Umgehung von Russland-Sanktionen: Wie mit deutschen Maschinen Waffen für Putins Krieg produziert werden

Und wie sie trotz Sanktionen weiter nach Russland gelangen.

Artikel hören Player schließen

Umgehung von Russland-Sanktionen

Hören sie hier die Audio Aufnahme des Artikels: Wie mit deutschen Maschinen Waffen für Putins Krieg produziert werden

Mehr zu diesem Audioangebot

Die Audioversion dieses Artikels wurde künstlich erzeugt. Wir entwickeln dieses Angebot stetig weiter und freuen uns über Ihr Feedback.

Umgehung von Russland-Sanktionen: Bei der russischen Waffenschmiede Kalaschnikow sind Werkzeugmaschinen des deutsch-japanischen Unternehmens DMG Mori im Einsatz.
Bei der russischen Waffenschmiede Kalaschnikow sind Werkzeugmaschinen des deutsch-japanischen Unternehmens DMG Mori im Einsatz.

Wie mit deutschen Maschinen Waffen für Putins Krieg produziert werden – Seite 1

Manche Videoaufnahmen können einen Ruf zerstören. So wie jene, die das russische Verteidigungsministerium auf Telegram im vergangenen Jahr verbreitete: Sie zeigen, wie der Verteidigungsminister Sergei Shoigu während der Weihnachtszeit die Waffenfabrik von Kalaschnikow in Ischewsk besucht, 1000 Kilometer östlich von Moskau. In den Aufnahmen ist zu sehen, wie Shoigu durch die Werkshallen schreitet, wie Arbeiter die berühmten AK-47-Sturmgewehre montieren, und ein kleines Detail lässt sich in dem Video ebenfalls entdecken: welche Maschinen bei der Fertigung der Waffen zum Einsatz kommen. Deutlich zu erkennen ist ein Dreh- und Fräszentrum vom Typ CTX Alpha 300, gefertigt vom deutsch-japanischen Hersteller DMG Mori.

Deutsche Maschinen für Putins Kriege – das war schon immer problematisch. Seit dem Überfall auf die Ukraine gilt das erst recht. Zumal Kalaschnikow nicht das einzige russische Rüstungsunternehmen ist, das die hochpräzisen Werkzeugmaschinen von DMG Mori einsetzt. Der Konzern mit deutschem Hauptsitz in Bielefeld belieferte in der Vergangenheit etliche Waffenhersteller in Russland. Und diese müssen offenbar bis heute nicht auf die Spezial-Produkte verzichten, obwohl deren Lieferung – auch wenn sie gebraucht sind –, unter die gegen Russland verhängten Sanktionen fallen, wenn eine militärische Verwendung naheliegt.

Das geht jedenfalls aus russischen Zolldaten hervor, die der ZEIT vorliegen. Darin sind penibel die Einfuhren von Waren aufgeführt, mit Angaben zum Hersteller, dem Herkunftsland, dem Importeur, dem Gewicht und dem Wert. Die Daten zeigen, was eigentlich nicht sein darf: dass nämlich Lieferanten der russischen Rüstungsindustrie auch nach dem Überfall auf die Ukraine noch Produkte von DMG Mori bezogen haben.

Der Fall zeigt, wie durchlässig die Strafmaßnahmen des Westens sind und wie einfach sie außer Kraft gesetzt werden können.

Dabei war man bei DMG Mori sehr darum bemüht, alles richtig zu machen. Unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat das Unternehmen in Russland die Arbeit eingestellt. So stellt es zumindest der Vorstandsvorsitzende Christian Thönes dar. Auf der Hauptversammlung in der Stadthalle Bielefeld am vorvergangenen Freitag sagte er laut Redemanuskript: „Frieden und Freiheit haben stets Vorrang vor Geschäftsinteressen, denn sie sind die Grundvoraussetzung für Sicherheit.“ Daher habe das Unternehmen schon zwei Tage nach dem Überfall auf die Ukraine „unverzüglich und ganzheitlich sämtliche Aktivitäten auf dem russischen Markt gestoppt“. Dies umfasse, so Thönes, alle Lieferungen von Maschinen, Ersatzteilen, Komponenten und Services nach Russland.

DMG Mori ist der Zusammenschluss des japanischen Unternehmens Mori Seiki und des deutschen Herstellers Gildemeister. Weltweit beschäftigt der Konzern 12.000 Mitarbeiter, davon 6800 bei der deutschen DMG Mori AG. Er ist in 88 Ländern präsent und einer der weltweit führenden Hersteller von Werkzeugmaschinen. Solche Maschinen können ein Werkstück extrem präzise bearbeiten. Sie sind das Herzstück moderner industrieller Fertigung und auch in Russland gefragt. Dort lief das Geschäft für DMG Mori so gut, dass das Unternehmen noch im Jahr 2015 – ein Jahr nach der russischen Annexion der Krim-Halbinsel – das nun geschlossene Werk in Uljanowsk eröffnete, um in Russland Dreh- und Fräsmaschinen zu bauen.

