Tiefsee-Bergbau: Ocean Space in Venedig kämpft gegen die Ausbeutung welcher Meere – WELT
Dank des gewaltigen Sturmflutsperrwerks MOSE darf sich Venedig etwas sicherer fühlen, wenn die „acqua alta“ mal wieder in die Lagune drückt. Gleichwohl stehen im Fall des Falles die Hochwasserstege für Einheimische wie Touristen bereit.
Die Stadt ist eben auf dem Wasser gebaut und könnte irgendwann darin versinken. Der Klimawandel droht den Untergang Venedigs im Meer noch zu beschleunigen. Der perfekte Ort also für einen – Ocean Space?
Dass der ausgerechnet von einer privaten Stiftung für zeitgenössische Kunst in einer venezianischen Kirche eingerichtet wurde, erklärt ihr Direktor Markus Reymann so: „Das Hauptinteresse von TBA21 galt schon immer den Ursachen und Auswirkungen des sozialen und ökologischen Wandels und der Unterstützung von Künstlern, die sich damit befassen.“
Die Stiftung, die er mit der Mäzenin Francesca Thyssen-Bornemisza vor 22 Jahren gründete, hat seit ihrem Bestehen eine mehr als 400 Werke umfassende Kunstsammlung aufgebaut. Zum zehnjährigen Jubiläum habe man beschlossen, nicht einfach nur Kunst zu fördern, sondern nach etwas gesucht, dass paradigmatisch für globale Veränderung stehe.
So sei der Ozean, dessen Systeme man mit Künstlern, Wissenschaftlern, Umweltschützern und mit dem Meer in Einklang lebenden Gemeinschaften erforsche, in ihren Blick gekommen – und die Lagunenstadt Venedig.
Im Jahr 2019 eröffnete dann in der prächtigen Renaissancekirche San Lorenzo nach einigen Sanierungsmaßnahmen der Ocean Space. Die TBA21-Stiftung versuche dort nicht nur, „das Bewusstsein für den schlechten Zustand der Weltmeere zu schärfen, sondern ein wirklicher Akteur in der Stadt zu werden“.
Ob das gelingen kann? Die Zahl der Einwohner Venedigs sinkt beständig, nur noch 50.000 werden gezählt. Und viele von ihnen, glaubt Reymann, hätten den Bezug zum Meer verloren, obwohl es sie mit all seiner Macht so sehr beeinflusst.
Tonganisches Ritual im Ocean Space von Venedig
Latai Taumoepeau könnte es schaffen, das ozeanische Bewusstsein der Venezianer wachzurütteln. Die charismatische Künstlerin hat für den Ocean Space eine performative Installation choreografiert: „Deep Communion Sung in Minor (This Is Not a Drill)“. Zu einer Aufführung Mitte April lud sie einheimische Kinder und Jugendliche, aber auch Fußball- und Basketball-Teams aus Venedig ein, um sich abwechselnd auf die acht vor dem Kirchenaltar aufgebauten Rudergeräte zu stellen und gewissermaßen in See zu stechen.
Die Rudergeräte stehen noch bis in den Herbst kostenlos für alle Besucher bereit, die sich der meditativen Performance hingeben wollen. Sobald man mit dem Paddelstab in den richtigen Takt gekommen ist, singt es aus den verbundenen Lautsprechern. Frequenz und Rhythmus der Paddelschläge beeinflussen Lautstärke und Intensität des vielstimmigen Chorals, der sich mit eingespielten Wassergeräuschen zur dramatischen Soundkulisse einpegelt.
Taumoepeau ist in Australien aufgewachsen, stammt aber von der polynesischen Inselgruppe Tonga und pflegt enge Kontakte in das Archipel ihrer Vorfahren. Ihre Performance, die sie mit Trillerpfeife im Mund und Holzpaddel in der Hand dirigiert, beschwört ein altes Chorritual ihres Volks, das „Me’etu’upaki“, was die Künstlerin mit Stehpaddeltanz übersetzt.
Die Einschiffungszeremonie stehe für die Verpflichtung, die „Kosmogonie“ ihrer Ahnen lebendig zu halten, die eng mit dem maritimen Lebens- und Erfahrungsraums verknüpft ist. „Wir sind eins mit dem Ozean“, sagt die mehrfach ausgezeichnete Performerin im Gespräch mit dieser Zeitung. Was auch bedeute, dass sie den Schutz des Meeres mit dem Schutz ihres eigenen Körpers gleichsetzt.
Gegen den Tiefsee-Bergbau im Pazifik
Als Angehörige eines „ozeanischen Volks“ fühle sie sich mit den Venezianern kulturell verbunden. Ihre künstlerische Arbeit aber adressiert das politisch-ökonomische Feld, genauer gesagt: den umstrittenen Tiefsee-Bergbau im Südpazifik. Mineralölkonzerne und Explorationsunternehmen haben die Hohe See als hoheitsfreie Ressource entdeckt.
