Weltklimakonferenz: In Baku steht es Spitz uff Knopf

Der Humor stirbt zuletzt, möglicherweise noch nach der Hoffnung. Auf die Frage, ob die Weltklimakonferenz in Aserbaidschan wie geplant am Freitag mit Ergebnissen zu Ende gehen werde, sagt die Klimachefin der Umweltschutzorganisation WWF, Viviane Raddatz, in Baku: „Die Prognosen sehen schlecht aus für Flüge von Teilnehmern, die am Samstag gehen. Wahrscheinlich auch für solche am Sonntagmorgen.“ Dann wird sie ernster: „Der Stand der Verhandlungen ist nicht zufriedenstellend, hier muss noch richtig viel Arbeit einfließen.“

Auch einen Tag vor dem offiziellen Ende der Konferenz am Freitag ist eine Einigung zu den strittigen Punkten nicht in Sicht. Es wird deshalb damit gerechnet, dass die COP29 genannte Veranstaltung der Vereinten Nationen bis zum Wochenende in die Verlängerung geht. Die Präsidentschaft des Gastgeberlandes Aserbaidschan hat Donnerstagfrüh zwar zahlreiche Beschlussentwürfe vorgelegt. An den entscheidenden Stellen klaffen aber noch Lücken, oder es werden gänzlich widerstreitende Formulierungen vorgeschlagen.

Wenn die Tagung nicht scheitern soll, müssen sich die fast 200 vertretenen Regierungen innerhalb weniger Tage einigen, und zwar einstimmig. „Wenn Parteien vom Tisch aufstehen, wird hier nichts mehr passieren“, malt Raddatz das schlimmstmögliche Szenario aus. „Aber noch ist es nicht so weit, es liegen ja verschiedene Optionen auf dem Tisch.“

„Es steht wirklich auf Messers Schneide“

Die Klimafinanzen sind nach wie vor der Hauptstreitpunkt. Es geht um die Zahlungen der Industriestaaten für Programme in den Entwicklungsländern zur Treibhausgasverringerung, zur Klimaanpassung und möglicherweise auch zur Beseitigung klimabedingter Verluste und Schäden. Die Vorlage dazu wurde zwar von 25 auf zehn Seiten gekürzt, zur Abstimmung können aber höchsten zwei, drei Seiten stehen. Wie zäh die Verhandlungen sind, zeigte sich auch daran, dass die Papiere nicht, wie am Mittwoch noch angekündigt, um Mitternacht, sondern erst gegen sieben Uhr am Donnerstagmorgen vorlagen. „Es steht wirklich auf Messers Schneide“, sagt Raddatz.

„Die Zeit für gute Ergebnisse läuft uns davon, während die Klimakrise voranschreitet. Wir müssen sie stoppen, und dafür brauchen wir Geld.“ Alles, was die Weltgemeinschaft heute nicht investiere, falle morgen doppelt und dreifach als Kosten auf sie zurück, sagt die WWF-Vertreterin mit Bezug auf die jüngsten Umweltkatastrophen, die Milliardenschäden verursacht haben.

„Für diese COP gab es eine klare Aufgabe: Mittel bereitzustellen, um weltweit den Klimaschutz, die Anpassung und die Bewältigung von Schäden und Verlusten für die ärmsten Länder zu sichern“, stellt Raddatz klar. „Doch aktuell ist keine Summe im Entwurf zu finden, das bereitet uns große Sorgen.“ Man erwarte von der aserbaidschanischen Präsidentschaft, sich in den letzten Tagen „voll in die Verhandlungen zu werfen und alles daran zu setzen, diese COP zum Erfolg zu führen“.

600 Milliarden Dollar für die ärmeren Staaten

Im Entwurf zu den Finanzen fehlt die entscheidende Zahl, nämlich wie viel Geld die Industrieländer den ärmeren Staaten künftig zahlen sollen. Für die demnächst auslaufende Periode von 2020 bis 2025 waren 100 Milliarden Dollar im Jahr verabredet, doch schafften die Geber diesen Betrag erst 2022; deshalb fehlt noch einiges bis zur Gesamtsumme von 600 Milliarden. Die Entwicklungsländer fordern für die neue Zeitspanne 1300 Milliarden Dollar – im Jahr. Das haben die westlichen Verhandler schon zurückgewiesen, angeblich sind sie aber zu rund 300 Milliarden bereit.

