Wirtschaftskrise: In Deutschland wächst nur noch welcher Staat
Die deutsche Wirtschaft ist im zurückliegenden Quartal noch etwas weniger gewachsen als erwartet. In den Monaten Juli, August und September legte sie, verglichen zum Vorquartal, lediglich um 0,1 Prozent zu, in einer Schnellschätzung Ende Oktober waren die Statistiker noch von 0,2 Prozent ausgegangen. Im vorangegangenen zweiten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent zurückgegangen. Das Bruttoinlandsprodukt droht damit nach 2024 das zweite Jahr nacheinander zu schrumpfen, Ökonomen warnen vor einer „Winterrezession“.
Aufschlussreicher als diese kleine Verschiebung im Spätsommer sind die neuen Details, die zeigen, in welchen Bereichen die deutsche Volkswirtschaft überhaupt noch zulegen kann. „Wenn man die Zahlen zur Bruttowertschöpfung betrachtet, gab es ein Minus in eigentlich allen marktnahen Wirtschaftszweigen“, analysieren Volkswirte der Landesbank Baden-Württemberg.
Gewachsen seien nur der öffentliche Dienst und das Gesundheits- und Erziehungswesen. „Mehr oder weniger sind das Bereiche, die von Beiträgen und Steuern finanziert werden“, heißt es in der Analyse. Der genannte öffentliche Bereich, der nachhaltig nur wachsen kann, wenn auch die restliche Wirtschaft prosperiert, wuchs zum Vorquartal um 1,3 Prozent (siehe Grafik).
Weniger Exporte und Investitionen
In den anderen wichtigen Bereichen, die mehr über die Wirtschaftslage und die Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen aussagen, tat sich hingegen wenig. Der private Konsum, von dem Volkswirte seit längerer Zeit wegen steigender Löhne und gesunkener Inflation einen Schub erwarten, wuchs um 0,3 Prozent zum Vorquartal. Konjunkturbeobachter werteten das zumindest als eine leicht positive Tendenz.
Ein Minus gab es hingegen bei den Exporten (minus 1,9 Prozent zum Vorquartal) und bei den Investitionen der Unternehmen in neue Maschinen (minus 0,2 Prozent). Nur sehr schleppend läuft zudem die Industrieproduktion. „Insbesondere beim Maschinenbau und der Herstellung von chemischen Erzeugnissen zeigten sich starke Produktionsrückgänge. Die Produktion von Kraftwagen und Kraftwagenteilen stieg dagegen im Vorquartalsvergleich leicht an“, schreiben die Statistiker.
Deka-Volkswirt Andreas Scheuerle resümierte: „Deutschland befindet sich in einer quälend langen Stagnationsphase. In toxischer Art und Weise verbinden sich seit geraumer Zeit konjunkturelle und strukturelle Probleme in Deutschland.“
„Erholung 2025 ist nicht in Sicht“
Die Aussichten für die kommenden Monate zeigen keine Besserung. Vielmehr hat die deutsche Wirtschaft im November weiter an Schwung verloren. Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft – Industrie und Dienstleister zusammen – fiel um 1,3 auf 47,3 Punkte, wie der Finanzdienstleister S&P Global am Freitag mitteilte. Dies sei der niedrigste Wert seit neun Monaten.
Der Wert liegt damit weit unterhalb der 50-Punkte-Marke, ab der Wachstum signalisiert wird. Der abermalige Rückgang kam überraschend, zuvor befragte Volkswirte hatten zumindest eine stabile Entwicklung erwartet.
Pessimistisch äußerte sich am Freitag zudem Tanja Gönner, die Hauptgeschäftsführerin des Industrieverbandes BDI. Die Industrieproduktion werde in diesem Jahr voraussichtlich um drei Prozent zurückgehen. „Eine Erholung im Jahr 2025 ist nicht in Sicht“, sagte Gönner.
Leitbranchen haben zu kämpfen
Besonders problematisch sei, dass die deutschen Leitbranchen in diesem Jahr mit starken Rückgängen zu kämpfen haben. Der Fahrzeugbau, in dem zum Beispiel bei Volkswagen Stellenverluste drohen, verzeichnete demnach bis September gegenüber dem Vorjahreszeitraum Produktionseinbußen von 6,9 Prozent, im Maschinenbau waren es 8,5 Prozent und in der Elektroindustrie sogar ein Minus um 10,7 Prozent.
Während die Machtübernahme durch Donald Trump in Amerika im Januar die wirtschaftlichen Sorgen wegen drohender Zölle auf europäische Waren verschlimmert, macht das Ende der Ampelkoalition in Berlin vage Hoffnungen. Die strukturellen Probleme werden Deutschland so lange belasten, „bis die Politik den großen Reformwurf wagt“, sagte Deka-Volkswirt Scheuerle.