Wahlkampf | Wahlkampf: Anstatt nachher unten zu treten, lassen wir die Erben zahlen!
Bürgergeld, Einwanderung, Abschiebungen: Jeden Wahlkampf hauen wir auf die schwächsten in unserer Gesellschaft. Warum? Es wird Zeit, über Vermögen, Steuerhinterziehung und Erbschaftssteuer zu diskutieren
Der Wahlkampf stresst mich. Er stresst mich durch seine Themenwahl, durch die Menge an Populismus und durch das ungenierte Hantieren mit Falschinformationen.
Seit der Einführung des Bürgergeldes scheint nichts anderes wichtiger. Bürgergeldempfänger sind gefühlt an allem schuld: an hohen Sozialabgaben, an steigenden Krankenkassenbeiträgen (ah nein, dafür ist Herr Spahn verantwortlich) und am Nicht-Funktionieren der Wirtschaft. Wirklich? Weil rund 16.000 sogenannte Totalverweigerer keine Beschäftigung aufnehmen, geht der Standort den Bach runter? Dabei gibt es offensichtlich Gründe dafür, dass viele der restlichen arbeitsfähigen 1,7 Millionen Bürgergeldempfänger (darunter 800.000 Langzeitarbeitslose) keinen Job finden, den sie ausüben können und wollen.
Doch die Desinformation über das Bürgergeld ist damit noch nicht zu Ende. Es sei zu hoch und verlocke arbeitende Menschen zur Kündigung, weil sie so am Ende mehr hätten als mit ihrem Gehalt. Fakt ist: Arbeitende Menschen haben immer mehr Geld als Bürgergeldempfänger. Sollte es Fälle geben, wo das nicht so ist, dann bezahlt ihnen ihr Arbeitgeber zu wenig.
Hetze GEGEN Arme und Migranten: Wie wäre es mit Vorschlägen FÜR etwas?
Bis jetzt ist der Wahlkampf ein Wahlkampf GEGEN. Gegen Bürgergeldbeziehende, gegen Migranten, gegen Asylbewerber, zusammengefasst: gegen Armutsbetroffene. Besonders von den Blaubraunen werden laufend Ängste gegen Migranten geschürt, aber die CDU/CSU hat sich das längst abgeschaut und ist bei populistischer Hetze gegen Minderheiten und Marginalisierte mit dabei. Besonders enttäuscht bin ich von der SPD, die nicht dagegenhält, sondern denkt, sie kann nicht anders, als zu versprechen, dass auch sie beim Bürgergeld Abstriche machen wird. Wann fangen wir damit an, über Problemlösungen zu reden? Über Inhalte, die für das Land auf lange Sicht positiv sind?
Was braucht eine Politik, die das untere Drittel entlastet? Eine Anti-Armutspolitik, die Armut wirklich bekämpft, und eine soziale Politik, von der ALLE profitieren. Ich kann den Frust und die Abstiegsängste der arbeitenden Mitte verstehen, daher, liebe Arbeiter/innen, bitte geht auf die Straße! Dass die Steuerlast auf der arbeitenden Mitte liegt, ist unfair. Also demonstriert, findet eure Stimme, geht in die Politik, werdet laut! Gebt eurer Abstiegsangst und eurem Frust einen Raum, in dem niemandem geschadet wird.
Lasst Erben Brücken zahlen!
Es kann nicht sein, dass Armutsbetroffenen geneidet wird, dass die Miete vom Amt bezahlt wird. Es darf nicht sein, dass der Sozialneid nach unten uns als Gesellschaft spaltet. Es wird Zeit, nach oben zu schauen und damit ein Tabu zu brechen: Warum sprechen wir nicht mehr über die Superreichen? Über die ungerechte Vermögensverteilung in Deutschland? Über die Ungerechtigkeit der Vererbung von Hunderten Milliarden Euro jedes Jahr, die wir über eine Reform der Erbschaftssteuer wenigstens abmildern könnten?
Menschen mit wenig Geld brauchen soziale Sicherheit. Nur ein sich sozial sicher fühlender Mensch kann produktiv sein. Wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau, mehr Housing-First-Konzepte für Obdachlose und einen Mietpreisdeckel, der wirkt. Bessere Vorsorge gegen Altersarmut wäre mit einem angemessen hohen Mindestlohn abgedeckt.
Und wenn wir die Reichen besser und höher besteuern würden, dann könnten wir auch unsere Infrastruktur reparieren: Wenn eine Brücke einstürzt, sind alle aus dem Häuschen, aber von da zum Schluss, das Geld für die Instandhaltung bei denen zu holen, die es haben, schaffen es nur wenige. Wir könnten dann auch mehr in die Bahn investieren, wenn möglich, sollte sie wieder verstaatlicht werden, das Gleiche gilt für Krankenhäuser. Es wird Zeit, Tabus zu brechen! Bitten wir die Superreichen zur Kasse.
Janina Lütt ist armutsbetroffen. In ihrer regelmäßigen Kolumne auf freitag.de berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen