US-Justiz: Recht gewalttätig
Wie eine Laufmasche zieht sich das Gerichtsverfahren mit der Nummer 25-00766 seit Wochen durch Amerika. So etwas hat es in der Nachkriegsgeschichte der USA noch nie gegeben: Der Präsident hat, so scheint es, die Anordnung eines Richters missachtet. Und wie bei einer Laufmasche ist das womöglich bloß der Anfang. Trumps Vorgehen hat das Zeug, die Gewaltenteilung aufzuribbeln.
Seinen Anfang nimmt die Geschichte am 15. März, als die US-Regierung über 200 vermeintlich kriminelle Gangmitglieder nach El Salvador abschieben lässt. Sie beruft sich dabei auf ein Kriegsgesetz von 1798, das Trump per Verordnung reaktiviert hat – und das ihm das Recht geben soll, Angehörige eines „Feindstaates“ ohne Gerichtsverfahren in Haft zu nehmen oder abzuschieben. In einem Eilverfahren befindet James Boasberg, Bundesrichter am Bezirksgericht von Washington, D. C., am 15. März, dieses Gesetz sei keine ausreichende Grundlage für die Abschiebungen; die Flüge mögen umgehend gestoppt werden. Trump lässt die Menschen trotzdem ausfliegen.
Zwei Tage später, am 17. März, finden sich vor demselben Bezirksgericht ein: für den Angeklagten, Donald Trump, der Anwalt Abhishek Kambli vom Justizministerium. Für die Kläger die Anwälte dreier Bürgerrechtsorganisationen. Es präsidiert erneut Richter Boasberg.
Gleich zu Beginn der Anhörung stellt dieser dem Anwalt der Regierung die simple Frage: „Wie viele Flüge haben die Vereinigten Staaten am Samstag auf Grundlage der Anordnung (des Präsidenten, Anm. d. Red.) verlassen?“ Er will feststellen, ob die Flüge vor oder nach seiner Anordnung gestartet und gelandet sind – also ob die Regierung eine richterliche Anordnung bewusst übergangen hat. „Das sind Einsatzdetails“, antwortet Trumps Anwalt. „Ich bin nicht befugt, sie hier darzulegen.“ Aber das sei doch Zweck dieser Anhörung, empört sich der Richter. Der folgende Schlagabtausch füllt im Protokoll 31 DIN-A4-Seiten, aber man kann das Ganze abkürzen: Trumps Anwalt beantwortet die Frage nicht.
Der Fall 25-00766 dürfte Rechtsgeschichte schreiben. Ist das schon die Verfassungskrise, vor der Juristen seit Trumps Amtsantritt warnen? Sollten nicht die Gerichte Teil des Widerstands gegen einen Präsidenten sein, dem das Recht eher lästig als heilig zu sein scheint? Aber was, wenn er sich einfach über die Gerichte hinwegsetzt, Richter wie Boasberg beschimpft, Verfahren lähmt?
„Das hier ist fundamental anders als in Trumps erster Amtszeit“, sagt Erwin Chemerinsky, Dekan der juristischen Fakultät in Berkeley, Kalifornien, der mit mehr als 60 weiteren Rechtsprofessoren in einem offenen Brief vor einem Verfassungsbruch warnt. „Ich habe mir nicht vorstellen können, mich einmal so sehr um Amerikas Demokratie sorgen zu müssen.“ In Trumps erster Amtszeit konnten Gerichte noch viele seiner Vorhaben stoppen. Jetzt, in seiner zweiten Amtszeit, geht es Trump nicht um einzelne Verfahren. Dieses Mal versucht er, den Widerstand der Justiz schon im Keim zu ersticken.
Erster Schauplatz dieses Kampfes ist der Kongress. In den USA werden Bundesrichter wie Boasberg von diesem bestätigt und potenziell auch wieder abberufen – sofern sie „schwere Verbrechen“ begangen haben.
Nachdem Boasberg den Stopp der Abschiebungen angeordnet hatte, will der republikanische Abgeordnete Brandon Gill den Richter des Amtes entheben. Mike Johnson, der republikanische Sprecher des Abgeordnetenhauses, schlägt vor, Bezirksgerichten wie dem von Boasberg die Mittel zu kürzen und die Reichweite ihrer Urteile zu begrenzen.