„Verhalten dieser Staatsanwaltschaft Köln ist schäbig“

Zum Prozessauftakt gegen Kai-Uwe Steck, eine der Schlüsselfiguren im Cum-ex-Steuerskandal, hat dessen Verteidigung vor dem Landgericht Bonn schwere Vorwürfe gegen die Kölner Staatsanwaltschaft erhoben. „Der Angeklagte wurde zum Objekt staatlichen Handelns, indem ihm der Anspruch auf ein faires Verfahren verweigert und ihm über Jahre hinweg die alleinige Rolle eines Zeugen zugewiesen wurde“, kritisierte Strafverteidiger Gerhard Strate das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörde.

Zudem warf er den Ermittlern der Staatsanwaltschaft Köln und des Landeskriminalamtes in Düsseldorf massive Fehler in den Vernehmungen vor, bis hin zur möglicherweise strafbaren Falschbeurkundung von Aussagen.

Zehn Jahre Ermittlungen

Die Anklagebehörde hatte erste Ermittlungen gegen Steck wegen des Anfangsverdachts der Steuerhinterziehung durch Cum-ex-Aktiendeals bereits im Sommer 2013 aufgenommen, bis zum Abschluss aber mehr als zehn Jahre gebraucht. Eine Anklage gegen den Kronzeugen liegt seit April dieses Jahres vor.

In ihrer Anklage wirft die Staatsanwaltschaft Köln Steck acht Fälle der besonders schweren Steuerhinterziehung im Zeitraum von 2007 bis 2015 vor. In drei weiteren Fällen sei es nicht zu einer Rückerstattung der mehrfach beantragten Kapitalertragsteuer gekommen. Als Kapitalmarktfachmann soll Steck Fonds etwa für Warburg Invest oder die Varengold Investment AG strukturiert haben. Die Höhe des Schadens für den Fiskus beziffert die Staatsanwaltschaft auf 428 Millionen Euro. Davon soll sich Steck, wie auch der Steueranwalt Hanno Berger – sein mittlerweile rechtskräftig verurteilter ehemaliger Kanzleipartner –, rund 28,6 Millionen Euro an Gewinn gesichert haben. Mehr als elf Millionen Euro davon soll Steck bereits an das Bundeszentralamt für Steuern zurückgezahlt haben, heißt es vonseiten der Verteidigung.

Es ist der erste Cum-ex-Strafprozess seit dem Ausscheiden von Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker aus dem Staatsdienst. Von Köln aus hatte Brorhilker über ein Jahrzehnt die Ermittlungen gegen Banken, Fondsanbieter, Broker, Berater und Anleger vorangetrieben. In der von ihr geleiteten Hauptabteilung waren zwischenzeitlich 35 Staatsanwälte mit mehr als 100 Ermittlungskomplexen und 1700 Beschuldigten befasst. Im Frühjahr hatte Brorhilker die Behörde überraschend verlassen und war im Juni als Ko-Geschäftsführerin zur Bürgerbewegung Finanzwende gewechselt.

Großer Anteil des Kronzeugen

Rechtsanwalt Gerhard Strate veröffentlichte anlässlich des Prozessauftakts vor der 12. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn eine Erklärung. Darin hebt er den großen Anteil des Kronzeugen an den Ermittlungserfolgen und der Rückführung der Cum-ex-Beute hervor. Zwischen November 2016 und Januar 2018 hatte sich Steck in 20 Vernehmungen den Fragen der Staatsanwaltschaft und der Beamten des Landeskriminalamtes gestellt. „Alle Verästelungen und Facetten“ der bis dahin bekannten Formen von Steuermodellen wie Cum-ex-Geschäften, an deren Entwicklung er neben Berger teilweise selbst beteiligt war, habe er offenbart, erklärt Strafverteidiger Strate. Insofern seien die Aussagen nicht nur Beiträge zur Aufklärung des Sachverhalts. „Sie waren durchweg auch Geständnisse in seiner Rolle als Beschuldigter.“

Auch auf die unmittelbaren Folgen für den Fiskus von Bund und Ländern weist Strate hin: Mehr als 835 Millionen Euro an Rückzahlungen gebe es in Fällen, die letztlich auf die Aussagen Stecks zurückgehen.

