Wehrpflicht: Boris Pistorius will Erfassung von Wehrfähigen wieder importieren

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will für ein neues Wehrpflichtmodell die vor 13 Jahren ausgesetzte Erfassung von Wehrfähigen wieder aufbauen. Er will nach Informationen von ZEIT ONLINE junge Männer verpflichten, in einem Fragebogen Auskunft über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Dienst in der Bundeswehr zu geben. Sollten sie dann zu einer Musterung geladen werden, wäre die nach Pistorius‘ Plan ebenfalls verpflichtend.

Der Vorschlag des SPD-Politikers ist damit ein erster Schritt hin zur möglichen Wiedereinführung einer neuen Wehrpflicht. Auch Frauen sollen den besagten Fragebogen den Angaben nach zugeschickt bekommen, das Ausfüllen ist für sie jedoch freiwillig.

Pistorius sieht nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa außerdem vor, zusätzliche Kapazitäten in der Bundeswehr für die Musterungen zu schaffen. Er will demnach zunächst die Schritte einleiten, die noch in dieser Legislaturperiode praktisch möglich erscheinen. Für seinen Plan ist den Informationen nach eine Erweiterung des Wehrpflichtgesetzes für junge Männer nötig.

Rund 40.000 Menschen könnten zur Musterung bestellt werden

Militärplaner gehen laut dpa davon aus, dass pro Jahr 400.000 Menschen den
Fragebogen ausfüllen müssen, und sie schätzen, dass ein Viertel davon
Interesse bekunden könnte, also rund 100.000. Vorgesehen ist es, 40.000 Kandidaten davon zur
Musterung zu bestellen. Aktuell gibt es Kapazitäten für eine Ausbildung
von 5.000 bis 7.000 Rekruten, die aber wachsen sollen. Ausgegangen wird
von einem Dienst, der sechs oder auch zwölf Monate dauern kann.

Pistorius stellte seine Pläne am Vormittag dem Verteidigungsausschuss des Bundestags vor. Am Nachmittag will er sie der Öffentlichkeit bei einer Pressekonferenz vorstellen.  

Trotz einer Personaloffensive war die Bundeswehr im vergangenen Jahr auf
181.500 Soldatinnen und Soldaten geschrumpft. Pistorius ließ deshalb
Modelle einer Dienstpflicht prüfen. Er hatte schon bei einer
Regierungsbefragung durchblicken lassen, dass er nicht auf komplette
Freiwilligkeit setzt: „Nach meiner festen Überzeugung wird es nicht
gehen ohne Pflichtbestandteile.“

Wehrpflicht stößt in SPD-Reihen auf unterschiedliche Reaktionen

Der neue Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, der FDP-Politiker Marcus Faber, begrüßte das Vorhaben des Ministers. „Die Bundeswehr braucht eine Aufwuchsfähigkeit. Wir sollten dabei erstmal auf Freiwilligkeit setzen“, sagte Faber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Der Truppe ist mehr gedient, wenn sie Leute bekommt, die Lust auf den Job haben. Dafür sind die Schritte, die Pistorius plant, gut geeignet.“ Zugleich plädierte Faber dafür, die Vorschläge des Ministers noch in dieser Wahlperiode auf den Weg zu bringen. Dazu braucht es zunächst eine Gesetzesvorlage der Bundesregierung.

Auch SPD-Verteidigungsexperte Johannes Arlt begrüßte die
Wehrdienstpläne von Pistorius. Deutschland brauche neben den aktiven
Soldaten und Soldatinnen eine starke Reserve, die sich immer wieder aus
jungen Staatsbürgern regenerieren müsse, sagte Arlt. Für die
Reserve gebe es das Problem, „dass wir zum Großteil auf eine permanent
alternde Kohorte an Männern blicken, die das vierzigste Lebensjahr
bereits überschritten hat“. Viele körperliche Tätigkeiten seien jedoch
„eindeutig besser und leistungsfähiger von Lebensjüngeren zu erbringen“. 

Gegen die Wiedereinführung eines verpflichtenden Wehrdienstes hatte es zuletzt in Teilen der SPD Widerspruch gegeben. So sprach sich SPD-Chef Lars Klingbeil dafür aus, bei der Rekrutierung weiterhin auf Freiwilligkeit zu setzen. „Ich finde, wir sollten es freiwillig probieren, indem wir die Bundeswehr noch attraktiver machen“, sagte er. Kanzler Olaf Scholz (SPD) bremste zuletzt. Die Bewältigung des Personalmangels bei der Bundeswehr bezeichnete er als „überschaubare“ Aufgabe. „Es geht letztendlich darum, wie können wir es erreichen, dass wir
genügend Frauen und Männer davon überzeugen, in der Bundeswehr zu
arbeiten und dort eine Aufgabe für sich zu finden“, sagte er.

Der Grünenvorsitzende Omid Nouripour hatte zum Jahreswechsel eine Wehrpflicht infrage gestellt. „Ich glaube nicht, dass die Wehrpflicht gebraucht wird.“

Die Wehrpflicht war 2011 in Deutschland unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Das kam einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich. Gleichzeitig wurden praktisch alle Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst. Im Wehrpflichtgesetz ist aber weiter festgelegt, dass die Wehrpflicht für Männer auflebt, wenn der Bundestag den Spannungs- und Verteidigungsfall feststellt.