Sie wollen unterseeische Ölfelder erschließen und Manganknollen vom Meeresboden ernten. Das finanziell klamme Königreich Tonga hat sich trotz Bürgerprotesten als Fürsprecher des Abbaus angedient, hofft auf Sanierung des maroden Staatshaushalts.
Taumoepeau aber bezweifelt, dass der Tiefsee-Bergbau den lokalen Gemeinschaften Wohlstand bringen wird, im Gegenteil: „Die Unternehmen sind sehr schlau darin, unsere Regierungen einzuwickeln.“ Sie sieht ihre Arbeit als metaphorischen Widerstand gegen Beeinflussung und Ausbeutung. „Wie können wir unseren Körper und unsere Stimmen einsetzen, um unsere kulturellen und spirituellen Werte zu verteidigen?“, fragt sie. Ihre Verantwortung auch als Künstlerin liege darin, die Interessen ihres Volks zu vertreten.
„Taumoepeau lebt und atmet die Notwendigkeit, für den Erhalt des Ozeans zu kämpfen“, ergänzt die Kuratorin Taloi Havini und weist darauf hin, dass die Besucher sich im Ocean Space auch über wissenschaftliche Hintergründe des Tiefsee-Bergbaus informieren können. Havini, die auf der Salomoneninsel Bougainville geboren wurde, zeigt in der Ausstellung „Re-Stor(y)ing Oceania“ neben der immersiven Paddelperformance eine weitere Installation.
Entschleunigung und Austausch
„The Body of Wainuiātea“ heißt sie und wurde von Elisapeta Hinemoa Heta entworfen. Aus Ziegelsteinen hat die neuseeländische Architektin einen rechteckigen Platz angelegt, eingefasst von einer flachen Mauer, überwölbt von einem Himmel aus wehenden Tüchern. Sitzhocker sind zu einem Kreis arrangiert, am Rand stehen zahlreiche Tiegel mit Pulvern und Ölen bereit.
Es sei ein ritueller Raum für den Austausch beim Gesang eines „Karanga“, dem spirituellen Ruf der Māori-Frauen, der die Götter und die heilige Inselwelt Ozeaniens ehre, erfährt man. Heta ist selbst Māori, Angehörige der indigenen Ngātiwai und Waikato Tainui und gerade Mutter geworden, konnte deshalb nicht zur Eröffnung nach Venedig reisen.
Ihre Installation erklärt sich aber fast von selbst. Es ist ein Ort der Entschleunigung, um zu sich zu kommen oder gemeinsam zu diskutieren – weniger das vordergründig aufgeladene Werk einer Aktivistin, als eine ästhetische Gelegenheit, die Besucher selbst zu einer „Aktivierung“ zu animieren.
Sitz in der Meeresbodenbehörde
Die Kunstwerke sind von Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (TBA21) finanziert, gehen als Auftragsarbeiten in die Stiftungssammlung ein. Sie hätten Bedeutung über die reine Anschauung hinaus, erklärt Latai Taumoepeau: „Kunst spricht die Herzen der Menschen an. Sie regt zum Nachdenken, aber auch zu individuellem Einsatz an.“
Ihre eigene künstlerische Arbeit habe zudem die Funktion, zu mahnen, dass der Ozean geschützt werden müsse, und zu den Menschen darüber zu sprechen, „wie wir und unsere kulturelle Weltsicht mit dem Meer verbunden sind“. Angesichts der völlig unerforschten, risikoreichen Ausschlachtung des Südpazifiks sei das relevanter denn je.
Die Stiftung will aber nicht allein auf die Relevanz von sinnlichem Kulturerlebnis vertrauen. Ihren mäzenatorischen Auftrag versteht sie auch politisch. TBA21 nimmt deshalb bei der Internationalen Meeresbodenbehörde in Kingston, Jamaika, einen Sitz als Beobachter wahr.
Die Organisation und ihre 36 Mitgliedstaaten sind im Juli 2023 allerdings vorerst daran gescheitert, ein verbindliches Regelwerk zu verabschieden,wie die Bodenschätze der Tiefsee verwaltet oder (dem Wunsch Deutschlands und Frankreichs sowie vieler indigener Aktivistengruppen entsprechend) als „gemeinsames Erbe der Menschheit“ bewahrt werden sollen.
Die Hoffnung: Im Weltkulturerbe Venedig kann der Ocean Space zumindest ein globales Publikum von der Dringlichkeit dieser Aufgabe überzeugen.
Source: welt.de