Dann mahnt die Verteidigung die nicht vorhandene klare Linie im Ermittlungsverfahren an. In einem Schreiben Brorhilkers an die Generalstaatsanwaltschaft sei schon im Juni 2017 die Rede von Stecks „umfassendem Geständnis“ gewesen – „weshalb wird erst fast sieben Jahre später, am 24. April 2024, gegen Herrn Dr. Steck Anklage erhoben?“ Aus Sicht von Strate war der geläuterte Beschuldigte in der Obhut von Brorhilker längst zum Hauptbelastungszeugen der Anklage geworden.

Zeuge in neun Strafprozessen in Bonn

Und in der Tat: Vom ersten Cum-ex-Strafprozess gegen zwei frühere Börsenhändler der Hypovereinsbank an sagte Steck bis April 2024 in neun Strafprozessen am Landgericht Bonn als Zeuge aus, teils an mehreren Verhandlungstagen. Das betrifft auch das Strafverfahren gegen seinen beruflichen Ziehvater Hanno Berger. Viele Entscheidungen der Bonner Strafkammer würden sich in ihren schriftlichen Urteilsgründen maßgeblich auf die Bekundungen seines Mandanten stützen, sagt Strate. Sogar in dem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs von 2021, wonach Cum-ex-Geschäfte als strafbare Steuerhinterziehung zu ahnden sind, werde Steck wörtlich zitiert. In seinen mehr als 40 Jahren als Strafverteidiger hält Strate das für einen „seltenen, wenn nicht sogar einmaligen“ Vorgang.

Anne Brorhilker, ehemalige Chefermittlerin zu Cum-ex und Oberstaatsanwältin a.D.
Anne Brorhilker, ehemalige Chefermittlerin zu Cum-ex und Oberstaatsanwältin a.D.dpa

Als Nächstes spricht der Verteidiger einen Aktenvermerk vom 15. Dezember 2016 an. Dessen brisanter Inhalt könnte die Position der Ankläger massiv erschüttern. Brorhilker öffnete Steck darin die Tür für eine mögliche Strafmilderung beziehungsweise das Absehen von der Strafe nach Paragraph 46b Strafgesetzbuch, wenn dieser aktiv an der Sachverhaltsaufklärung mitwirkt. Wie Strate in seinem Eingangsvortrag betont, sei der Angeklagte ab 2017 dann auf seine eigene Initiative hin zu anderen Cum-ex-Akteuren gefahren und habe mehrere zur Kooperation bewegen können. In der Folge habe Brorhilker im Frühjahr 2017 gegenüber den drei damaligen Verteidigern den Eindruck vermittelt, dass sie die Ermittlungen gegen Steck einstellen wolle.

Plante Brorhilker eine Einstellung?

Um seine Behauptung zu untermauern, verweist Strate auf den Mailverkehr zwischen Strafverfolger, dem Angeklagten und der Verteidigung im Jahr 2017. „Sie sind vom Wortlaut her eindeutig und belegen eine Verfahrensabsprache zwischen der Staatsanwältin Brorhilker und den Verteidigern, gemeinsam eine Einstellung des Verfahrens gemäß Paragraph 153b Absatz 1 Strafprozessordnung anzustreben.“ In einem Parallelverfahren waren hessische Staatsanwälte offenbar bereit, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage in Millionenhöhe einzustellen. Für Steck hätte dies das Ende aller Ermittlungen gegen ihn bedeutet. Am 24. März 2017 habe Brorhilker dazu in einem Gespräch ihre Zusage gegeben, erklärt Strate. „Da beißt die Maus keinen Faden ab.“

Das Dilemma des Strafverteidigers: Ihm fehlt dafür der schriftliche Beweis. Strate schlussfolgert dies aus den Honorarforderungen der früheren Verteidiger an Steck, die für den Fall einer Einstellung vereinbart worden waren. Zu dem Gespräch fehlt aber in der Ermittlungsakte ein Aktenvermerk. Stecks Verteidigung spricht von „grober Missachtung“ der in rechtsstaatlichen Strafverfahren üblichen Vorgaben.

