Wie Pop-Musik den US-Wahlkampf geprägt: Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt

Der erste US-Präsidentschaftskandidat, der sich öffentliche Unterstützung von prominenten Musikern und Filmstars holte, war der Republikaner Warren G. Harding im Jahr 1920. Die Wahl war die erste, bei der Frauen in den USA wahlberechtigt waren. Harding, selbst erfolgreicher Zeitungsverleger, wusste um die Macht des Marketings und der Unterhaltungsindustrie. Zu seinen Unterstützerinnen und Unterstützern zählten die Sängerin Lillian Russell, die Hollywood-Größen Mary Pickford, Douglas Fairbanks, aber auch Wirtschaftsmogule wie Henry Ford und Thomas Alva Edison. Hardings wichtigstes Zugpferd war der seinerzeit größte US-Star Al Jolson. Jolson war der erste Mensch, der je in einem Film eine Sprechrolle hatte, ein charismatischer Rockstar, obwohl Rock ’n’ Roll noch gar nicht existierte. Er sang den Song Harding, You’re the Man for Us ein.

Warren G. Harding gelang ein eindeutiger Wahlsieg mit über 60 Prozent der Stimmen. Überraschend starb er zweieinhalb Jahre nach seinem Amtsantritt. Er gilt heute politisch als einer der am wenigsten einflussreichen Präsidenten der Geschichte, ebnete jedoch den Weg dafür, wie Politik und Wahlkampf, vor allem in den USA, gedacht und umgesetzt werden.

Eben kein Hurrapatriotismus

Popkultur, die Rückendeckung großer Celebritys, ist beim Buhlen um Stimmen integraler Bestandteil politischer Strategien geworden. Das zeigt sich aktuell im US-Wahlkampf. Die DNC, die Nationalversammlung der Demokratischen Partei in Chicago, bei der Kamala Harris offiziell als Präsidentschaftskandidatin nominiert wurde, wurde wie ein Festival inszeniert. In der Politik geht es eben nicht nur um Inhalte, sondern auch um Entertainment. Die im 20. Jahrhundert etablierte globalpolitische Vormachtstellung der USA steht in direktem Zusammenhang mit Wachstum und Erfolg der Kulturindustrie des Landes.

Als Elvis Presley am 1. Oktober 1958 via Bremerhaven für 18 Monate als GI im hessischen Friedberg stationiert wurde, ging es primär um popkulturelle PR. Zum einen konnte sich der Rock-’n’-Roll-Star in seiner Heimat seines Images als Teenager gefährdender Rebell entledigen, indem er sich sogar von seiner Tolle trennte. Noch viel wichtiger war sein Einfluss auf die Mainstreamkultur der damaligen Bundesrepublik: Kaugummis, Cola, Petticoats, amerikanische Musik und Bluejeans machte die Besatzermacht auch mit Hilfe von Presley zu begehrten Alltagswaren. Wenige Monate nach seiner Stationierung nahm der King of Rock ’n’ Roll das schwäbische Volkslied Muss i denn zum Städtele hinaus auf, was in Deutschland bis heute einer seiner größten kommerziellen Erfolge gewesen ist.

Der Einsatz von Popsongs im US-Wahlkampf läuft nicht immer reibungslos, was sich vor allem bei Donald Trump zeigt, der es in seiner Laufbahn immer wieder mit Unterlassungsklagen zu tun bekam. Zuletzt drohte die Familie von Isaac Hayes, Trump auf eine Schadenersatzsumme von drei Millionen Dollar zu verklagen, da dieser trotz mehrfacher Ermahnung den von Hayes komponierten 1960er-Soul-Song Hold On, I’m Comin’ von Sam & Dave bei seinen Kundgebungen spielte. Auch Céline Dions Powerballade My Heart Will Go On wurde ohne Erlaubnis benutzt, woraufhin die Künstlerin sich in sozialen Medien äußerte: „And really, that song?“ Geht es in dem Hit doch bekanntermaßen um die Titanic, die beim Untergang über 1.000 Menschen in den Tod riss.

Was die Republikaner falsch machen

Zwar muss man als Politiker kein Pop-Experte sein, aber es ist durchaus ein bisschen Fingerspitzengefühl bei der Songauswahl nötig, gerade was die Inhalte betrifft. Bei dem Song You Can’t Always Get What You Want der Rolling Stones, den Trump 2016 und 2020 benutzte, geht es um Junkies, die in Chelsea verzweifelt auf der Suche nach neuem Stoff sind. Auch vergriff sich Trump (wie Ronald Reagan in den 1980ern auch schon) bei Bruce Springsteens Born in the U.S.A. – ist das Lied doch alles andere als hurrapatriotisch und vielmehr eine kritische Abrechnung mit dem Vietnamkrieg. Ähnliches gilt für die LBGTIQ+-Hymne Y.M.C.A. der Village People, die Trump ebenfalls für seine Events nutzte, was dafür sorgte, dass die Urheber öffentlich darum baten, dies zu unterlassen. Die Liste jener Songs, die von Trump und seinem Team nicht autorisiert für Kampagnen-Events genutzt wurden, und der Künstler:innen, die das kritisierten, ist lang. So lang, dass sie einen eigenen Wikipedia-Artikel füllt. Hier finden sich bekannte Namen wie Adele, die Beatles, Elton John, Queen, Rihanna und Neil Young. Aktuellstes Beispiel ist der Song My Hero der Foo Fighters, der für die Vorstellung von Robert F. Kennedy Jr. gespielt wurde, nachdem dieser seine Präsidentschaftskandidatur fallen ließ, um offiziell die Republikaner und Trump zu unterstützen.

