VW-Chef Blume: Leben nicht in einer „Wünsch-Dir-Was-Welt“
Mit einer Warnung vor wachsendem Wettbewerb und rückläufiger Nachfrage hat sich der Vorstandschef des Volkswagen-Konzerns, Oliver Blume, am Mittwochvormittag auf einer Betriebsversammlung in Wolfsburg an Tausende Beschäftigte des Stammwerks gewandt. Es seien dringend Schritte nötig, „um die Zukunft von Volkswagen abzusichern“, sagte der Manager auf dem Treffen in Halle 11, wo VW regelmäßig die Beschäftigten zusammenruft.
Blume sagte, die Situation sei „ernst“. Neue Rivalen drängten mit nie dagewesener Kraft in den Markt, der Preisdruck sei „immens“. Gleichzeitig müsse sich VW in China, dem einst sehr lukrativen Markt, erst wieder nach vorn arbeiten. Dort hatte VW zuletzt immer mehr Marktanteile an lokale Rivalen verloren und Ertragskraft eingebüßt, die jetzt auf der ganzen Welt zu Einsparungen zwingt. In Deutschland seien die Arbeitskosten zu hoch, darauf müsse VW reagieren, sagte Blume. „Die Pläne dafür liegen auf dem Tisch.“
Die Gewerkschaft und das Management ringen seit Anfang September um verschärfte Einsparungen, um auf die schwache Nachfrage zu reagieren und unterausgelastete Werke effizienter zu machen. Eine Einigung zeichnet sich bisher nicht ab. Das Gegenkonzept von IG Metall und Betriebsrat für Einsparungen ohne Entlassungen und Werksschließung hatte der Konzern zuletzt als unzureichend zurückgewiesen. Blume sagte, der Vorschlag sei nur ein „Startpunkt“, reiche aber „leider bei weitem noch nicht aus“. Deshalb müsse VW jetzt weiter verhandeln.
Am kommenden Montag treffen beide Seite zur vierten Verhandlungsrunde zusammen. Betriebsratschefin Daniela Cavallo erwartet dann eine Weichenstellung: Entweder komme es zu einer Annäherung, oder zu einer weiteren Eskalation.
Autos müssen Gewinn abwerfen
Vorstandschef Blume betonte in Wolfsburg, das Management arbeite nicht in einer „Wünsch-Dir-Was-Welt“, sondern fälle Entscheidungen in einem Umfeld das sich rasant verändere. Dazu zählt er chinesische Wettbewerber, die in Europa zwar noch nicht groß sind, aber wachsen wollen, auch mit eigenen Werken vor Ort. Er wies Vorwürfe zurück, wonach das Management die Krise mit vielen falschen Produktentscheidungen allein zu verantworten habe.
„Unsere Produkte sind gut, jetzt müssen wir mit den Kosten runter – in allen Bereichen“. VW könne die besten Autos der Welt bauen, doch das spiele keine Rolle, wenn der Konzern damit kein Geld verdiene. Blume appellierte außerdem an die Beschäftigten, die langfristige Relevanz der Sparpläne nicht aus dem Blick zu verlieren. Es gehe auch um die Kinder und Enkel, „die hier noch eine Zukunft haben sollen“, rief er den Beschäftigten zu. In der Halle und rundherum hatten sich etwa 20.000 Mitarbeiter versammelt, viele brachten Protestbanner mit und machten mit Trillerpfeifen ihrem Ärger Luft. Um dem Andrang gerecht zu werden, wurde die Veranstaltung auch nach draußen auf große Leinwände übertragen.
Im Fokus steht vor allem die Stammmarke VW, deren Rendite zuletzt weit unter den Erwartungen zurückgeblieben ist und zu wenig Geld einnimmt, um die eigenen Investitionen zu finanzieren. Der Chef der Marke, Thomas Schäfer, betonte, dass VW mit der der aktuellen Struktur und der Überkapazität „nicht zukunftsfähig“ sei.
Betriebsratschefin Cavallo hielt in ihrer Rede mit aller Kraft dagegen. Der Vorstand breche mit der „VW-Kultur“, wonach Beschäftigung und Wirtschaftlichkeit bislang gleichrangige Ziele waren und Werkschließungen ein Tabu. Er biete mit seinem Vorgehen auch eine „Steilvorlage für das, was unser Negativbild in der Öffentlichkeit seit Wochen prägt“ und er beschädige damit das Ansehen der Marke.
Arbeitsminister spricht zur Belegschaft
Auf der Betriebsversammlung trat auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf. Was er den Beschäftigten in seiner Rede sagte, drang zunächst nicht nach außen. Zum Ringen in Wolfsburg hatte er schon vor Monaten geäußert, es müsse das Ziel sein, „dass alle Standorte gesichert sind“ und betriebsbedingte Kündigungen „wo immer es geht“, vermieden werden. Gleichzeitig hieß es, dass sich die Politik nicht in Tarifgespräche einmische. Zu Details der laufenden Haustarifverhandlungen werde Heil sich vor den Beschäftigten nicht äußern.
Nach dem Ende der Ampel-Koalition ist die Kanzler-Partei SPD mitten im Wahlkampf für die Neuwahl des Bundestags am 23. Februar. In der Krise der Autoindustrie will sie sich als Vertreterin klassischer Wählergruppen wie der gewerkschaftsnahen Industriearbeiterschaft positionieren. Die Unternehmen will sie mit neuer staatlicher Förderung für den Kauf von E-Autos stützen. Außerdem will der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz verhindern, dass nächstes Jahr hohe Strafen fällig werden, weil Konzerne wie VW die CO2-Vorgaben der EU verfehlen.
Im VW-Konzern ist der Einfluss der Politik seit jeher groß, und Politiker sind regelmäßig zu Gast auf Betriebsversammlungen. Im Februar 2023 war Olaf Scholz persönlich vor Ort und beteuerte in seiner Rede, die betriebliche Mitbestimmung sei ihm „ein ganz persönliches Herzensanliegen“. Ende 2021 kam Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), im Jahr 2008 Scholz‘ Vorgängerin im Kanzleramt, Angela Merkel (CDU).
Mit dem Ende der Friedenspflicht im Ringen um den Haustarif sind in dieser Woche zudem Warnstreiks angelaufen. Allein in Wolfsburg legten rund 47.000 Beschäftigte für zwei Stunden die Arbeit nieder. An allen neun betroffene Standorten des VW-Konzerns waren es nach Angaben der Gewerkschaft in Summe fast 100.000 Mitarbeiter. Auch auf der Betriebsversammlung Anfang September gab es schon lautstarke Proteste. Die Belegschaft begrüßte den Vorstand damals mit Transparenten und Sprechchören. 25.000 Teilnehmer wurden gezählt.