Überall dort, wo Materialien wie Metall, Kunststoff oder sogar Glas exakt bearbeitet werden müssen, sind solche Maschinen im Einsatz: in der Medizintechnik, im Formenbau oder in der Halbleiterindustrie. Aber eben auch beim Bau von Raketen, Kampfjets und Gewehren.

Produkte von DMG Mori kommen daher nicht nur bei Kalaschnikow zum Einsatz, sondern bei einer ganzen Reihe von russischen Rüstungsunternehmen. So setzte etwa der Hubschrauberhersteller JSC Ulan-Ude auf die Maschinen von DMG Mori, wie Videos aus dessen Fabrik zeigen. JSC Ulan-Ude baut den Transporthubschrauber Mi-8AMTSh, den die russischen Streitkräfte im Krieg gegen die Ukraine einsetzen. Bei einem Werksbesuch im März lobte Wladimir Putin die „exzellente Firma“ und prophezeite, dass der Ukraine-Feldzug mit „Sieg und Erfolg“ enden werde. Seit vergangenem Jahr steht JSC Ulan-Ude auf der EU-Sanktionsliste, Geschäfte mit dem Unternehmen sind seither für Europäer verboten.

Über die Türkei werden viele kritische Güter geliefert

Auch der Name des Flugzeugherstellers Sukhoi ist auf dieser Sanktionsliste zu finden, weil seine Su-57-Kampfjets Ziele in der Ukraine angreifen. In öffentlich zugänglichen Datenbanken lassen sich Verträge zwischen dem Hersteller und DMG Mori abrufen, die zeigen, dass etwa 2016 Reparaturdienste in Auftrag gegeben wurden und 2017 die Lieferung von Ausrüstung zur Metallverarbeitung vereinbart wurde.

Oder JSC IEMZ Kupol. Auch diese Waffenschmiede hatte den Datenbanken zufolge Verträge mit DMG Mori. Und wie die anderen wurde Kupol inzwischen ebenfalls von der EU sanktioniert, weil das Unternehmen bei der Produktion des russischen Tor-Luftabwehrsystems beteiligt ist.

Die Ausfuhr von Werkzeugmaschinen aus der Europäischen Union ist streng reglementiert, in Deutschland braucht es dafür oft eine Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa). Lieferungen nach Russland sind heute weitgehend verboten, insbesondere dann, wenn der Kunde aus der Rüstungsindustrie kommt, so das Bafa. Aber das System der Exportkontrolle ist ein bürokratisches Monster – und es funktioniert schlecht.

Aus den der ZEIT vorliegenden Zolldaten geht nun hervor, dass noch im Juni vergangenen Jahres DMG-Mori-Produkte im russischen Zoll ankamen, verschickt wurden sie von einem Zwischenhändler aus Deutschland. Nur wenige Tage zuvor wurden von einem chinesischen Händler Ersatzteile für DMG-Mori-Maschinen vom Typ NHX 5500 und NVX 5060 geliefert. Immerhin steht in der dazugehörigen Zollerklärung, die Ware sei „nicht für militärische Zwecke“ bestimmt.

Das wirft Fragen auf: Wusste DMG Mori von diesen Lieferungen? Hat das Unternehmen Ware an Zwischenhändler verschickt? Falls ja: War den Verantwortlichen dann klar, dass sie letztlich für Russland bestimmt war? Denn genau das wollte Vorstand Thönes ja nach eigener Aussage verhindern. Die ZEIT schickte DMG Mori einen ausführlichen Fragenkatalog zu diesen Themen, den das Unternehmen bis Redaktionsschluss jedoch nicht beantwortete.

Wie schwierig es ist, dafür zu sorgen, dass militärisch verwendbare Produkte nicht mehr in Russland ankommen, zeigt eine Analyse von Zolldaten durch die Washingtoner Recherche-Organisation Center Advanced Defence Studies(C4ADS) für die ZEIT. Demnach wurden zwischen dem 14. März 2014 und dem 28. Februar 2023 insgesamt 262 Lieferungen von DMG-Mori-Produkten vor allem aus Deutschland und Japan beim russischen Zoll angemeldet.

Bis zum russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 lieferte DMG Mori die Produkte meist selbst. Danach wird es interessant: Der Warenstrom reißt ab, es kommen nur noch wenige Lieferungen an die Grenze, und dubiose Zwischenhändler treten auf. So verschickte im Januar dieses Jahres das türkische Rüstungsunternehmen Pimaks zwei gebrauchte CNC-Maschinen von DMG Mori – Typ MillTap 700 – nach Russland. Als Ursprungsland ist in den Unterlagen des russischen Zolls Deutschland angegeben. Es ist allerdings unklar, ob die Maschinen aus dem Bestand von Pimaks stammen – oder ob es Maschinen sind, die Pimaks zuvor in Deutschland gekauft hat. Fragen dazu ließen sowohl Pimaks wie auch DMG Mori unbeantwortet. Über die Türkei kamen noch weitere Maschinen des deutsch-japanischen Herstellers nach Russland, eine sogar über Griechenland.

