TikTok-Star Toxische Pommes: Sie tritt nur nachdem oben, nie nachdem unten

Auf kaum eine österreichische Kunstschaffende werde ich so regelmäßig angesprochen wie auf Toxische Pommes. Zugegeben, es handelt sich hierbei um ein Phänomen der Generation Z, trotzdem gibt es wenige andere Internetkünstler*innen mit einer ähnlichen Reichweite. Jetzt hat Toxische Pommes ihren ersten Roman Ein schönes Ausländerkind vorgelegt.

Bekannt wurde die Autorin, mit bürgerlichem Namen Irina (der Nachname bleibt geheim), 2020 durch ihre Kurzvideos auf Tiktok. Darin thematisiert sie den österreichischen Alltag und zeigt dabei Sexismus, Rassismus und Klassismus anhand profaner Situationen auf. Ihre Videos beschäftigen sich mit Dating, dem Kunstbetrieb, österreichischer Innenpolitik oder Influencern auf Balkanreise. Eine Mischung aus dem nötigen Humor, viel Ironie und scharfen, präzisen Gesellschaftsbeobachtungen bildet den Stil der Künstlerin. Dabei greift sie gerne auf Klischees zurück, die in überzeichneter Form der Grundstein ihrer Charaktere sind. Das funktioniert, weil die verwendeten Vorurteile einem allzu bekannt erscheinen und ihr Humor ausnahmslos nach oben, nie nach unten tritt.

„Das ist knochentrocken komisch und oft richtig brutal, und wenn man sich dann auf diese Mischung eingestellt hat, wird man auf dem linken Fuß von einer zarten Wehmut umgeschmissen“, befand der Kabarettist Josef Hader über Toxische Pommes. Neben einem erfolgreichen Kabarettdebüt 2022 in Wien und später in Deutschland arbeitet Irina als Juristin.

Ein schönes Ausländerkind verarbeitet die Geschichte eines Mädchens, das zusammen mit seinen Eltern vor dem Jugoslawienkrieg aus Kroatien nach Österreich flieht. Als sie dort ankommen, offenbart sich die erste Enttäuschung – statt in der Großstadt Wien landet die Familie im kleinbürgerlichen Wiener Neustadt, 40 Kilometer südlich der Bundeshauptstadt, und beginnt, ihr Leben neu aufzubauen: in der ersten Zeit bei einer Familie, die schamlos vom Schicksal der Geflüchteten profitiert, später dann in der eigenen Wohnung. Vor allem Mutter und Tochter gelingt das Ankommen und Neuverwurzeln besser. Erstere bekommt nach jahrelangen Prüfungen ihren Studienabschluss anerkannt, Letztere wird zur Musterschülerin, zum „schönen Ausländerkind“.

Hinter diesen Leistungen steht die Angst vor dem Verlust des neuen Lebens – die österreichische Staatsbürgerschaft wird zum obersten Ziel und Ausweg gegenüber möglichen Abschiebungen. In dieser Konstellation geht der Vater allerdings immer weiter verloren. Eine Arbeitserlaubnis wird ihm verweigert, der Neuanfang läuft nicht an, und aufgrund fehlender Sprachkenntnisse bleiben die meisten Sozialkontakte aus. Frau und Tochter sollen dabei zum rettenden Anker werden, doch können sie diese Aufgabe nicht stemmen. Immer wieder kommt es deswegen zum Streit, und es mehren sich die Spannungen in der Familie.

Die Erzählerin wächst mit

All das erzählt die Autorin in einer reduzierten Sprache und mit lakonischem Ton, wobei große sprachliche Gebilde ausbleiben. Das Erzählte ist stellenweise lustig und andernorts tragisch, eine Erzählung, die amüsieren, aber auch wachrütteln will. Gleichzeitig gewinnt der Roman dadurch an Zugänglichkeit und stellt sich gegen eine überintellektualisierte Sprache. Eine weitere Feinheit des Buches ist das Mitwachsen von Erzähltem und Erzählerin. Je älter diese wird, umso ausführlicher und reflektierter werden ihre Schilderungen. Plötzlich werden Eltern zu mehrdimensionalen Personen, Beobachtungen werden präziser, die Gefühle komplexer.

Bei all dem Lob, es gibt Schwächen: So wird die Anfangsszene, in der die Erzählerin ihren Beruf als Juristin schildert, nicht mehr aufgegriffen. Auch das Ende kommt überrumpelnd. Während große Teile der Handlung genau auf diesen Moment hinarbeiten, bricht sie kurz danach förmlich ein und entlässt die Leser*innen sofort. Zurück bleiben die letzten vier Sätze in ihrer vollen Wirkung, wie eine Art Fazit, das eine Weile nachhallt.

Ein schönes Ausländerkind Toxische Pommes Zsolnay 2024, 208 S., 23 €