US-Wahlkampf: Politik mit Sonderangebot

Mit Wahlprogrammen halten sich die beiden amerikanischen
Parteien nur ungern auf. Zwar produziert in der Regel ein großes Komitee in
enger Abstimmung mit dem Präsidentschaftskandidaten ein ausgefeiltes Dokument voller konkreter
und luftiger Ankündigungen, doch die Bedeutung dieser
Papierberge ist zumeist überschaubar. Ähnlich hält es auch Vizepräsidentin Kamala Harris. Am
vergangenen Freitag präsentierte sie während einer Rede unscharfe Umrisse ihres
Wirtschaftsprogramms. „Zusammen werden wir das bauen, was ich eine Chancenwirtschaft nenne“, versprach die Kandidatin. Erfolgreich zu sein, das soll allen Amerikanern wieder leichter möglich werden. Im Zentrum des Plans: die Senkung der Lebenshaltungskosten. Schließlich sind die gestiegenen Preise für viele Amerikaner das größte Problem, das die Politik aus ihrer Sicht zu lösen hat.

Es ist keine Revolution, die die Kandidatin da vorschlug.
Harris versprach Steuernachlässe für Familien mit Kindern – inklusive
Gutschriften, die in Form von Schecks ausgezahlt werden sollen. Eine solche
Maßnahme hatte Joe Biden als Teil seines ersten Covid-Rettungspakets im
Frühjahr 2021 eingeführt. Nach einem Jahr lief sie wieder aus, doch gerade
unter Demokraten war sie enorm beliebt. Die Gutschrift wirkte etwa wie ein
amerikanisches Äquivalent zum deutschen Kindergeld und zeigte schnell Wirkung.
Die Kinderarmut in den USA halbierte sich, während die Maßnahme in Kraft war.
Kein Wunder also, dass Harris sie wieder einführen will.

Überhaupt setzt die Kandidatin auf Populäres. Harris
verspricht, durch eine Neubauoffensive mehr Wohnraum zu schaffen und so die
Mietkosten zu senken. Sie will Immobilienspekulationen erschweren und Käufern,
die sich ihr erstes Haus anschaffen, mit einer Steuergutschrift in Höhe von
25.000 Dollar den Start erleichtern. Und sie will den hohen Preisen für
Lebensmittel und verschreibungspflichtige Medikamente etwas entgegensetzen
– im
Arzneimittelbereich durch Verhandlungen mit den Pharmakonzernen, bei Nahrungsmitteln
durch neue Regulierungen, die Preissteigerungen begrenzen sollen.

Der Gier der Konzerne zu verdanken

Preiskontrollen also. In der Bevölkerung ist das Konzept
beliebt. Eine Studie der Harvard University kam etwa jüngst zu dem Schluss,
dass ein großer Teil der Konsumenten glaubt, die höheren Preise im Supermarkt
seien vor allem der Gier der Konzerne zu verdanken. Doch Ökonomen teilen diese
Sichtweise in der Regel nicht.

Übermäßige Preisaufschläge könnten sich
Unternehmen eigentlich nur dann erlauben, wenn sie über ein Monopol verfügten,
erklärte etwa Greg Mankiw, ehemals Leiter des Council of Economic Advisers im
Weißen Haus, dem Wall Street Journal. Gerade im Lebensmittelbereich
stünden die Hersteller im Wettbewerb miteinander. „Wir gehen davon aus, dass
Unternehmen immer gierig sind und dass es die Kräfte des Wettbewerbs sind, die
die Preise nahe an den Kosten halten“, sagte Mankiw.

Doch nicht nur deshalb ist das Instrument umstritten. „Es
kann sehr schwierig sein, eine Preiskontrolle zu schaffen, die nicht
manipulierbar ist“, sagt Michael Sinkinson, ein Wirtschaftswissenschaftler an
der Kellogg School of Management der Northwestern University. „Wie kann man
eine Preiskontrolle festlegen? Was ist die richtige Höhe?“ Soll heißen: Die
Umsetzung einer solchen Maßnahme wäre höchst schwierig.

Team Harris stört das gleichwohl kaum. Die Kandidatin setzt
auf Vorschläge, die beliebt sind – und hält sich mit Details zurück. Schon als Generalstaatsanwältin von Kalifornien versuchte sie, sich aus
politischen Streitfragen so gut es ging herauszuhalten. Auch als Senatorin und
Vizepräsidentin manövrierte sie vor allem vorsichtig – für den Geschmack
einiger Verbündeter zu vorsichtig. Doch im Wahlkampf zahlt sich diese
Herangehensweise aus. Anstatt stapelweise ausgearbeitete Konzepte vorzulegen,
die von ihren politischen Gegnern auf Schwach- und Angriffspunkte durchsucht
werden könnten, legt sich Harris vor allem auf Überschriften fest. Und auf das Versprechen,
die Mittelschicht zu stärken.

Problem Staatsschulden

Dazu passt auch die Maßnahme, mit der Harris ihre
Wahlversprechen finanzieren will. Denn was sich die Kandidatin da vorgenommen
hat, könnte teuer werden – insbesondere im Bereich der Steuerpolitik. Insgesamt
würden ihre Vorschläge das amerikanische Haushaltsdefizit innerhalb von zehn
Jahren um 1,7 Billion Dollar vergrößern, rechnet die US-Organisation für verantwortliche Haushaltsführung vor, eine Art Bund der Steuerzahler in den USA. Viel Geld angesichts der ohnehin
enormen Schuldenquote der USA. Zur Gegenfinanzierung hat Harris deshalb nun vorgeschlagen,
die Unternehmenssteuer auf 28 Prozent anzuheben. Das würde über zehn Jahre eine
Billion Dollar an zusätzlichen Einnahmen bringen. Und: Es ist populär – vor
allem an der Basis der Demokraten.

Die Senkung der Unternehmenssteuer war einer der
größten Erfolge der Trump-Regierung. Die Steuerreform von 2017 brachte den
Satz, den Unternehmen zu zahlen hatten, von 35 Prozent auf 21 Prozent. Anders
als die Senkungen der Einkommensteuertarife, die ebenfalls Teil des Gesetzes
waren, läuft diese Anpassung nicht automatisch aus. Die Demokraten schlagen
deshalb schon seit Jahren vor, die Unternehmenssteuer wieder auf 28 Prozent
anzuheben. Das Konzept ist durchgerechnet, seit Jahren Teil des Haushaltsentwurfs,
den das Weiße Haus regelmäßig vorlegt. Bislang scheiterte der Schritt an den
Republikanern im Kongress. Doch in der Bevölkerung bleibt die Maßnahme beliebt.
Für Harris ist der Vorschlag damit genau das, was auch der Rest ihrer
Wirtschaftsagenda bislang ist: kaum riskant und womöglich sogar hilfreich.

Bislang scheint dieser Plan aufzugehen. Die Demokratin hat
in Umfragen im Bereich Wirtschaftskompetenz einiges auf Donald Trump gutgemacht. Dabei traut die US-Bevölkerung bei diesem Thema traditionell mehr den
Republikanern.

Ob Harris‘ Vorschläge allerdings auch zu echten
Wirtschaftsreformen führen werden, ist eine andere Frage. Klar ist, dass mit
den Republikanern der Großteil ihres Programms nicht umgesetzt werden wird. Und
dass die Demokraten nach der Wahl die Kontrolle über beide Kongresskammern und
das Weiße Haus haben werden, ist alles andere als sicher. Doch den Weg ins Oval
Office könnte Harris ihre Wirtschaftsagenda durchaus erleichtern.