Die EU als ein Hauptakteur bestätigt das nicht, und es steht dazu auch kein Angebot im Text. Den Europäern ist wichtig, erst die Einzelheiten zu klären und ganz zum Schluss einen Betrag einzusetzen. Ihnen geht es darum, dass auch reichgewordene Staaten wie China sowie die Öl- und Gasförderer in den Topf einzahlen und dass sich die Empfänger zu mehr Klimaschutz verpflichten. Klimakommissar Wopke Hoekstra fand in Baku dazu die schöne Formulierung, sonst hätte man „einen Einkaufskorb mit einem Preisschild, ohne dass man genau weiß, was drin ist“.

Die im Text genannten Optionen schließen einander aus, ein Kompromiss ist nicht in Sicht. Die Industriestaaten haben hineingeschrieben, dass die Klimafinanzierung ein kollektives Ziel sei und dass alle Arten von Finanzströmen Berücksichtigung finden müssten; sie wären also nicht allein im Boot, sondern allenfalls als Steuerleute. Die Entwicklungsländer sehen die Verantwortung indes weiterhin allein auf der Nordhalbkugel, wie es einst 2015 in Paris vereinbart worden war.

Die Industrienationen fürchten uferlose Zahlungsansprüche

Unklar ist auch noch, ob es Unterstützung für die Bewältigung von Verlusten und Schäden geben wird. Eigentlich soll ein eigener Fonds dafür bereitstehen, der vor zwei Jahren beschlossen worden war, aber die Empfängerländer hätten diese Aufgabe gern in der Klimafinanzierung verankert. Die Industrienationen sind dagegen, weil sie uferlose Zahlungsansprüche fürchten. Sie haben auch durchgesetzt, dass es keine Unterziele für die Mittelverwendung gibt, etwa für Anpassung, Minderung oder eben für Verluste und Schäden.

Ein Erfolg der Gegenseite ist, dass zur Finanzierung ein Verursacherprinzip gelten soll, welches die fossile Energieindustrie zur Kasse bitten würde. Berücksichtig wurde auch die Forderung, die internationale Finanzarchitektur zu reformieren und dafür zu sorgen, dass vor allem nicht zurückzahlbare Zuschüsse und ähnliche Instrumente vergeben werden, um die Schulden der Begünstigten nicht noch weiter in die Höhe zu treiben. Auch zielt die Formulierung „sich wandelnder Bedürfnisse“ in den Entwicklungsländern darauf ab, dass die Summen über die Jahre steigen dürften.

Was die Vergrößerung der Einzahlerbasis angeht, so werden an einer Stelle „gewillte, sich entwickelnde Staaten eingeladen, zur Unterstützung beizutragen“. Dabei handele es sich aber nur um eine „freiwillige Hilfe, die nicht auf die NCQG angerechnet wird“. Hinter dieser Abkürzung verbirgt sich das neue Klimafinanzierungsprogramm mit dem sperrigen Namen „New Collective Quantified Goal on Climate Finance“. Die „Einladung“ ergeht nicht zuletzt an China, das vergangene Woche auf der COP erstmals von eigenen Leistungen der Klimafinanzierung berichtet hatte, konkret von 24,5 Milliarden Dollar seit 2016. Das sind etwa drei Milliarden im Jahr, nur ein Drittel des deutschen Werts.

Das andere Großthema neben der Finanzierung ist der eigentliche Klimaschutz in Gestalt der Emissionsminderung, etwa über den Ausbau erneuerbarer Energien. Die Ergebnisse des „Arbeitsprogramms Minderung“ MWP fallen ebenfalls unbefriedigend aus. „Nicht nur um das NCQG steht es schlecht, sondern auch um die Prozesse, die die Industrieländer voranbringen wollen und die aus unserer Sicht genauso wichtig sind: nämlich alles, was Klimaschutz angeht“, sagt Raddatz. „Auch da geht es nicht voran.“

Zwar ist das Papier zur Emissionsminderung nur drei Seiten lang, aber aus Sicht von Kritikern bleibt es blutleer und unkonkret. So fehle der Bezug zur Globalen Bestandsaufnahme (Global Stocktake) von der zurückliegenden COP 2023 in Dubai, woraus hervorging, dass die Minderungsanstrengungen verstärkt werden müssten.

