Wettstreit um höheren Mindestlohn

Das vor zwei Jahren von der Ampelkoalition beschlossene Mindestlohngesetz sieht vor, dass die Entscheidung über die nächste Mindestlohnerhöhung im Juni 2025 getroffen wird – von der dazu berufenen Sozialpartnerkommission. Die Erhöhung träte dann am 1. Januar 2026 in Kraft. Und mit der im Gesetz vorgesehenen Orientierung an den Tariflöhnen wäre ein Ergebnis zwischen 13,50 und 14 Euro je Stunde zu erwarten. Unter den politischen Parteien ist allerdings inzwischen ein regelrechter Wettstreit darüber entbrannt, wie sich dieser Ablauf ändern lässt, um mehr durchzusetzen.

In der Ampel haben zum „Tag der Arbeit“ insoweit die Grünen eine Führungsrolle übernommen: Sie haben sich das Ziel einer Erhöhung auf 15 Euro je Stunde gesetzt. Es sei nötig, die Mindestlohnkommission zu reformieren und eine „echte Lohnuntergrenze“ einzuführen, kündigten sie zum Feiertag an. Formal geht es ihnen darum, ein neues Kriterium für die Mindestlohnhöhe festzulegen – den Betrag von 60 Prozent des mittleren Lohns aller Arbeitnehmer. „Das hieße für 2024 über 14 Euro Mindestlohn, 2025 wären es knapp 15 Euro“, erläuterte Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge.

Mindestlohngesetz wurde bereits geändert

Diese Zahl hatte sich bis dahin nur die Linkspartei auf die Fahnen geschrieben. Zwar hat sich auch die SPD-Führung schon für eine weitere Änderung des Mindestlohngesetzes starkgemacht, aus Ärger über den aus ihrer Sicht zu niedrigen Erhöhungsbeschluss der Sozialpartnerkommission von Juni 2023. Als Zielzahl nannte sie aber bisher meist 14 Euro. Anfang dieser Woche bekräftigten die Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken ihre Kritik an der Kommission, nannten aber keinen Betrag. Die Erhöhungen für 2024 und 2025 seien „viel zu niedrig“, kritisierte Esken.

Kurz nach ihrem Amtsantritt hatte die Ampelkoalition zunächst das Mindestlohngesetz geändert, um ohne Beteiligung der Mindestlohnkommission das SPD-Wahlversprechen von zwölf Euro aus dem Jahr 2021 umzusetzen mit Wirkung zum 1. Oktober 2022. Dies entsprach einer Erhöhung um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mitte 2023 hatte die Kommission dann wieder selbst einen Beschluss gefasst, der zu 12,41 Euro für dieses Jahr und 12,82 Euro für 2025 führte. Allerdings wurde der Beschluss nur mit den Stimmen der Ar­beitgeber und der unabhängigen Kommissionsvorsitzenden gefasst. Die Gewerkschaften lehnten ihn als zu niedrig ab und machen sich seither ebenfalls für neue Verfahrensänderungen stark.

Grüne wollen sich stärker profilieren

Dass sich die Grünen nun stärker als führende Kraft in Sachen Mindestlohn profilieren wollen, zeigte sich auch am vergangenen Donnerstag im Bundestag. Dort wurde über den ersten parlamentarischen Antrag der neu formierten Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) debattiert, der eine Anhebung des Mindestlohns auf 14 Euro forderte. Die Grünen-Arbeitspolitikerin Beate Müller-Gemmeke kritisierte, dass das BSW keine Perspektive für künftige weitere Erhöhungen aufzeige. Dagegen sei das Konzept der Grünen mit dem 60-Prozent-Kriterium eine „dynamische“ gesetzliche Untergrenze. Das „schützt den Mindestlohn nach unten, ist aber nach oben offen“, erklärte sie.

Auch die Grünen selbst rechnen aber nicht damit, dies vor der nächsten Bundestagswahl 2025 umsetzen zu können. Denn die FDP bekennt sich in Sachen Mindestlohn weiterhin zu den Vereinbarungen des Koalitionsvertrags. „Das Versprechen war, dass der mit der Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro erfolgte politische Eingriff in die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission einmalig war“, sagt ihr Arbeitsmarktfachmann Pascal Kober und mahnt: „Grüne und SPD sollten verlässlich zu ihrem Wort stehen, anstatt einen Überbietungswettbewerb nach höheren Mindestlohnforderungen zu starten.“ Vor allem gehe es jetzt darum, den Einstieg in den Arbeitsmarkt für Bürgergeldempfänger und Geflüchtete zu erleichtern, statt die Hürden zu erhöhen.

Die Linke im Bundestag äußerte sich indes freundlich über den 14-Euro-Antrag ihrer früheren Parteigenossen vom BSW, obwohl sie selbst schon weiter ist. Zugleich aber nahm der Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan die Grünen beim Wort: Er forderte von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine konkrete Mindestlohninitiative gleich in der nächsten Kabinettssitzung der Ampelregierung. Sonst bleibe deren Vorstoß „reines Wahlkampfgetöse“.

Mit Wahlkampfgetöse wird es im kommenden Jahr auch die Mindestlohnkommission zu tun haben. Wenn sie im Juni gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag ihren neuen Beschluss für die Zeit von Januar 2026 fasst, sind die Bundestagswahlprogramme der Parteien schon fertig. Da es selbst in der CDU allerlei Kritik am bisherigen Verfahren gibt, spricht viel dafür, dass die nächste Regierung wieder über den Kommissionsbeschluss hinweggeht. Nach dem „dynamischen“ Kriterium der Grünen dürfte die Zielmarke für 2026 schon in der Nähe von 16 Euro liegen.