Weniger Kinder: Was gegen den Geburtenknick hilft – oder nachrangig nicht

Regierende anderer Länder haben das Problem sinkender Geburtenzahlen dagegen zur Chefsache erklärt. Der japanische Premierminister Fumio Kishida rief eine „neue Epoche“ im Kampf gegen den Negativtrend aus. Jährliche Zusatzausgaben von umgerechnet gut 23 Milliarden Euro über die nächsten drei Jahre sollen den jungen Japanern die Entscheidung für Kinder erleichtern.

Doch die Geburtenzahlen in Japan sind 2023 noch weiter gesunken. In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron Pläne für eine „demographische Wiederbewaffnung“ verkündet. Frankreich soll „durch die Wiederbelebung seiner Geburtenrate stärker werden“, etwa durch attraktivere Elternzeit.

Die bisherigen Bemühungen reichen nicht aus

Die Kinder- und Familienoffensive, die andere Länder planen, läuft in Deutschland bereits. So klingt es jedenfalls, wenn das Bundesfamilienministerium von Lisa Paus (Grüne) auf die Milliardenbeträge verweist, mit denen der Bund den Ausbau der Kinderbetreuung unterstützt.

Die Ampelregierung habe außerdem staatliche Leistungen für Familien wie das Kindergeld und den Kinderzuschlag erhöht, hob eine Sprecherin gegenüber der F.A.Z. hervor. Damit wolle man „Familien und Menschen mit Kinderwunsch Sicherheit geben und Mut zur Familie machen“. Bemerkenswert ist, was die Sprecherin nicht erwähnte: die ins Stocken geratene Kindergrundsicherung – Paus’ Hauptprojekt, um eine „kinderfreundliche Zukunft zu schaffen“.

Man wolle aber auch gar keine „Geburtenpolitik“ betreiben, stellt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Sönke Rix, klar. Es gehe vielmehr darum, Familien so zu unterstützen, „dass sie ihren Kindern einen guten Start ins Leben ermöglichen können“. Auch Gyde Jensen, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, setzt auf „Wertschätzung“ für Familien. Was die Politik dafür tun kann und soll, sehen Liberale und Sozialdemokraten jedoch unterschiedlich.

SPD und FDP uneins

SPD-Politiker Rix möchte, dass endlich die „Familienstartzeit“ kommt, eine zweiwöchige berufliche Freistellung von Vätern gleich nach der Geburt ihrer Kinder, finanziert von den Arbeitgebern. Die FDP will da nicht mitmachen. „Mit immer großzügigeren Familienleistungen, die letztendlich verpuffen, erreichen wir keine Trendwende“, hebt Jensen hervor.

Aus Sicht der oppositionellen Unionsfraktion kommt es darauf an, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und die Kinderbetreuung zu verbessern. „Stattdessen werden Investitionshilfen für den Ausbau von Kitaplätzen aufkündigt, und die Umsetzung der großen Reformprojekte wie die Ganztagsbetreuung im Grundschulalter dauert ewig“, kritisiert die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Silvia Breher.

Wie die Politik den negativen Geburtentrend stoppen kann, dafür hat auch die Wissenschaft kein Patentrezept. Denn die Misere ist vielschichtig. „Die Geburtenzahl geht in Deutschland einfach auch deshalb zurück, weil weniger Frauen im ,gebärfähigen‘ Alter da sind“, gibt die Sozialwissenschaftlerin Michaela Kreyenfeld von der Hertie School in Berlin zu bedenken. Besonders die östlichen Bundesländer seien betroffen. „Im Osten hatten wir vor etwa 30 Jahren ein Geburtentief.“ Das habe Langzeitfolgen.

Zweikindfamilie weiterhin beliebt

„An sich wünschen sich junge Leute mehr Kinder, die 18- bis 29-Jährigen zuletzt im Schnitt 1,9 je Frau“, sagt Frederick Sixtus, Projektkoordinator Demografie Deutschland am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Das Ideal der Zweikindfamilie sei also immer noch weit verbreitet. Doch viele Paare seien wegen der multiplen Krisen verunsichert – Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, die darauf folgende Wirtschaftskrise und Inflation.

„Die Paare wissen nicht, was die Zukunft bringt“, fasst Wido Geis-Thöne, Ökonom mit dem Schwerpunkt Familienpolitik am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln, zusammen. Die Folge: „Der Kinderwunsch wird aufgeschoben“, so Geis-Thöne.

