Wolfsgruß von Merih Demiral: Die Grauen Wölfe sind in welcher Türkei normal geworden

Zeigefinger und kleiner Finger zu zwei Ohren gespitzt, die restlichen Finger zum Wolfskopf geformt: Der türkische Nationalspieler Merih Demiral zeigte nach seinem zweiten Tor gegen Österreich den sogenannten Wolfsgruß, ein Symbol der extrem rechten Grauen Wölfe. Die Aufregung ist immens. Die UEFA leitete eine Untersuchung ein, und sperrte laut Berichten der BILD den Spieler für zwei EM-Spiele. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und zahlreiche Bundestagsabgeordneten kritisierten Demiral nach diesem Vorfall. In den sozialen Medien entwickelte sich insbesondere unter Kurd:innen und Alevit:innen eine Empörungswelle über das Verhalten Demirals. Und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan reist nun nach Berlin, um sich das Viertelfinale der türkischen Nationalmannschaft gegen die Niederlande am Samstag live anzusehen – und türkische Ultras forderten die Fans dazu auf, den Wolfsgruß beim Spiel zu zeigen.

Der Fußballspieler selbst leugnete auf der Pressekonferenz nach dem Spiel, dass der Wolfsgruß ein Handzeichen der Grauen Wölfe ist und behauptete, es sei nur ein Ausdruck seiner türkischen Identität. Auch wenn diese Äußerung primär eine Schutzbehauptung ist, steckt in einer gewissen Weise doch etwas Wahres darin.

Tatsächlich sind in der Türkei weder der Wolfsgruß noch die Grauen Wölfe randständige politische Phänomene, sondern hängen sehr eng mit dem Staatsverständnis, der Staatsideologie und dem Staatsapparat zusammen. Wenn wir die Grauen Wölfe passend als eine extrem rechte Bewegung einordnen, entsteht in Deutschland womöglich ein schiefes Bild: Die Grauen Wölfe sind seit vielen Jahrzehnten Teil der etablierten Politik in der Türkei.

Die politische Bewegung verfügt über politische, gesellschaftliche und militärische Macht in einer Weise, von der die extreme Rechte in Deutschland kaum zu träumen wagt: sowohl durch die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die 1969 gegründet wurde und seitdem immer wieder an der Regierungsmacht beteiligt war, als auch über paramilitärische und informelle Netzwerke, die teils mit den staatlichen Sicherheitsorganen wie Armee, Polizei und Gendarmerie zusammengearbeitet haben.

Recep Tayyip Erdoğan tat es, Kemal Kılıçdaroğlu tat es auch

Insofern ist es wenig überraschend, dass sich in der Türkei auch andere politische Kräfte ihrer Symbole bedienen. Sowohl Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und andere Politiker der regierenden AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) als auch Kemal Kılıçdaroğlu, der ehemalige Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP), zeigten bereits der Wolfsgruß. Damit wollten sie entweder, wie es bei Erdoğan wohl der Fall war, ein positives Zeichen Richtung der MHP geben – oder, wie im Falle Kılıçdaroğlus, die Anhängerschaft der Grauen Wölfe für sich gewinnen.

Zu dieser Annäherung an die Symbole der extremen Rechten trägt auch bei, dass zwischen der Ideologie der Grauen Wölfe und dem türkischen Nationalismus, der für fast alle parlamentarischen Parteien in der Türkei leitend ist, nur graduelle Unterschiede bestehen. Aus dieser Perspektive gesehen, ist der Wolfsgruß tatsächlich Ausdruck einer bestimmten türkischen Identität, nämlich einer Identität, in der die türkische extreme Rechte weitgehend normalisiert ist und eine große Übereinstimmung zwischen den dominanten türkischen Staatsnationalismus und der Ideologie der Grauen Wölfe besteht.

Kurden und Aleviten fordern: Die Bundesregierung muss jetzt aktiv werden

Gleichzeitig ist das Verhalten von Demiral eine offene Provokation, ein Angriff auf all jene Bevölkerungsruppen, die von den Grauen Wölfen angefeindet werden. Die Forderung von kurdischen und alevitischen Akteuren, dass spätestens jetzt der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft gegen die Grauen Wölfe aktiv werden müssen, ist nachvollziehbar.

Die politische Gewalt der Grauen Wölfe spielt sich nicht nur in der Türkei ab, sondern hat auch in Deutschland mehreren Menschen das Leben gekostet. Bereits vor fast vier Jahren hatte der Bundestag die Bundesregierung dazu aufgefordert, ein Verbot der Grauen Wölfe zu prüfen. Bis heute ist diesbezüglich nichts geschehen. Auch andere Maßnahmen, wie etwa ein Ausbau der Präventionsarbeit im Themenfeld türkischer Rechtsextremismus, sind nur unzureichend umgesetzt worden.

Nun liegt das Thema zumindest wieder auf dem Tisch. Angesichts der Gefahr, die von der extrem rechten Bewegung der Grauen Wölfe auch in Deutschland ausgeht, darf die Empörung nicht wieder in Verdrängung umschlagen.