US-Notenbank: Das war schon ein Jumbo-Zinsschritt

Die Zinssenkung der amerikanischen Notenbank war keine
Überraschung. Am Mittwoch teilte die Fed mit, den US-Leitzins um 0,5
Prozentpunkte auf einen Korridor von 4,75 bis 5,00 Prozent zu senken
.
Notenbankchef Jay Powell hatte das bereits im Sommer mehr oder weniger
angekündigt. Was überraschend war, ist die Deutlichkeit, mit der er und seine
Kollegen nun vorgingen. Statt wie üblich mit einem Viertelprozentpunkt die
Zinswende sanft einzuleiten, senkte die Fed die Leitzinsen gleich um einen
halben Prozentpunkt. In der Welt der Notenbanken verdient ein solcher Schritt
den Zusatz Jumbo. Damit nicht genug, bis zum Jahresende wird mit einer weiteren Absenkung um einen halben Prozentpunkt  gerechnet. Das
weckt natürlich Spekulationen: Warum hat es die Fed plötzlich so eilig? Ist die
Lage der US-Wirtschaft doch schlimmer als angenommen?

Bei der anschließenden Pressekonferenz mühte sich Powell,
solche Sorgen zu zerstreuen. Schließlich wollen die Notenbanker ja keine
sich selbst erfüllende Prophezeiung in die Welt setzen. „Ich sehe in der Wirtschaft
im Moment nichts, was darauf hindeutet, dass die Wahrscheinlichkeit einer
Rezession, pardon, eines Abschwungs, erhöht ist“, sagte er. Die jüngsten
Signale vom Arbeitsmarkt zeigen allerdings eine Abschwächung, vor allem bei den
Neueinstellungen. Eine Rolle bei der Entscheidung für einen Jumbo-Schnitt spielte
offenbar auch ein Fehler bei der Erhebung der Arbeitsmarktdaten. Die zuständige
Behörde hatte zwischen Frühjahr 2023 und Frühjahr 2024 mehr als 800.000 neue
Jobs gezählt, die es gar nicht gab. Die Phantomstellen ließen die Situation am
Arbeitsmarkt robuster aussehen, als sie tatsächlich war
. Auch die Abkühlung der Konjunktur in China sowie in Europa
dürfte ein Faktor gewesen sein.

Aber es gibt noch einen Grund, der in der Pressekonferenz
nicht erwähnt wurde. Über die vergangenen Jahre haben die Banken Billionen – mit
einem B – ihres Kapitals in lang laufende US-Staatspapiere sowie staatlich
garantierte US-Hypothekenpapiere gesteckt. Das schien während der anhaltenden
Niedrigzinsphase eine gute Idee. (Wir erinnern uns: Die niedrigen Zinsen waren
eine Maßnahme der Notenbanken, um den Banken nach der Krise 2008 aufzuhelfen.)
Allein die US-Banken verdoppelten ihren Bestand an US-Staatspapieren zwischen
2007 und 2022 von 12 auf 20 Prozent. Die US-Staatspapiere haben zwar kein
Ausfallrisiko (um die Schuldenobergrenze und die drohende Zahlungsunfähigkeit
der USA kümmern wir uns ein anderes Mal), aber sie haben ein Zinsrisiko. Und
dieses traf die Banken mit voller Wucht, als die US-Notenbank 2022 begann, die
Leitzinsen in Rekordzeit anzuziehen, um wiederum die galoppierende Inflation zu
bekämpfen. Faustregel: Steigen die Zinsen, dann sind die Papiere, die einen
niedrigeren Zinssatz haben, weniger wert.

Ein enormer Stresstest

Solange die Banken die Papiere nicht verkaufen müssen,
bestehen diese Verluste nur auf dem Papier. Bei der Silicon Valley Bank war das
jedoch nicht der Fall. Die Bank hatte von dem Höhenflug der Techbranche während
der Pandemie profitiert. Den größten Teil der Zuflüsse, 91 Milliarden Dollar, steckte
man in US-Staatsanleihen. Als die Kunden Anfang vergangenen Jahres vermehrt ihre Einlagen abzogen, war die Bank gezwungen, die
Staatspapiere zu verkaufen, um das notwendige Cash zu bekommen. Die
Papierverluste wurden zu realisierten Verlusten. Im März 2023 musste die Bank
von den Behörden abgewickelt werden. Weitere Institute folgten. Die
kollabierten Banken sind keineswegs die einzigen, deren Anleihebestände durch
die Zinserhöhungen der Notenbank deutlich an Wert verloren haben. Insgesamt
beliefen sich die unrealisierten Wertverluste bei den Wertpapierbeständen der
US-Banken im ersten Quartal dieses Jahres auf 517 Milliarden Dollar.

Damit nicht genug: Vielen Banken steht ein enormer
Stresstest bevor. Bei US-Gewerbeimmobilien müssen ausstehende Kredite in Höhe
von rund 1,5 Billionen Dollar bis Ende kommenden Jahres abgelöst werden
. Durch die nach der Pandemie verbreitete Arbeit im Homeoffice ist die Nachfrage
nach Büros deutlich gesunken – und damit auch der Wert der Immobilien. In
manchen US-Metropolen um 50 Prozent. Das und die dank der Fed nun weit höheren
Zinsen macht Umschuldungen schwierig. Schon jetzt steigt die Zahl der
Kreditausfälle. Ausgerechnet Regionalbanken halten viele dieser Kredite, die
vor der Pandemie als fast so sicher wie der Beton der Gebäude galten. So
könnten zu den unrealisierten Verlusten aus den US-Staatspapieren bald auch
noch die Verluste aus den Krediten für Gewerbeimmobilien kommen. Regionalbanken
sind jedoch zentral für das Funktionieren der US-Wirtschaft. Sie sind es, die
draußen im Land dafür sorgen, dass Geschäfte, Autohändler, Bauunternehmer und
Farmer notwendige Kredite bekommen. Ihre Gefährdung könnte erklären, warum es
Powell und seine Kollegen bei der Fed nun so eilig haben, die Zinsen zu senken.