Was jener Berlinale-Gewinner möglichst nicht erzählen möchte
Mit ihrem Dokumentarfilm „Dahomey“ bringt Mati Diop die Restitutionsdebatte ins Kino. Der Berlinale-Gewinner begleitet 26 Kunstwerke zurück nach Benin. Und verpasst dabei so manche Chance, das Thema Kolonialismus angemessen komplex darzustellen. Eine davon: ein Königsthron.
Für alle, die sich im Kino nicht über zwei Stunden mit dem wirren Alterswerk des Starregisseurs Francis Ford Coppola herumärgern wollen, gibt es gute Neuigkeiten: „Dahomey“ ist mit 67 Minuten Laufzeit weniger als halb so lang. Eine Maxi-Packung Popcorn lohnt sich da kaum, zudem der Dokumentarfilm der senegalesisch-französischen Filmemacherin Mati Diop sich in der Tradition des Aufklärungs- und nicht des Unterhaltungskinos versteht. Der überraschende Berlinale-Gewinner ist ein Beitrag zur Raubkunstdebatte – mit einigen erzählerischen und filmischen Schwächen.
2017 kündigte Emmanuel Macron an, dass Frankreich mit der Restitution kolonialer Raubkunst beginnen werde. Entsprechende Forderungen wurden sowohl in den ehemaligen Kolonien als auch von Fachleuten in Frankreich erhoben. Dass der nicht gerade als postkolonialer Vorkämpfer bekannte französische Staatspräsident darauf einging, dürfte nicht zuletzt seiner bröckelnden Autorität durch die Gelbwestenproteste und dem schwindenden Einfluss seines Landes in Françafrique geschuldet gewesen sein. Wie auch immer: 2020 wurden, für den Anfang, 26 Kunstwerke nach Benin gebracht.
Diop begleitet die Kunstwerke auf ihrem Weg von dem Pariser Museum in den Präsidentenpalast von Benin. Über 100 Jahre zuvor nahmen sie mit General Dodds den umgekehrten Weg, der das damalige Königreich Dahomey (daher der Titel des Films) für das französische Kolonialreich eroberte. In „Dahomey“ wird ausführlich gezeigt, wie beispielsweise die Statue des König Ghézo fein säuberlich für die Reise verpackt wird. Langsam wird die Skulptur in die Holzkiste abgelegt und alles verschraubt. Diop schlüpft mit der Kamera mit in das dunkle Innere, wo die Statue zu sprechen beginnt.
Seelenwanderungsperspektive
Es ist ein deutliches Signal, auf welche Seite sich der Film stellt: Er will ganz nah an den Objekten sein, denen er zudem eine Stimme verleihen will. Schade nur, dass Diop dabei nichts Besseres eingefallen ist als ein peinlich verzerrtes Voice-over, dass einem die geplünderte „Seele des Volkes“ näherbringen soll, die nun in ihre Heimat zurückkehrt. Diese Seelenwanderungsperspektive hat einen Kulturbegriff im Gepäck, der mit seiner Vorliebe fürs Verwurzelte und Volksgeistige so angestaubt und befremdend rüberkommt wie der Filmeffekt – auch wenn es griffiger ist als die komplexe Frage nach Besitztiteln.
Ausführlich zeigt Diop auch, wie die Kunstwerke in Benin empfangen werden. Die Kisten werden mit allen Würden empfangen, ausgepackt und in ihre neuen Vitrinen gestellt. Eine große Zeremonie mit bunten Gewändern und Tanz. „Historisch!“, titeln die Zeitungen. Interessant wäre hier gewesen, als Gegenbild ebenso ausführlich die Verabschiedung in Paris zu zeigen. Und zwar sowohl den Staatsakt als auch die inoffizielle Zeremonie, bei der Tausende Menschen – darunter viele aus den ehemaligen Kolonien, die in Frankreich leben – teils stundenlang angestanden haben sollen.
Es sind Stellen wie diese, bei denen man den Eindruck bekommt, dass sich Diop selbst im Weg steht, dass ihre Parteinahme das Dokumentarische beschränkt. So zeigt sie zwar, dass der Thron des Königs mit Mägden und gefesselten Sklaven verziert ist, doch lässt die Chance liegen, den Charakter des titelgebenden Königreichs – nämlich: Eroberungspolitik und Versklavung – stärker einzubeziehen. Oder allgemeiner etwas über Kunst und Ausbeutung zu erzählen. Zeit kann ja, mit Blick auf die 67 Minuten, kaum das Problem gewesen sein.
„Es gibt nur die Träume eines Kontinents“
Die zuvor vermisste Komplexität wird in einer Szene wieder eingeholt, bei der Diop eine Diskussion unter Studenten der Universität Abomey-Calavi filmt. Wo davor eher ein andächtiger Ton vorherrschte (etwas verwunderlich bei einem so kontroversen Thema wie der Debatte über die Rückgabe von Raubkunst), kommt nun die Kontroverse ins Bild – der eindeutige Höhepunkt des Films. Engagiert wird darüber gestritten, was man mit diesen Dingen aus ferner Königszeit überhaupt noch anfangen kann. Handelt es sich überhaupt um Kunstgegenstände, die in ein Museum gehören, oder um Kultobjekte?
Unversehens landet man mitten in den politischen Debatten des Landes, das seit 1960 unabhängig ist und seit 1975 Benin heißt. Ist die Rückführung der 26 Kunstwerke ein „patriotischer Akt“, ein Freudentag für alle Beniner? Oder ist genau das die Propaganda, die so tut, „als gäbe es keine leeren Bäuche in diesem Land“, wie ein anderer Student entgegnet? Allein, wie die Studenten zwischen der Amtssprache Französisch und anderen Sprachen (im Staatsgebiet werden über 50 weitere gesprochen) hin- und herwechseln, zeigt das widersprüchliche Erbe des Kolonialismus in dieser Runde.
„Es gibt nichts wiedergutzumachen. Es gibt nur die Träume eines Kontinents“, heißt es am Ende von „Dahomey“. Das darf man als Botschaft dieses dokumentarischen Essayfilms begreifen, der manchmal so wirkt, als wäre er die nicht auserzählte Vorarbeit zu seiner eigenen Langversion. In ihrem Spielfilm „Atlantique“, der knapp fünf Jahre vor der Berlinale bei den Filmfestspielen in Cannes lief, zeigte Diop einen magischen Realismus, der in „Dahomey“ – trotz schöner Bilder – nicht wirklich funktioniert. Weder der politisch noch der filmisch interessierte Zuschauer wird hier wirklich zufrieden sein.
Source: welt.de