„Wer will schon nachdem Prag reisen, um nachdem Mallorca zu segeln?“

Immer mehr Airlines kehren Deutschland den Rücken. Hauptgrund sind zu hohe Steuern und Gebühren. Wenn diese Entwicklung so weitergeht, wird das Passagieraufkommen erst 2029 das Niveau der Vor-Corona-Zeit erreichen, warnt der Chef des Flughafenverbands.
Vor einem halben Jahr wurde die ohnehin schon hohe Luftverkehrsteuer erhöht, nun steigen auch noch die Gebühren für die Sicherheitskontrollen an deutschen Flughäfen. Die Folge: Airlines geben Flughafenstandorte auf, das Streckennetz wird ausgedünnt, Tickets werden teurer. Ralph Beisel, Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbands ADV, fordert ein Umdenken wie in Schweden – dort wird die Luftverkehrsteuer zum 1. Juli 2025 gestrichen.
WELT: Was läuft aktuell schief in der deutschen Luftverkehrsbranche?
Ralph Beisel: Sehr viel. Ich will es Ihnen mal mit zwei Zahlen verdeutlichen: Im Jahr 2019, vor dem coronabedingten Einbruch, hatten wir ein Passagieraufkommen in Deutschland von knapp 250 Millionen. Die Lage, in der wir uns jetzt befinden, ist so dramatisch, dass wir frühestens 2029 wieder an das Passagieraufkommen von 2019 anknüpfen werden.
WELT: Woran liegt das?
Beisel: Vor allem an den hohen staatlich bedingten Standortkosten. Die Nachfrage nach Flügen ist in Deutschland wieder so hoch wie vor der Pandemie und dürfte im Verlaufe des Jahres sogar noch darüber liegen. Diese Wachstumsdynamik spiegelt sich an den deutschen Flughäfen aber nicht wider. Stattdessen findet das Fliegen um uns herum statt.
WELT: Sie meinen, von Flughäfen in den benachbarten Ländern aus?
Beisel: Ja, in unseren Nachbarländern, wo das Fliegen deutlich weniger mit Steuern und Abgaben belastet wird. Anders lässt sich die Diskrepanz zwischen der hohen Flugnachfrage und dem tatsächlichen Passagieraufkommen in Deutschland nicht erklären.
WELT: Aber hat diese Diskrepanz nicht auch damit zu tun, dass es für Privat- wie Geschäftsreisende heute weniger Ziele und Strecken ab Deutschland gibt?
Beisel: Dieses Problem ist ebenfalls eine Folge der hohen Standortkosten. Ich erinnere nur daran, dass Ryanair wegen der hohen Abgaben bereits Flüge an zahlreichen deutschen Flughäfen zusammengestrichen hat und dies 2025 fortsetzen möchte, sollten die horrenden Luftverkehrskosten nicht gesenkt werden. Auch andere Airlines drohen damit, ihre Kapazitäten in Deutschland im Sommer 2025 weiter zu reduzieren.
WELT: In Schweden, wo Ryanair ebenfalls mit einem Rückzug von den dortigen Flughäfen drohte, hat die Regierung die Luftverkehrsteuer abgeschafft. Halten Sie das für eine Blaupause für Deutschland?
Beisel: Absolut. Die schwedische Regierung hat punktgenau gehandelt. Und die deutsche Regierung ist gut beraten, ebenfalls die Steuern und Gebühren hierzulande zu senken. Derzeit werden Abflüge von deutschen Airports mit mehr als dem Doppelten an Steuern und Gebühren belastet.
WELT: Nun war ja die Luftverkehrsteuer, die die Bundesregierung zum 1. Mai 2024 noch einmal erhöht hat, kein Selbstzweck, sondern sollte dazu dienen, eine Reduzierung der CO₂-Emissionen in der Branche anzustoßen. Ist das gelungen?
Beisel: Nein. Die Luftverkehrsteuer wurde für das übergeordnete Ziel des klimaneutralen Fliegens kaum genutzt. So flossen nur fünf Prozent der über die Steuer eingenommenen zwei Milliarden Euro in die Entwicklung alternativer Kraftstoffe.
WELT: Warum hält die Bundesregierung dann an der Luftverkehrsteuer weiter fest?
Beisel: Das verstehe ich auch nicht. Denn mit der unsäglichen Luftverkehrsteuer verlagern sich Verkehre zwangsläufig ins Ausland. Und das schadet der gesamten Volkswirtschaft.
WELT: Um wie viel Euro haben sich die Flugtickets durch die höhere Luftverkehrsteuer verteuert?
Beisel: Aufgrund der Steuer haben sich die Tickets um 15,53 bis 70,83 Euro verteuert. Und das ist noch nicht alles. Am 1. Januar 2025 wurden auch noch die Gebühren für die Sicherheitskontrollen auf deutschen Airports erhöht. Statt bislang zehn Euro können nun bis zu 15 Euro gefordert werden. Das sind zusätzliche Kosten, die ebenfalls in Form höherer Ticketpreise an die Reisenden weitergegeben werden können.
WELT: Aber doch nicht überall, auf dem Hamburger Flughafen werden für die Sicherheitskontrolle nur 8,17 Euro berechnet.
Beisel: Das stimmt, die Gebührenhöhe variiert je Standort. Denn an kleineren Flughäfen wie Dresden und Köln/Bonn müssen die Kosten für die Sicherheitskontrolle auf weniger Fluggäste verteilt werden. Ob in einer Stunde drei oder 30 Passagiere mit ihrem Handgepäck durchsucht werden, ändert ja nichts an den fixen Kosten. Und je weniger Passagiere, umso höher die Umlage auf jeden Einzelnen.
WELT: Ist der Flughafen Köln/Bonn, nachdem sich Ryanair wegen der hohen Standortkosten von dort zurückgezogen hat, nicht ohnehin überdimensioniert und sollte besser verkleinert werden?
Beisel: Eine Schrumpfkur der deutschen Airports, wie Sie das andeuten, wäre eine Katastrophe für die Wirtschaft. Unsere global agierenden Unternehmen würden den Anschluss an die Weltmärkte verlieren, wenn hierzulande die Transportkapazitäten schrumpften und ins Ausland gingen. Vom Tourismus ganz zu schweigen. Schon jetzt sind die deutschen Steuern und Gebühren bei einem Flug von Dresden nach Mallorca zehnmal höher als bei einem Flug von Prag nach Mallorca.
WELT: Welcher Airport in Deutschlands Nachbarländern ist für Sparfüchse unter deutschen Passagieren als Ausweichflughafen besonders interessant, das heißt, wo sind die Steuern und Gebühren so niedrig, dass es sich lohnen könnte, einen Abflughafen im benachbarten Ausland zu wählen?
Beisel: Das kann ich nicht im Detail sagen, aber grundsätzlich sind in allen Nachbarländern die Steuern und Gebühren niedriger als bei uns. Dennoch möchte ich für unsere Flughäfen werben. Es ist doch viel bequemer, von zu Hause aus zu fliegen, anstatt noch eine weite Anreise auf sich zu nehmen. Wer will schon erst nach Prag reisen, um von dort nach Mallorca zu fliegen?
Ralph Beisel ist seit 2007 Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbands ADV. Zuvor war er als Unternehmensberater 13 Jahre lang in der Luftverkehrsbranche tätig. Als ältester ziviler Luftfahrtverband in Deutschland vertritt die ADV – Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen – die Interessen von 32 Flughäfen bundesweit.
Source: welt.de