Pop ist zwar Mainstream, sollte aber nicht mit Opportunismus verwechselt werden. Taylor Swift wurde im Frühjahr von der MAGA-Anhängerschaft und Fox News noch als korrumpierte Geheimagentin und Hexe diffamiert, was Trump dennoch nicht daran hinderte, KI-Bilder von Swift zu posten, die suggerierten, Millionen von Swifties würden kollektiv hinter dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten stehen. Taylor Swift unterstützte bereits 2020 Joe Biden. Von einer politischen Kehrtwende bei ihr ist nicht auszugehen. Bis zuletzt wurde im Rahmen der DNC von Medien und Fans gleichermaßen gemutmaßt, Swift würde nach ihrer Europatournee in Chicago auf die Bühne kommen, was nicht eintrat. Nun könnten Donald Trump wegen des Postings der KI-Bilder rechtliche Konsequenzen drohen, was zu seiner mittlerweile typischen Reaktion führte: Er behauptete, er hätte mit alledem nichts zu tun.

Tracks für jeden Bundesstaat

Auch Beyoncé wurde bei der DNC erwartet. Ihr Song Freedom ist seit einigen Wochen der offizielle Einlaufsong für Kamala Harris. Aber auch sie erschien nicht. Es wäre strategisch nicht klug gewesen, Beyoncé oder Swift auftreten zu lassen, Harris sollte unter gar keinen Umständen überstrahlt werden. Und der Wahlkampf ist noch lang.

Dass die Kampagne der Demokraten ein feineres und differenzierteres Popverständnis aufzeigt, liegt nicht nur am Alter von Kamala Harris. In den vergangenen Jahrzehnten zeigte sich die Partei stets näher am Thema, was auch daran liegt, dass traditionsgemäß die Ballungsregionen und Metropolen an Ost- und Westküste demokratisch wählen und dort eben auch die Zentren der Unterhaltungswelt angesiedelt sind. Kamala Harris zeigt, dass sie sich in Popgefilden wesentlich souveräner bewegt als ihr Konkurrent, der stilistisch und kulturell in den 1980ern, seiner eigentlichen Glanzzeit, sprichwörtlich hängen geblieben ist. In ihrer Abschlussrede bei der DNC erinnerte sich Harris, wie sie als Kind mit ihren Eltern im Truck durch das Land reiste und die Familie dabei „Aretha, Coltrane und Miles“ hörte. In einer früheren Rede zitierte sie den Hit Walk It Talk It der Rap-Gruppe Migos und sprach dabei von ihrem „Freund“ Quavo. Memes auf Tiktok feiern ihre Tanz-Skills, und auch beim „brat summer“ von Charli XCX machten sie und ihr Team Gen-Z-affin und erfolgreich mit.

Bei vorigen Wahlkampfveranstaltungen spielten für sie Megan Thee Stallion und Bon Iver. Bei der DNC traten Pink, John Legend, Patti LaBelle, Common, Mickey Guyton und Stevie Wonder auf. Ein Highlight war der Roll Call, der Appell, bei dem die einzelnen Bundesstaaten ihre Zustimmung zur Nominierung bekannt geben. Traditionell handelt es sich um eine formell-spröde und trockene Angelegenheit. Dieses Jahr wurde die Nominierung von DJ Cassidy musikalisch untermalt, der dem Publikum einheizte und für jeden Bundesstaat einen passenden Track selektierte. Es wurde eine Party. Journalist:innen und Parteimitglieder diskutierten eifrig, ob DJ Cassidy statt Jay-Zs Empire State of Mind nicht doch besser N.Y. State of Mind von Nas hätte auswählen sollen. Oder ob OutKastnicht der bessere Pick für Georgia gewesen wäre – klassisches Pop-Nerdtum, der Auftritt von Lil Jon zu Turn Down for What war einer der überraschenden Höhepunkte.

Bleibt die Frage, ob Pop-Endorsements für den Wahlausgang wie im Fall von Warren G. Harding auch dieses Jahr entscheidend sein werden und welche Rolle politische Inhalte hier spielen. Eine aktuelle Harvard-Studie mit dem Titel Celebrities Strengthening Our Culture of Democracy kommt zu dem Schluss, dass es durch bürgerliches und politisches Engagement von Popstars tatsächlich zu einer Win-win-Situation für Politik und Prominente kommen kann. Es bestünden die Gelegenheit und das Potenzial, bürgerschaftliches Engagement zu vergrößern, „was einen erheblichen Einfluss auf die bürgerliche Kultur haben kann“. Am wichtigsten sei aber der Faktor Authentizität. Authentizität zu definieren, bleibt gerade in den Gefilden der Unterhaltung eine unlösbare Aufgabe. Inwiefern sind Beyoncé und Billie Eilish authentischer als Kid Rock oder Kanye West? Wie authentisch war Michael Jackson, als er in den 1990er Jahren Bill Clinton unterstützte? Waren Hollywood und Pop doch schon immer auch eine Welt der schillernden Illusion, der Zerstreuung vom Alltag und des Eskapismus.