Union zur Migration: Kritik und Proteste nachdem gemeinsamer Abstimmung dieser Union mit dieser AfD
Das gemeinsame Abstimmungsverhalten von Union und AfD im Bundestag hat für deutliche Reaktionen aus zahlreichen politischen Lagern gesorgt. Vor der CDU-Parteizentrale in Berlin versammelten sich am Abend Hunderte
Menschen unter dem Motto „Brandmauer statt Brandstiftung“. Dazu hatten unter anderem
Amnesty International, die Seebrücke und andere Organisationen aufgerufen. Die Polizei sprach von rund 650 Demonstrantinnen und Demonstranten.
Zuvor hatten CDU und CSU im Bundestag gemeinsam
mit Stimmen der AfD und der FDP ihren Migrationsantrag verabschiedet,
der unter anderem mehr Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und
konsequentere Abschiebungen vorsieht.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete das
Bundestagsvotum als ein schlechtes Zeichen für das Parlament und Deutschland. „Ich werde noch eine Zeit brauchen, zu verarbeiten, was wir
heute gemeinsam erlebt haben“, schrieb Scholz auf X. Der Tag der Abstimmung werde sicherlich von manchen als historisch beschrieben werden.
AfD: „Die Brandmauer bröckelt“
AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel sprach von einem „historischen Tag für Deutschland“. Die Union habe die Begrenzung der Migration selbst lange abgelehnt, nun habe sie Forderungen der AfD übernommen. Weidel geht nach eigenen Worten davon aus, dass
sich die Mehrheiten weiter zugunsten von „bürgerlichen Mehrheiten von
Blau-Schwarz“ verschieben würden. Die AfD-Fraktion schrieb bei X: „Die Brandmauer bröckelt.“
Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz bot SPD und Grünen neue Verhandlungen an
und versicherte, „keine anderen Mehrheiten als die in der demokratischen
Mitte unseres Parlaments“ zu suchen. Er fügte hinzu: „Wenn es hier
heute eine solche Mehrheit gegeben hat, dann bedauere ich das.“
CDU-Politiker Thorsten Frei sagte im heute journal des ZDF, dass er sich nach der Bundestagswahl nicht nur eine Regierungsbeteiligung der Union wünsche, sondern eine „Politikwende“. Dies bedeute, dass auch der jeweilige Koalitionspartner „diese Wende mitmachen muss“. Frei sagte zudem, eine Minderheitsregierung würde in Deutschland nicht funktionieren.
Faeser nennt Merz „geschichtsvergessen“
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf Merz nach der Abstimmung zur
Migrationspolitik eine unverantwortliche Leichtfertigkeit vor. Dieser
Tag werde sich ins Gedächtnis der Demokratie und wohl auch in die
Geschichte des Landes eingraben. Die SPD sei empört, der Antrag sei leichtfertig und wahrheitswidrig.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte Merz „geschichtsvergessen“. Die SPD-Politikerin sagte: „CDU und CSU haben heute erstmals im Bund die
demokratische Mitte verlassen.“ Dies sei sowohl ein nationaler Irrweg als auch
unverantwortlich. „Herr Merz weiß nicht, was er angerichtet hat“, sagte die
Innenministerin. So wie er könne nur jemand handeln, der noch nie
Verantwortung getragen habe.
Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann
kritisierte Merz und die Union für ihr Verhalten. „Heute sind zum ersten Mal
Mehrheiten gesucht und billigend in Kauf genommen worden, jenseits der
demokratischen Mitte. Und das, meine Damen und Herren,
verantwortet niemand anders in diesem Land als Sie, die den Kurs so vorgegeben
haben, aus CDU und CSU.“ Sie kritisierte, dass die Union nicht
einmal versucht habe, mit den demokratischen Parteien Kompromisse zu finden.
Linken-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek sagte: „Politischen
Differenzen zum Trotz hätte ich mir niemals vorstellen können, dass eine
christlich-demokratische Partei diesen Dammbruch vollzieht und mit
Rechtsextremen paktiert.“ Sie rief die
Zivilgesellschaft auf, dagegen auf die Straße zu gehen.
Parteichef Jan van Aken sagte, die Abstimmung sei ein Wendepunkt der
Demokratie. „Wir werden uns noch in Jahrzehnten an diesen Tag heute
erinnern, als die Konservativen und die Faschisten zum ersten Mal seit
vielen Jahrzehnten schon wieder gemeinsame Sache gemacht haben“, fügte er hinzu. Viele
Menschen in Deutschland hätten Angst.
Kritik vom Zentralrat der Juden und den Kirchen
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagte: „Ich finde es
enttäuschend, dass die demokratischen politischen Kräfte in unserem Land – auch
in Zeiten des Wahlkampfs – nicht in der Lage waren, sich auf ein gemeinsames
Vorgehen zu einigen und damit der AfD diese Bühne bereitet haben.“
Auch aus den Kirchen kamen kritische Stimmen. Zeitpunkt und
Tonlage der Debatte seien zutiefst befremdlich, sagten die Berliner
Vertreter der katholischen Bischöfe und des Rats der Evangelischen Kirche. Die
Debatte sei „dazu geeignet, alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten
zu diffamieren, Vorurteile zu schüren und trägt unserer Meinung nach nicht zur
Lösung der tatsächlich bestehenden Fragen bei“, teilten Prälatin Anne
Gidion für die evangelische Kirche und Prälat Karl Jüsten für die katholische
Kirche mit. „Wir
befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt.“
Irme Stetter-Karp vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sagte der Augsburger Allgemeinen, Merz verlasse „wissentlich in der
Frage des Asylrechts den Boden des Grundgesetzes“.