Warum die Deutschen kaum konsumieren
Früher galten die Deutschen als sparsam. Andere Europäer im Westen und Süden beschwerten sich, dass die Nachbarn in der Mitte Europas keine Schulden machen wollten, um mal so richtig den Konsum anzuschieben. Nach der Jahrtausendwende galten die Deutschen dann, dem Werbespruch eines Elektronikmarkts folgend, als geizig. Nachfrageorientierte Ökonomen und Journalisten wetterten gegen die Mentalität des „Geiz ist geil“, ohne zu erklären, wo das Geld für mehr Konsum herkommen sollte.
Heute wundern sich manche Ökonomen und die Regierung, warum der Konsum immer noch sehr verhalten läuft, obwohl er doch schon seit dem vergangenen Jahr das Wachstum beschleunigen sollte. Schließlich steigen nach Jahren des Rückgangs die Realeinkommen wieder, und die Inflation sinkt.
Die Deutschen seien nicht geizig, das halte er für ein Klischee, sagt Robin Winkler. In einer Studie hat der Chefvolkswirt für Deutschland der Deutschen Bank gerade das Konsumverhalten der hiesigen Verbraucher untersucht. Winkler kommt zum Schluss, dass Geiz oder eine besondere Sparsamkeit die Konsumzurückhaltung nicht erklären können. Die Deutschen seien in ihren Konsumvorstellungen nicht „geiziger“ als etwa die Amerikaner, sagt der Ökonom.
Die Konsumneigung der Europäer und der Deutschen unterscheidet sich nach der Studie kaum von derjenigen der Amerikaner, die als sehr konsumfreudig gelten. Der entscheidende Unterschied liegt woanders: „Die Deutschen sind pessimistischer in ihren Einkommenserwartungen“, sagt Winkler. Das ist ein rationaler Grund, um den Konsum einzuschränken. Wer wenig Einkommenszuwachs in der Zukunft erwartet, dem fehlt das Vertrauen, viel Geld auszugeben. Der wird tendenziell eher Geld zurücklegen, um für die Zukunft besser gerüstet zu sein.
Die Verbraucherumfragen des Nürnberger Instituts für Marktentscheidungen (NIM), die von der GFK veröffentlicht werden, deuten darauf hin, dass diese Zusammenhänge in Deutschland wirken. Mit der Corona-Pandemie und dem folgenden Inflationsschock dunkelte sich das Konsumklima in Deutschland so schnell und so tief ein wie noch nie seit Beginn der Erhebung 1993. Selbst 2001, als die Weltwirtschaft nach den Terroranschlägen in New York und Washington in die Rezession stürzte, war das Konsumklima in Deutschland nicht so stark eingebrochen.
Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank, sieht in der aktuellen Entwicklung einen Strukturbruch. Das belegt, warum der Verbrauch zuletzt keine rechte Kraft entwickelte. Winkler spricht von einem „blutleeren Konsum“.
Dann kam der Corona-Schock
Die Gründe dafür liegen in den Erwartungen über ihre Einkommen, die die Verbraucher auf Sicht von zwölf Monaten haben. In den wirtschaftlich recht gut laufenden Jahren zwischen der globalen Finanzkrise 2008/09 und der Corona-Pandemie stiegen die Einkommenserwartungen und die Anschaffungsneigung der Deutschen nach den NIM-GFK-Umfragen in ungeahnte Höhen, während die Sparneigung erheblich zurückging. Mit niedrigen Zinsen, einer niedrigen Inflation, einem sich gut entwickelndem Arbeitsmarkt und einem recht soliden Wachstum schien die Zukunft den Verbrauchern golden.
Dann kam der Corona-Schock. Einkommenserwartung und Anschaffungsneigung brachen drastisch ein, während die Sparneigung in die Höhe schnellte. Der mit den steigenden Energiepreisen folgende Inflationsschock ließ die Einkommenserwartungen weiter wegbrechen. Die Sparneigung stieg weiter.
Seither hat sich das Konsumklima ein wenig verbessert, ist aber nur etwas aufgehellter als im ersten Corona-Tief. Die Deutschen blicken weniger pessimistisch auf ihre künftigen Einkommen, weil in den Lohnrunden zunehmend mehr Geld herausverhandelt worden ist und weil sich die Inflation deutlich abgeschwächt hat. Das gilt vor allem in diesem Jahr. Die Sparneigung der Deutschen aber bleibt – zum Ärger der Regierung – fast unverändert hoch. Und der Wille, Anschaffungen zu tätigen und zu konsumieren, hat sich seit 2022 kaum verbessert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) spricht davon, dass die wirtschaftliche Schwäche hartnäckiger sei, als man es sich bisher eingestanden habe.
