VW-Krise spiegelt Probleme dieser deutschen Industrie: Die Zäsur von Wolfsburg

Der eskalierende Arbeitskampf im Volkswagen-Konzern strahlt auf die gesamte Republik ab. Die Drohung des Managements mit Werkschließungen und Kündigungen sind eine Zäsur für Europas größten Autohersteller. Sie steht aber auch für die Lage in weiten Teilen der deutschen Industrie. Man mag Friedrich Merz vorwerfen, dass er derzeit auf so ziemlich jedes Thema springt, das ihm den Weg ins Kanzleramt ebnen könnte. Doch wenn der CDU-Chef die Lage in Wolfsburg als Weckruf bezeichnet für die schwindende Wettbewerbsfähigkeit des Standorts, dann hat er einen Punkt getroffen. Denn Volkswagen ist kein Einzelfall.

Im Ruhrgebiet ist der Streit um die Stahlsparte von Thyssenkrupp außer Kontrolle geraten, die großen Autozulieferer Bosch, Continental und ZF durchlaufen allesamt harte Anpassungsprogramme, der weltgrößte Chemiekonzern BASF hat gerade Anlagen in Ludwigshafen geschlossen, weil die Produkte am Weltmarkt preislich nicht mehr konkurrenzfähig sind. Natürlich sind all diese Fälle unterschiedlich gelagert. Und gerade im Fall von Volkswagen wurden in der Vergangenheit schwere strategische Fehler bei der Elektromobilität und Digitalisierung gemacht.

Doch es wäre falsch, die Misere lediglich auf Managementversagen zurückzuführen und die Rahmenbedingungen auszublenden. Umgekehrt wird vielmehr ein Schuh daraus: In guten Zeiten werden die größten Fehler gemacht, werden von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Gewinne großzügig verteilt und Zugeständnisse gemacht, die immer schwerer zu halten sind, je mehr sich das Umfeld ändert.

Heil und die Genossen eilen zu Hilfe

An den aktuellen Vorgängen in Niedersachsen lässt sich das beispielhaft verfolgen. Keine Stadt in Deutschland hängt derart am Tropf eines Konzerns wie Wolfsburg – sie wurde schon als „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ 1938 gegründet. Der Stammsitz der Volkswagen AG brachte Stadt und Land großen Wohlstand. Dabei wurden Lohnzuschläge für die Beschäftigten der Kernmarke VW schon seit Längerem anderswo erwirtschaftet. Entweder von den Schwestermarken Porsche und Audi oder in China, wo jahrzehntelang die Gewinne sprudelten.

Doch während sich die Welt weiterdrehte und die Chinesen auf die Überholspur für die Elektromobilität wechselten, regierten in Wolfsburg die Verharrungskräfte. Die besondere Konstruktion mit der 20-Prozent-Beteiligung des Landes tat ihr Übriges. Die Schutzmacht aus der Staatskanzlei verhinderte überfällige Anpassungen der Produktionskapazitäten.

Auch jetzt eilen Ministerpräsident Stephan Weil seine wahlkämpfenden SPD-Parteifreunde Olaf Scholz und Hubertus Heil zu Hilfe. Gut möglich, dass der Vorstand seine Drohungen ohnehin nur als Verhandlungsmasse mit in die anstehende Tarifrunde nimmt, in welche die IG Metall mit einer abenteuerlich anmutenden Forderung von 7 Prozent zieht.

Orbán ist günstiger

Am Ende aber bleibt die Frage, wie Deutschlands wichtigstes Industrieunternehmen und vor allem die Volumenmarke VW wettbewerbsfähiger werden können. Wenn die tschechische Schwestermarke Skoda dreimal produktiver arbeitet als VW, ist die Fahrtrichtung klar. Man muss gar nicht bis nach Asien gehen, um zu sehen, warum hiesige Unternehmen zunehmend Produktion verlagern. Die Arbeitskosten für die Industrie sind in Deutschland mit 46 Euro je Stunde mehr als doppelt so hoch wie in der Tschechischen Republik.

Und wer sich fragt, warum das von Viktor Orbán zunehmend autokratisch regierte Ungarn in schöner Regelmäßigkeit Milliardeninvestitionen vermeldet, findet einen Teil der Antwort in Arbeitskosten von nicht einmal 14 Euro. Dazu kommen flexiblere Arbeitszeiten und weniger Bürokratie in Mittelosteuropa. Wer weiter in Deutschland produziert, muss sich das wortwörtlich leisten können.

Vor einem Vierteljahrhundert brach der „Neue Markt“ zusammen. Anschließend rollte eine schmerzhafte Umstrukturierungswelle durch die deutsche Wirtschaft, die den traurigen Rekord von mehr als 5 Millionen Arbeitslosen hervorbrachte. Jedoch steigerten Unternehmen dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit, und es folgte ein lange Wachstumsära, die nur von der Weltfinanzkrise unterbrochen wurde. Nun steht abermals eine Phase an, in der die Finanzchefs das Zepter schwingen und Kostenmanagement im Zentrum steht. In solchen Lagen ist der Druck auf vermeintliche Retter aus der Politik groß.

Doch es gilt die Erkenntnis: Wenn das Geschäftsmodell nicht mehr trägt, sind Anpassungen unvermeidlich. Öffentliche Hilfen verlängern oft nur das Leid (bis nach der nächsten Wahl). Statt an Symptomen herumzudoktern, muss die Politik rasch die Ursachen angehen und für wirtschaftsfreundliche Bedingungen am Standort sorgen. Sie muss endlich Bürokratie abbauen, Infrastruktur sanieren, für eine verlässliche Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen sorgen, den Arbeitsmarkt flexibilisieren und dynamisieren. Von der Ampelregierung ist diesbezüglich aber wohl nicht mehr viel zu erwarten.