Das habe auch damit zu tun, dass Erwerbstätigkeit für Frauen viel wichtiger geworden sei. „Frauen schieben heute eher die Familiengründung auf, bis sie eine sichere Position im Arbeitsmarkt erreicht haben, während sie früher die Kinder häufiger auch dann bekommen haben, wenn sie arbeitslos waren“, schildert Michaela Kreyenfeld.

Die Uhr tickt

Doch gerade gebildeten Frauen fehle es an „Fertilitätswissen“, beobachtet die Soziologin Katja Rost von der Universität Zürich. Häufig sei ihnen nicht klar, wie stark die Fruchtbarkeit mit zunehmendem Alter abnehme. Gerade wenn die biologische Uhr für Frauen um die 30 Jahre ticke, komme es oft noch zu Partnertrennungen. „Irgendwann ist es dann zu spät für ein Kind, oder es fehlt der geeignete Partner“, fasst Rost zusammen.

Das Aufschieben des Kinderwunsches spiele auch für die Geburtenentwicklung in Deutschland eine nicht unerhebliche Rolle, bestätigt Helmut Rainer, Leiter des Ifo Zentrums für Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsökonomik in München. Modellrechnungen zeigten, dass sich bis zu 15 Prozent der Fälle von Kinderlosigkeit hierzulande durch relativ späte Versuche der Familiengründung in Verbindung mit abnehmender Fruchtbarkeit erklären ließen.

Bemerkenswert sind auch Forschungsergebnisse aus den Vereinigten Staaten, wo ebenfalls immer weniger Kinder geboren werden. Eine Studie aus dem Jahr 2022 („The Puzzle of Falling US Birth Rates since the Great Recession“) förderte zutage, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 zwar zu der negativen Geburtenentwicklung beigetragen habe. Doch seien keine wirtschaftlichen, politischen oder sozialen Faktoren erkennbar, die den Großteil des Rückgangs erklärten.

Lebensentwürfe im Wandel

Die Autoren vermuten deshalb, ausschlaggebend seien veränderte Einstellungen gegenüber einem Leben mit Kindern gewesen. Wenn es aber so ist, dass individuelle Lebensplanung der Hauptfaktor für den Verzicht auf Nachwuchs ist, dann stellt sich auch hierzulande die Frage, was staatliche Milliardenausgaben für Familien bewirken können.

Positive Effekte für die Geburtenentwicklung hat offenbar ein größeres Angebot an staatlicher Kinderbetreuung. „Unsere Berechnungen zeigen, dass ein Euro, der in den Ausbau der Krippen investiert wird, hier fünfmal effektiver ist als ein Euro, der in eine Erhöhung des Kindergelds gesteckt wird“, sagt der Passauer Ökonom Stefan Bauernschuster, Mitautor einer Studie zu Zusammenhängen zwischen dem Angebot an Kitaplätzen und der Geburtenentwicklung.

Das Kindergeld sei jedoch ebenfalls ein wichtiges Instrument, hebt IW-Ökonom Geis-Thöne hervor. Zwar verzeichne das Statistische Bundesamt vor allem bei Müttern ausländischer Herkunft einen Anstieg der Geburten nach dem zweiten Kind. Aber das reiche nicht, um den Negativtrend bei den Erstgeburten aufzuwiegen. Die Politik sollte gerade auch Paaren der gesellschaftlichen Mitte den Übergang zu dritten und weiteren Kindern erleichtern, fordert Geis-Thöne.

Es kommt auf die richtige Mischung an

Doch konträr dazu habe die Ampelkoalition die an der Kinderzahl orientierte Staffelung des Kindergeldes abgeschafft. Die besondere Wertschätzung gegenüber größeren Familien sei damit weggefallen. „Ein fatales Signal“ für die Geburtenentwicklung, moniert der Ökonom. Was zählt, ist nach Darstellung der Wissenschaftler das Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen, die bessere Bedingungen für Familien schaffen.

Die Entwicklung der Geburtenrate zeigt jedoch, dass dieses Zusammenspiel bisher nicht funktioniert. Fragwürdig ist unter anderem die Wirksamkeit des Elterngeldes, mit knapp 8 Milliarden Euro der bei Weitem größte Einzelposten im Familienministerium. „Es gibt Studien, die positive Effekte finden, andere aber Null- oder negative Effekte“, sagt Wirtschaftsprofessor Rainer.