Werbewirtschaft bangt um Wachstum am Jahresende
Die deutsche Werbewirtschaft soll in diesem Jahr um 2,9 Prozent auf 50,2 Milliarden Euro wachsen. Das besagt eine Prognose des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft ZAW, die der F.A.Z. vorab vorlag. Die Wachstumsrate übersteigt damit die des Jahres 2023, als die Branche um 0,5 Prozent zulegte, deutlich und schlägt auch Wachstumsvorhersagen für die deutsche Wirtschaft. Die EU-Kommission geht etwa davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands 2024 um 0,1 Prozent schrumpft.
Investitionen in Werbung sollen dieses Jahr um 3,7 Prozent auf 38,4 Milliarden Euro steigen, die Netto-Werbeeinnahmen von Medien um 4,5 Prozent auf 27 Milliarden. Im Gespräch mit der F.A.Z. begründet ZAW-Hauptgeschäftsführer Bernd Nauen das Wachstum mit der Sonderkonjunktur durch die Fußball-Europameisterschaft und die Olympischen Spiele in diesem Jahr. Eine bessere Konsumlaune und niedrigere Inflation hätten gerade in den ersten drei Quartalen ihr Übriges getan, um Werbekunden einen Grund zu geben, ihre Kommunikation wieder hochzufahren.
Einschränkend sagt Nauen, dass der Großteil des Wachstums durch den Digitalmarkt getrieben sei. Dort teilen sich die Gelder unter den wenigen großen Plattformen auf – gemeint sind Google, Facebook, Amazon und Konsorten, die einen großen Teil ihres Umsatzes mit Werbung und Werbedienstleistungen erwirtschaften.
Es hängt am letzten Quartal
Ein großes Fragezeichen hängt aber über dem vierten Quartal. Nauen sagt, dass die Bruttozahlen im Laufe des Jahres immer weiter zurückgingen. Im Herbst seien die Zuwächse teilweise sogar negativ gewesen. „Wachstum am Anfang des Jahres wiegt wesentlich weniger schwer als eine Schrumpfung im üblicherweise starken Schlussquartal“, sagt er. Die Wachstumsvorhersagen hängen davon ab, dass es ein solches normales Schlussquartal wird. Die Gefahr besteht, dass der ZAW in der Veröffentlichung der finalen Zahlen im Frühjahr nach unten korrigieren muss.
Üblicherweise verhalten sich die Werbeausgaben wie ein Frühindikator für die Konjunktur. Werden Etats zusammengestrichen, kann man damit rechnen, dass weitere Einschnitte folgen. Werbeausgaben zu kürzen ist für ein Unternehmen aus sozialer Perspektive einfacher als ebenso teure Arbeitsstellen.
Stimmung auf dem Tiefpunkt
Mit Blick auf die Unsicherheit, die für die letzten Monate des Jahres herrschen, verwundert auch nicht, dass die Stimmungsumfrage des ZAW in diesem Halbjahr auf einem Tiefpunkt angelangt ist. Mit 2,3 Punkten liegt sie unter dem ersten Corona-Halbjahr 2020 (3,1 Punkte) und dem zweiten Halbjahr 2022, nachdem der Krieg in der Ukraine ausgebrochen war (2,8 Punkte) – und der Großteil der Antworten auf die Umfrage sei noch vor dem Zusammenbruch der Ampel-Koalition gekommen, heißt es vom ZAW. „Die Stimmung der Werbewirtschaft kann sich der Gesamtwirtschaft und der Welt nicht entziehen“, sagt Nauen.
Angemerkt sei hier, dass an den Umfragen nicht nur Unternehmen teilnehmen, die an der Produktion und Ausspielung von Werbung beteiligt sind. Auch Werbekunden aus allen Branchen nehmen daran teil – Nauen hebt im Gespräch die Automobilindustrie hervor, deren große Etats weite Teile der Werbebranche stützen. „Wenn beispielsweise die Konjunktur für die Automobilwirtschaft weiter in den Keller geht, wird es schwierig.“
Unklarheit über EU-Vorhaben
Gefahr droht der Werbewirtschaft Nauen zufolge auch durch Regulierungsvorhaben aus der EU – nachdem ein geplantes Lebensmittelwerbegesetz aus dem grün geführten Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sich nach Widerstand durch SPD und FDP offenbar im Sand verlaufen hat. Die „Green-Claims-Richtlinie“ würde für alle Werbebehauptungen, die mit Klima und Umwelt zu tun hätten – beispielsweise „umweltfreundlich“ oder „klimafreundlich“ –, Prüfverfahren notwendig machen, die den Wahrheitsgehalt der Aussagen feststellten. Nauen meint, das könnte im Einzelfall ein bis eineinhalb Jahre dauern und nennt es das „Lieferkettengesetz der Werbewirtschaft“. „Irreführung will keiner, aber ein solches Mikromanagement in einem nicht rechtssicheren Prozess ist Bürokratie pur“, sagt Nauen.
Weiterhin sieht er Risiken durch das geplante Gesetz für digitale Fairness, das EU-weit „unethische“ und kommerzielle Praktiken im Internet regulieren soll. Wichtigster Teil des Gesetzes für die Werbewirtschaft wäre wohl die Beschränkung der personalisierten Werbung. Auch die Art und Weise, wie Werbetreibende Nutzerdaten für ihre Anzeigen nutzen könnten, würde stärker reguliert.
„Wir müssen die Vertreter der EVP –Ursula von der Leyen und Manfred Weber – daran erinnern, was sie im Wahlkampf versprochen haben: Es soll zu einem Regulierungsabbau kommen, nicht das Gegenteil“, sagt Nauen. Auch wenn bei Regulierungsvorhaben oft nicht das Wohl der Werbewirtschaft im Vordergrund stehe, so sollten sich Politiker doch Gedanken machen, welch bedeutsamer Hebel mit Werbeinvestitionen verbunden ist. „Wenn du Transformation willst, musst du auch dafür werben können.“