Es soll nicht die einzige Lücke in dem Ermittlungsverfahren gegen Steck sein, auf dessen Aussagen mehrere rechtskräftige Urteile gegen andere Cum-ex-Profiteure aufbauen. 21 weitere fehlende Aktenvermerke moniert Strate im Zeitraum von Oktober 2016 bis Ende Oktober 2023. Dieses Manko werde nicht wettgemacht, sondern eher verdoppelt, wenn zu viel protokolliert wurde – „also in den staatsanwaltschaftlichen Protokollen Dinge als gesagt und gefragt protokolliert werden, die gefragt und gesagt worden sind“.

Ermittler übernehmen Entwürfe von Steck

Damit leitet Strate seine stärkste Attacke gegen die Staatsanwaltschaft ein. Auf mehreren Seiten seines Eingangsvortrags beschreibt er minutiös, wie Steck persönliche Erinnerungsprotokolle vorschrieb und diese über seine früheren Verteidiger an die Ermittlungsbeamten in Düsseldorf weitergeleitet wurden. Ganze „Protokollentwürfe“ samt Tipp- und Schreibfehlern seien so in die Originale der Vernehmungsprotokolle gelangt. Manchmal habe Steck sogar Fragen der Vernehmungsbeamten sowie von Brorhilker eingebaut, die diese nie gestellt haben. Auch solche finden sich in den Originalen. Das Ergebnis, Strate bezeichnet sie als „Copy and Paste“-Aktivitäten, findet sich in zahlreichen Protokollen.

„Diese Verfahrensweise ist nichts rechtens“, mahnt der Verteidiger. „Fast alle staatsanwaltlichen Protokolle im Jahr 2017 sind von dieser Machart.“ Zwar soll es Teile geben, die die Vernehmung tatsächlich wiedergeben. Doch „fast jedes Protokoll“ beinhalte einen weiteren, in der Regel umfangreicheren Teil, der sich als wörtliche Übertragung der von Steck vorgefertigten Erinnerungen darstelle, ohne dass der Angeklagte diese noch einmal mündlich vorgetragen habe.

„Ein derartiges Protokoll entspricht aber nicht den gesetzlichen Vorschriften. Es ist eine mittelbare Falschbeurkundung im Sinne von Paragraph 271 Strafgesetzbuch“, hält Strate der Staatsanwaltschaft Köln vor.

Noch bevor es in die Beweiserhebung geht, stellt die Verteidigung von Steck daher mehrere Anträge. Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt sollen die übersandten „Protokollentwürfe“ von Steck zur Akte nachreichen. Außerdem sollen die Staatsanwälte ihre internen Aktennotizen aus dem Frühjahr 2017 offenlegen. Strate will damit im Prozess öffentlich machen, dass innerhalb der Staatsanwaltschaft Köln schon im März 2017 ein Konsens darüber bestand, die Ermittlungen gegen Steck einzustellen. Sollten sich in der Behörde keine Aktennotizen finden, verlangt Strate vom Gericht die Einholung dienstlicher Äußerungen der früheren Chefermittlerin Brorhilker und ihrer damaligen Vorgesetzten.

„Spielball“ der Staatsanwaltschaft

Nach der Zusicherung sei nichts mehr passiert. Statt seinem Mandanten ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewähren, sei er zum „Spielball“ taktischer Überlegungen in Köln geworden. „Das Verhalten der Staatsanwaltschaft ist schäbig. Es ist auch kurzsichtig“, sagt Strate. Der Umgang mit Steck werde sich herumsprechen. Wer auch immer Regung verspüre, die Fronten zu wechseln, werde es sein lassen. Hanno Berger – Strippenzieher hinter vielen Cum-ex-Geschäften – sitze allein aufgrund der Aussagen seines Mandaten ein.

Strate schließt seinen Vortrag mit einer düsteren Prognose für die strafrechtliche Aufklärung des größten Steuerbetrugs der deutschen Geschichte. Dank der Staatsanwaltschaft Köln werde es derartige Aussagen nicht mehr geben. „Die zahlreichen Hanno Bergers, die es immer noch gibt, werden wieder das Sagen haben.“