Verkehrswende: Der Umstieg hinauf dies Rad rechnet sich

Leonarda Tyralla ist eine Unternehmerin, wie sie sich grüne Stadtplaner wünschen. Die Physiotherapeutin aus dem Frankfurter Stadtteil Harheim verzichtet seit Jahren bewusst auf ein Auto, zu Patienten fährt sie jeden Tag mit dem Lastenrad. Das gehe sehr gut, erzählt sie. Was sie benötige, passe in einen Rucksack. Eine Klappliege brauche sie nicht. Kein Auto zu fahren, habe für sie nur Vorteile, sagt sie: „Man bleibt fit, steckt nicht im Stau und kann zwischen Terminen mental abschalten.“

Wie Tyralla sollten noch viel mehr Unternehmer auf Zweiräder umsteigen, meinen längt nicht nur Grünen-Politiker, sondern auch kommunale Wirtschaftsförderer. Gerade in einer Großstadt wie Frankfurt, in der weitere Hochhäuser in der Innenstadt gebaut werden und immer mehr Arbeitsplätze und Wohnungen auf engem Raum entstehen. „Wenn alle Arbeitnehmer und Bewohner mit dem Auto kommen, kann das nicht funktionieren“, sagt Ansgar Roese, Geschäftsführer der Frankfurter Wirtschaftsförderung, in einer Diskussionsrunde der Stadt und der Messe Eurobike zum „Wirtschaftsfaktor Fahrrad“.

Die Befürworter der Mobilitätswende wollen heraus aus ihrer diskursiven Defensive: Sie wollen nicht länger als mutmaßliche Autofeinde angegriffen werden, etwa weil sie beliebte Straßen wie den Frankfurter Oeder Weg in Fahrradstraßen umwandeln oder weil sie auf Hauptverkehrsrouten eine Spur rot überpinseln, damit dort nur Räder verkehren. Von einem ideologischen Kampf gegen Autos sprechen Kritiker, er richte gegen die Interessen von Anwohnern, Pendlern und Händlern.

325.000 Arbeitsplätze in der Fahrrad-Branche

Dieser Erzählung wollen die Verkehrswendebefürworter nun offensiver als bisher entgegen treten. Nicht nur mit der Umwelt wollen sie argumentieren, sondern auch mit Kosten: Das Fahrrad sei auch ökonomisch das sinnvollste Verkehrsmittel, sagt Dezernent Siefert. Es koste am wenigsten, nehme am wenigsten Platz weg und sei zugleich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

45 Milliarden Euro Umsatz werde jährlich mit Rädern erwirtschaftet, referiert der Unternehmer Ralf Kindermann, unter anderem Aufsichtsrat beim Onlinehändler Bike24 und beim Dienst-Leasinganbieter Jobrad. Etwa 325.000 Arbeitsplätze gebe es in der Branche. Seit 2019 habe ihr Umsatz um rund 50 Prozent zugelegt, auch wegen des Trends zu E-Bikes, die teils mehr kosten als ein Gebrauchtwagen. Kindermann widerspricht zugleich der Behauptung, Radstraßen schadeten dem Einzelhandel: „Fahrradfahrer geben zwar etwas weniger aus, kommen aber dafür öfter“.

Ähnliches hatte eine Studie der Fachhochschule Frankfurt im Oeder Weg ergeben. Dort gaben zwei Drittel der Gewerbetreibenden an, seit Einführung der Radvorfahrt keine Umsatzbußen zu verzeichnen. Die IHK Frankfurt glaubt dieser Studie nicht. Laut ihrer Umfrage wollen acht von 23 befragten Händler ihre Geschäfte dort schließen.

„Das Fahrrad schafft Arbeitsplätze“, sagt Sandra Wolf, die Chefin des südhessischen Fahrradherstellers Riese und Müller. Viele Komponenten von Fahrrädern werden in Deutschland hergestellt, sagt sie. Die Frankfurter Wirtschaftsförderung verweist auf die Leitmesse Eurobike, die seit 2022 in der Stadt stattfindet und Anfang Juli 2024 auf abermals 70.000 Besucher und 1900 Aussteller hofft. Das ist aber weit weg von der Weltautomesse IAA, die nach dem Weggang aus Frankfurt in München 500.000 Besucher zählte.

Und trotz aller neuen roten Radwege: Zwei Drittel aller Pendler nutzen weiterhin das Auto, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. Nur jeder Zehnte nimmt das Rad. Dabei ist bei jedem zweiten Pendler der Arbeitsweg kürzer als zehn Kilometer.

Statussymbol Auto verhindert Umstieg aufs Rad

Bei ihnen sehen Stadtplaner und Unternehmer das größte Potential zum Umstieg. Doch dafür müsse investiert werden. In vielen Städten fehle eine passende „Parkinfrastruktur“, sagt Wirtschaftsförderer Roese. Gemeint sind etwa Stahlbügel und Platz, um teure Elektro. oder Lastenräder vor den Büros oder Geschäften anzuschließen. Arbeitgeber müssten zudem Schließfächer, Akkuladestationen oder Duschen einrichten, damit sich von Radfahren verschwitzte Pendler frisch machen können. „Das ist gerade für jüngere Mitarbeiter ein Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers“, glaubt Roese.

Doch dass ökonomische Argumente nicht immer durchdringen, kann die Physiotherapeutin Tyralla erzählen. Als sie mal mit ihrem Lastenrad bei Patienten vorfuhr, wurde sie gefragt: „Haben Sie etwa kein Geld für ein Auto?“ Ihre Erkenntnis: So lange viele den individuellen Status an der Größe des eigenen Autos messen, wird es schwer mit dem Umstieg auf platzsparende günstige Fahrräder.