Auch weitere Rückgriffe auf die Dubai-Beschlüsse werden vermisst, etwa darauf, dass sich die Welt in einem Übergang weg von fossilen Brennstoffen befinde, dass sie den Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2030 verdreifachen und die Energieeffizienz verdoppeln müsse. Weiterhin ist nicht die Rede davon, dass sich die Nationalen Klimaschutzbeiträge (NDC) am Ziel orientieren müssen, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Die NDC sind die Selbstverpflichtungen der Signatarstaaten des Pariser Klimaabkommens von 2015, sich immer schärfere Emissionsziele zu setzen und darüber regelmäßig zu berichten. Die progressiven Kräfte in Baku setzen jetzt darauf, dass die im MWP verwässerten Minderungsziele verbindlicher in die anderen COP-Beschlüsse einfließen.

Die Fronten beim Thema Minderung verlaufen nicht, wie bei der Finanzierung, zwischen Entwicklungs- und Industriestaaten, sondern zwischen den Förderern fossiler Rohstoffe und den anderen Regionen. So haben offenbar in den MWP-Verhandlungen die arabischen Länder ebenso gebremst wie die „Gleichgesinnte Gruppe von Entwicklungsländern“ (LMDC). Diesem Zusammenschluss gehören unter anderem Bangladesch, Bolivien, China, Indien, Indonesien, Iran und Pakistan an. Die vermeintlich destruktiven Kräfte sitzen also nicht immer nur in den alten Industrieländern.

„Appetit auf eine Einigung“ sei groß

UN-Generalsekretär António Guterres sagte in Baku, auf dem Gipfel der führenden Industrie- und Schwellenländer G 20 in Rio, von dem er gerade zurückkehre, habe die COP29 „ganz oben auf der Tagesordnung“ gestanden. „Ich habe die Staats- und Regierungschefs der G 20 aufgefordert, ihre Minister und Verhandlungsführer anzuweisen, auf der COP29 ein neues ehrgeiziges Ziel für die Klimafinanzierung festzulegen“, verriet Guterres. „Und ich habe gehört, wie ein Staats- und Regierungschef nach dem anderen betonte, wie wichtig konkrete Erfolge seien.“

Die Delegationen und der COP-Vorsitz arbeiteten hart daran, in Aserbaidschan eine gemeinsame Basis zu finden, der „Appetit auf eine Einigung“ sei groß. Es gelte aber auch: „Die Uhr tickt.“ Es müsse in Baku ein „ehrgeiziges und ausgewogenes Paket zu allen anstehenden Fragen“ gefunden werden. „In dessen Mittelpunkt steht ein neues Finanzziel: Ein Scheitern ist keine Option.“

Auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sprach am Donnerstag von einer „schwierigen Phase“ der Gespräche: „Wir alle spüren, dass internationale Krisen und auch ein letztes Aufbäumen der fossilen Welt die Verhandlungen hier erschweren.“ Auf die Delegationen warteten sehr schwierige Stunden: „Die Texte sind in keinem Stadium, das als auf dem Einigungsweg befindlich beschrieben werden kann.“ Sie appellierte an alle Beteiligten: „Wir sollten nicht mehr über die vertraglich vereinbarten Ziele diskutieren, sondern über den Weg, wie wir diese Ziele erreichen.“

Bundesumweltministerin: Auch privater Sektor in der Pflicht

Millionen Menschen litten unter dem Klimawandel, der Milliardenschäden verursache. „Wer Gespräche hier auf der Klimakonferenz in Baku blockiert, wer die Klimaschutzziele grundsätzlich revidieren will, der handelt angesichts der massiven wetterbedingten, klimabedingten Katastrophen alleine der letzten Wochen verantwortungslos.“

Zur Klimafinanzierung sagte die Ministerin, in Baku neue Finanzierungsziele zu vereinbaren sei essenziell. Wenn man über Hunderte Milliarden Dollar rede, dann müsse klar sein: „Die Beiträge müssen nicht nur die Vertragsstaaten leisten, sondern auch der private Sektor, weil die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen dieser Welt die anstehenden Finanzierungen nicht allein stemmen können.“

Deutschland zeige Lösungen auf. So habe ihr Ministerium gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt in Baku 60 Millionen Euro für die Klimaanpassung zur Verfügung gestellt. Damit sei die Bundesrepublik Deutschland „ein wirklicher Vorreiter“.