Ukraine-Karte aktuell: Ukraine wirft Russland Einsatz von Chemiewaffen vor
Die ukrainische Regierung hat der russischen Armee
vorgeworfen, Chemiewaffen gegen ihre Soldaten einzusetzen. Mehrere K-51 Aerosol Granaten seien demnach auf ukrainische Stellungen in der Oblast Donezk abgefeuert worden. Genauere Angaben über den darin enthaltenen Reizstoff machte die Regierung in Kiew nicht. Der Stoff sei jedoch explizit von
der Chemiewaffenkonvention verboten. Diese Angaben lassen sich nicht
unabhängig überprüfen.
Die Bodenangriffe der russischen Armee konzentrierten sich zunehmend auf die Region Donezk, schreiben die Beobachterinnen und Beobachter des Institute for the Study of War (ISW) in ihrem täglichen Lagebericht. In den Vororten der Städte Bachmut und Soledar gebe es nach Angaben russischer Quellen heftige Gefechte zwischen Truppen der russischen Söldnergruppe Wagner und ukrainischen Einheiten. Das Verteidigungsministerium in Moskau berichtet davon, die Ortschaft Pawliwka südlich der Stadt Wuhledar eingenommen zu haben. Ein Sprecher der ukrainischen Armee widersprach der Darstellung des Verteidigungsministeriums, wonach die russischen Truppen am Montag die Stadt Majorsk eingenommen hätten.
Die Meldungen des russischen Verteidigungsministeriums über Gewinne an der Front in Donezk seien Teil einer neuen Informationsstrategie der Militärführung, schreiben die Militärbeobachter des ISW. Die Gewinne sollten demnach von den Verlusten in der Region Cherson ablenken. Denn der Druck von russischen Militärbloggern wächst. Nachdem
viele der nationalistischen Kommentatoren anfangs den Rückzug aus Cherson als militärisch notwendige Entscheidung bezeichnet hatten, ist die Stimmung laut ISW in den letzten Tagen in Zorn über die militärischen
Misserfolge Russlands umgeschlagen.
Nicht zuletzt der Besuch des ukrainischen Präsidenten
Wolodymyr Selenskyj habe bei russischen Militärbloggern für Kritik gesorgt. Einige von ihnen beklagten, dass sich Selenskyj verhältnismäßig ungestört im zurückeroberten Cherson
bewegen konnte. Dass Selenskyj während seines Besuchs nicht beschossen worden sei, sei ein Zeichen
dafür, dass Russland den Krieg nicht gewinnen wolle. Selenskyj habe schließlich durch Russland annektiertes Territorium
betreten.
Nach dem russischen Truppenabzug aus dem westlichen Cherson erwartet die
russische Militärführung laut einem Kommentar in der regierungskritischen Zeitung Nowaja gaseta, dass mindestens
sechs ukrainische Brigaden mit jeweils mindestens 4.000 Soldaten an die Fronten
im Donbass, in Saporischschja oder Luhansk verlegt werden. Insgesamt stünden der Ukraine nach der Rückeroberung des westlichen Chersons 14 solcher Brigaden zur
Verfügung, die sie nun an anderer Stelle einsetzen könne.
Nach Angaben von Sergei Femchenkow, Kommandeur der
russischen Reserveeinheit BARS-13, sei die Situation an der Swatowe-Front „eskaliert“.
Russische Truppen seien demnach gezwungen, sich aus der Gegend um Makijiwka zurückzuziehen. Ein Video, das mutmaßlich von ukrainischen Truppen aus einem Panzer heraus aufgenommen, konnte der Stadt Makijiwka zugeordnet werden. Die Stadt hatte vor dem aktuellen Einmarsch Russlands mehr als 300.000 Einwohnerinnen und Einwohner und liegt 23 Kilometer südwestlich
von Swatowe.
Ukrainische und russische Quellen berichten zudem von Kämpfen
westlich von Kreminna und nordwestlich von Swatowe an den Orten Nowosseliwka, Wolodymyriwka
und Stelmachiwka. In der Nähe von Nowosseliwka hielten nach Angaben russischer
Militärblogger motorisierte Schützeneinheiten der ersten Panzerarmee Russlands die Verteidigungsstellungen. Ebenfalls umkämpft ist der Ort Bilohoriwka in der Oblast
Luhansk. Die russischen Truppen hätten die ukrainischen Verteidigungslinien
bereits zum zweiten Mal durchbrochen, melden russische Quellen.
Die Ukraine greift nach Informationen des ISW russische Versorgungsrouten auf der Swatowe-Kreminna-Linie
mit Himars-Raketenwerfern an. Diese Taktik identifizierten die Militäranalysten zuletzt als besonders
entscheidend für die Rückeroberung von Cherson. Der ukrainische Generalstab meldet, dass die russischen
Truppen planten, die Zivilbevölkerung aus den Orten Rubischne, Kreminna und Sjewjerodonezk
zu evakuieren.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat unterdessen Dekrete
unterzeichnet, die es nichtrussischen Staatsbürgern erlauben, in der russischen
Armee zu kämpfen. Das ISW sieht darin einen Versuch, Soldaten zu rekrutieren, die zwar in Russland leben, aber keinen russischen Pass haben. Ein weiteres Dekret weitet die Zensur für Menschen aus, die
einen russischen Pass erhalten haben. Demnach könnten „Falschinformationen über
die russischen Streitkräfte“ wieder zum Verlust der erworbenen russischen Staatsbürgerschaft
führen. Verstöße sollen vom russischen Geheimdienst FSB verfolgt werden. Putin weitet damit den inländischen Repressionsapparat aus,
schreibt das ISW.
Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnergruppe Wagner, baut angesichts der bedeutenden Rolle seiner Truppen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine seinen Einfluss auf die russische Politik aus. Er etabliere sich als ein „hochgradig unabhängiger, stalinistischer Warlord“, schreibt das ISW. So habe Prigoschin das Video eines Wagner-nahen Telegram-Kanals positiv kommentiert, in dem die brutale Tötung eines ehemaligen Insasses einer Strafkolonie zu sehen wird. Der Mann mit dem Namen Jewgeni Nuschin war laut Berichten von Wagner-Gruppen rekrutiert worden, dann aber an der Front desertiert. Mutmaßlich im Rahmen eines Gefangenenaustauschs ist er wieder in die Hände von Wagner-Gruppen gelangt, die ihn dann grausam hingerichtet haben. Prigoschin selbst zog einen Vergleich zwischen Nuschin und russischen Eliten, die sich vor den Problemen Russlands davonstehlen wollten.