Dass ausgerechnet über die Türkei kritische Produkte nach Russland gelangen, sei kein Zufall, sagt Allen Maggard, Analyst bei C4ADS. „Die Türkei scheint eine wichtige Versorgungsroute für europäische Werkzeugmaschinen nach Russland darzustellen“, sagt er. Das Land setze die Sanktionen nicht mit derselben Energie durch wie der Westen – das sei eine der Schwachstellen des Systems.

Auch ohne Umweg gelangen Waren aus Deutschland nach Russland

Der Umgehungshandel läuft verblüffend einfach: Gekauft werden die Produkte von Zwischenhändlern in Deutschland oder anderswo, die sie dann über Umwege oder direkt nach Russland weiterleiten. Beispielsweise versorgte eine türkische Logistik-Firma noch im November vergangenen Jahres einen russischen Importeur mit „Mehrzweck-Drehmaschinen“ von DMG Mori, wie es in der Zollerklärung heißt. Diese seien aber selbstverständlich nur für den eigenen Bedarf des Importeurs. Der Importeur ist Lieferant einer Werft die unter anderem Atom-U-Boote baut.

Aber auch ohne Umweg gelangen Waren aus Deutschland nach Russland. Ende September meldete das Unternehmen Agregatny Zavod aus der russischen Stadt Ljudinowo, 400 Kilometer südwestlich von Moskau, eine DMG-Mori-Maschine in Russland zur Verzollung an. Lieferant war ein Unternehmen namens „Götz – Fabrik für Luft- und Heizungstechnik“ aus Unterlüß, einem Dorf in der Lüneburger Heide, wo auch der deutsche Rüstungshersteller Rheinmetall eines seiner größten deutschen Werke betreibt. Die gelieferte Maschine wurde 2012 gebaut, laut Zollerklärung wurde sie „für den eigenen Bedarf“ des Importeurs geliefert und sei „nicht für militärische Zwecke bestimmt“.

Das bestätigt der Firmeneigentümer Eugen Götz auch am Telefon. Ob er sicher sein könne, dass damit keine Waffen gebaut werden? Es sei „die Selbstauskunft des Kunden“, sagt er, auf die er sich beziehe. Er kenne den Kunden seit vielen Jahren und sei auch schon mal vor Ort gewesen. Dass das dortige Werk etwas mit Rüstung zu tun hätte, habe er nicht gesehen.

So sah man es offenbar auch beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa). Das habe die Lieferung nämlich genehmigt. „Wir haben fünf Monate auf die Genehmigung gewartet“, sagt Götz. „Der Vertrag war schon lange fertig.“ Ohnehin sei die Maschine nicht besonders präzise und damit für die Waffenproduktion ungeeignet. Tatsächlich spielt die Genauigkeit bei der Ausfuhrkontrolle eine wichtige Rolle. Beim Bafa will man sich zu konkreten Vorgängen nicht äußern. Und damit auch nicht zu den Geschäftspartnern des belieferten Unternehmens Agregatny Zavod. Ein öffentlich einsehbarer Vertrag aus dem Jahr 2016 zeigt, dass es für das Rüstungsunternehmen JSC Strela tätig war, ein Radar-Spezialist, der seit vergangenem Jahr auf der EU-Sanktionsliste steht.

Aber es geht bei CNC-Maschinen nicht nur um die Hardware. Entscheidend ist auch die Software. Ende März wandte sich DMG Mori der Financial Times zufolge in einem Brief an seine Kunden und forderte sie dazu auf, ein neues Sicherheitssystem zu installieren, das verhindern solle, dass die Maschinen illegal an Länder oder Personen geliefert werden, die „die internationale Sicherheit bedrohen“. In einem solchen Fall würde sich die Maschine abschalten. DMG Mori würde es ablehnen, eine Anlage wieder zu aktivieren, wenn die Exportregeln verletzt würden. Ein Brancheninsider berichtet, diese Vorrichtungen seien bei vielen Maschinen längst eingebaut. Allerdings: Bei gebrauchten Maschinen würde das nicht immer helfen. Die von Eugen Götz nach Russland gelieferte CNC-Maschine von 2012 habe keine solche Sensoren eingebaut, sagt er.

Die engen Russland-Verbindungen haben dem Ruf von DMG Mori geschadet – nicht jedoch dem Geschäft. So scheint es jedenfalls. Bei der Hauptversammlung am Freitag vorvergangener Woche verkündete der Chef Christian Thönes die Zahlen für das Geschäftsjahr 2022. Aufträge seien insbesondere aus den Branchen Halbleiter, Luftfahrt und Medizintechnik gekommen. Der Umsatz sei im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent gestiegen auf 2,4 Milliarden Euro. Der operative Gewinn wuchs sogar um 75 Prozent, auf 216 Millionen Euro. Ohne die russischen Kunden verdient man offenbar auch Geld. Ärger bescheren sie trotzdem.