Eine tiefe Verunsicherung der Verbraucher nennt Rolf Bürkl vom NIM, der seit vielen Jahren die Verbraucherumfragen betreut, als Ursache für die verhaltene Konsumentwicklung. Er zählt viele Gründe für die Unsicherheit auf, vom Inflationsschock über die hohen Preise bis zur unklaren Wirtschaftspolitik aus Berlin. Die nach wie vor hohen Preise halten Verbraucher ohne Frage vom Konsum ab. Zuletzt lag das allgemeine Preisniveau fast 20 Prozent höher als vor der Pandemie. In Frankfurt schimpfen manche Gastwirte schon lauthals vor den Gästen, dass diese – anders als früher – auf den Nachtisch oder einen Espresso verzichten. Wer im Restaurant neun Euro für eine Flasche Sprudelwasser bezahlen soll, der denkt zweimal nach, ob noch ein Dessert nötig ist.
Winkler von der Deutschen Bank bezweifelt, dass die Kaufzurückhaltung der Konsumenten durch verbliebene Inflationsängste zu erklären sei. Die mittelfristigen Inflationserwartungen hätten sich normalisiert und lägen wieder auf dem Niveau von 2021, sagt er mit Bezug auf Umfragen der Deutschen Bundesbank. Möglich sei, dass die Verbraucher verstärkt Vorsichts- oder Vorsorgekassen aufbauten und deshalb weniger konsumierten. „Die Inflation hat sich spürbar in die realen Ersparnisse vieler Haushalte hineingefressen“, sagt Winkler. Der Rückgang der Immobilienpreise könne dazu beigetragen haben, dass die Menschen sich ärmer fühlten und auf dem Papier auch seien.
Hoffen auf die zweite Jahreshälfte
In diese Argumentation passt, dass die Reallöhne in Deutschland zwar wieder steigen, aber noch nicht schnell oder lange genug. Der Anstieg der Reallöhne reiche noch nicht aus, um die Einkommensverluste im Zuge der Inflation auszugleichen, erklärt Andreas Scheuerle von der Dekabank. Im vergangenen Jahr lagen die Reallöhne nach Angaben des Statistischen Bundesamts noch 5 Prozent niedriger als im Vorpandemiejahr 2019. Nach Einschätzung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung sind die Kaufkraftverluste der Vorjahre erst zur Hälfte durch Tariflohnsteigerungen kompensiert.
Winkler von der Deutschen Bank geht aber noch einen Schritt weiter. Sein Kernargument fokussiert nicht auf die Vergangenheit und den mit dem Inflationsschub verlorenen Wohlstand, sondern auf die Zukunft, auf die erwarteten Einkommen. „Obwohl die durchschnittlichen Nominaleinkommen kräftiger anziehen als die Verbraucherpreise, scheinen viele Deutsche dem Braten noch nicht ganz zu trauen“, sagt Winkler.
Wer die Einkommenszuwächse nicht für dauerhaft hält, der bleibt im Konsum zurückhaltend. Winkler zeigt in der Studie, dass sich die Einkommenserwartungen der Deutschen schlechter entwickeln als die Realeinkommen. Ein Grund dafür mag sein, dass die oft gezahlten Inflationsausgleichsprämien einmalige Zahlungen sind, nicht aber dauerhaft die Kaufkraft der Arbeitnehmer erhöhen.
Die Hoffnung bleibt, dass mit dauerhafteren Tariflohnsteigerungen die Verbraucher Zuversicht fassen und der Konsum sich belebt. „Vom privaten Konsum könnten in der zweiten Jahreshälfte konjunkturelle Impulse kommen“, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. „Wir erwarten nach wie vor, dass der Konsum in den nächsten sechs bis zwölf Monaten endlich anziehen und genug Kraft haben wird, um die deutsche Wirtschaft vor einer erneuten Rezession zu bewahren“, sagt Winkler. „Aber der private Verbrauch könnte zu schwach bleiben, um eine rückläufige Investitionstätigkeit und drohende Exportflaute dauerhaft wettzumachen.“