sagt er zumindest in seinem Song Tau mich auf. Damit bespielt er vielleicht das häufigste Motiv in der aktuellen Popmusik junger Menschen aus Deutschland: nicht etwa die Liebe, sondern die Anziehungskraft der langen Nächte, der Großstadt und der Drogen, und die Implikation, dass es ungesund ist, sich alldem „zu oft“ hinzugeben. Mit Tau mich auf hat Zartmann Anfang des Jahres seinen ersten Nummer-eins-Hit gelandet. Er ist ein Popstar der Generation Z.

Man würde es nicht auf Anhieb vermuten, aber Zartmann und der Rapper Ski Aggu, ein noch größerer Popstar der Generation Z, haben einige Dinge gemeinsam: Die Frisur ist hinten länger als vorne, sie tragen Schlaghosen, posten täglich auf TikTok und leben in Berlin, das sie mit ihrer Musik vor allem nachts erkunden. Es war dann auch ein gemeinsamer Track der beiden, Wie du manchmal fehlst, der Zartmann letztes Jahr seinen ersten Hit bescherte. Da reichte es noch nicht ganz zur Nummer eins.

Musikalisch haben Zartmann und Ski Aggu jedoch wenig gemeinsam. Zartmann klingt eher nach Barfuß am Klavier als nach Pep im Technoclub. Wie bei Henning May von der Gruppe AnnenMayKantereit wird auch bei Zartmann die Stimme immer dann rau, wenn er zu einem großen Refrain ausholt. Dass er nach Sonnenuntergang auch Drogen nimmt, deutet Zartmann an, aber ins Detail geht er da nicht so sehr wie Ski Aggu. Stattdessen fühlt er viel in sich hinein – und untermalt das, im Gegensatz zu den anderen Nachaktiven seiner Generation, oft mit Bandsounds statt mit Beats.

Das war noch nicht so, als 2021 die ersten Zartmann-Singles im Internet auftauchten. Einen Plattenvertrag hatte der Musiker bereits in der Tasche: Die Talentscouts waren wohl dank TikTok auf ihn aufmerksam geworden. Zwei Blocks hieß die erste Single, Zartmann rappte die Strophen damals noch, und ein elektronischer Bass dröhnte dazu. Im Text aber führt er die Suche nach dem Kick im Nachtleben schon mit der Suche nach Liebe zusammen: „Wenn die Straße abends wieder weint, dann wär‘ ich gern zu zweit.“

Dass die jungen Popstars in Deutschland so viel vom Nachtleben singen, hat wohl damit zu tun, dass in der zweiten Hälfte der Zehnerjahre deutscher Straßenrap so erfolgreich war und die Großstadtstraße als beliebtes Setting etablierte. Aber auch damit, dass junge Menschen während der Pandemie kaum noch feiern konnten. Jedenfalls wurden gerade in dieser Zeit Musiker mit Großstadterzählungen erfolgreich, ob hedonistisch und gerappt wie von Ski Aggu oder melancholisch gesungen wie nun bei Zartmann. Die nächtlichen Straßen Berlins wurden für eine neue Generation, zum Sehnsuchtsort. Man kann sich gut orientieren in dieser Musik: Ein häufiges lyrisches Mittel sind Zeit- und Ortsangaben. Fünf Uhr morgens, Ecke soundso. Auch bei Zartmann: Seine erste EP hieß vor vier Jahren Zwischen 11 und 2, die nun erschienene dritte heißt Schönhauser EP, so wie die Schönhauser Allee im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg.

Darin sind die nächtlichen Straßen nun das Setting für die Geschichte einer zerbrechenden Beziehung. Auf dem Cover opfert Zartmann eine schicke Lederjacke für einen Feuerstunt. Auch in den Texten auf der Schönhauser EP brennt es immer wieder, aber nicht wegen einer wilden Party, sondern wegen der Gefühle, die schwer in den Griff zu kriegen sind. Zartmann greift oft zu naheliegenden Bildern, manchmal gleich zu allen naheliegenden Bildern. In Wunderschön kommen als Metaphern vor: ein Boot, Scherben, eine zertrümmerte Statue, Jesus höchstpersönlich und eine Wand, vor die jemand fährt. Der Text wirkt zusammengestückelt wie ein Erpresserbrief aus lauter ausgeschnittenen Buchstaben. Das Schlagzeug spielt dazu Trommelwirbel, wie das Schlagzeuge oft tun, um noch mehr Pathos in ein eh schon pathetisches Lied zu bringen. Gegen Ende der Schönhauser EP, im Song Lass es gehen, ordnet Zartmann mit Hilfe von Altchansonnier Max Raabe das Gefühlschaos. Feuervokabeln kommen immer noch vor, aber nun sollen sie das Ende der besungenen Beziehung unterstreichen, nicht mehr deren sinnlose Fortsetzung. Immerhin: Ein Konzept scheint’s zu geben.

Weniger offensichtlich als seine sprachlichen Bilder sind die vielseitigen Sounds, die Zartmann für seine dritte EP gefunden hat. Im Opener Wann schreib ich einen Song über dich spielen Streicher schläfrige Nachtmelodien, in Wunderschön treten Blechbläser auf, einmal ist die Gitarre bluesig mit Flaschenhals gespielt. Statt mit Autotune singt Zartmann außerdem gern durch einen Vocoder – himmelweiter Unterschied! Auch wenn die Musik tanzbar wird, greift er nicht zur erstbesten Referenz: Der Hit Tau mich auf erinnert rhythmisch an karibische Karnevalsmusik, inklusive eines Moments zum Mitklatschen. Das grenzt Zartmann ab von den anderen Stars seiner Generation, die den Topos „lange Nächte mit Schlagseite und in Schlaghosen“ bearbeiten und dabei immer noch größtenteils Hip-Hop-beeinflusste elektronische Beats nutzen.

Ein Popstar zu sein, hat eben mit Genres gar nicht so viel zu tun, dafür aber mit Styles und Lifestyles. Zartmann hat das verstanden und trotzdem Lust darauf, in seiner Musik mehr als das Nötigste und Offensichtlichste zu tun. Daraus zieht man Hoffnung: nicht mehr für die Beziehung, die auf der Schönhauser EP scheitert, sondern für die Texte von Zartmanns nächsten Projekten.

„Schönhauser EP“ von Zartmann ist bei Bamboo/Epic/Sony erschienen.