„The Decameron“ gen Netflix: Gesellschaftskritik mit Gevatter Tod
Tragisch ist der Tod immer noch, doch etwas von seinem Schrecken hat er schon verloren – so scheint es zu Beginn der neuen Netflix-Serie The Decameron. Denn das Sterben ist allgegenwärtig in dieser 1348 in Florenz angesiedelten Erzählung, die sich mit schwarzem Humor einem düsteren spätmittelalterlichen Kapitel widmet: Die Pest wütet, Leichen säumen die Straßen, werden auf Karren gestapelt und in den Fluss geworfen. Jeder könnte der Nächste sein auf der Liste von Gevatter Tod – und doch schaffen es einige adlige Florentiner, auf dieser Liste weit nach unten zu rücken: Visconte Leonardo lädt in seine luftige Villa in der Toskana ein, um die Pandemie zu überdauern.
Die Einladung erreicht die junge Filomena (Jessica Plummer), während ihr Vater noch im Sterben liegt, nichtsdestotrotz folgt sie ihr zusammen mit der Bediensteten Licisca (Tanya Reynolds) – zumindest bis ein handfester Streit zwischen den gleichaltrigen Frauen eskaliert. Unterdessen lässt auch Pampinea (Zosia Mamet) flugs von ihrer Magd Misia (Saoirse-Monica Jackson) ihre edelsten Gewänder und ihre Mitgift zusammenpacken, soll sie doch den Visconte Leonardo heiraten. Der Antrag kam völlig unverhofft, schließlich ist Pampinea schon Ende 20 und gilt damit und wegen ihrer blasierten Art als „schwer vermittelbar“.
Ähnliches trifft auf den quengeligen Tindaro (Douggie McMeekin) zu, der nur deshalb als begehrter Junggeselle gilt, weil er ein reicher Erbe ist. Sein verschlagener Leibarzt Dioneo (Amar Chadha-Patel) nutzt seine Hypochondrie geschickt aus, um ihn zur Reise in die Toskana zu drängen. Zuletzt begeben sich auch der Männern nachschauende Panfilo (Karan Gill) und dessen fromme Ehefrau Neifile (Lou Gala) auf den Weg zur Villa. Dort werden sie alle von dem Bediensteten Sirisco (grandios: der aus Arrested Development und Veep bekannte Tony Hale) herzlich empfangen, nachdem er ein schauriges Geheimnis begraben hat: Kurz vor Ankunft der Gäste ist Hausherr Leonardo nämlich selbst der Pest erlegen.
Netflix weicht stark von der Vorlage ab
Die Ausgangslage ist inspiriert von Giovanni Boccaccios gleichnamiger Novellensammlung, mit der die Serie abgesehen von der Rahmenerzählung, die eine Gruppe von Adeligen während der Pest auf ein Landgut flüchten lässt, aber wenig gemein hat. Die adligen Protagonist*innen von The Decameron vertreiben sich die Zeit jedenfalls kaum damit, einander pointierte Geschichten zu erzählen, sondern widmen sich ganz den Ränkespielen zum Erhalt ihres Wohlstands. Es wird gefeiert, intrigiert und begehrt. Heirats- und Seitensprungwillige bandeln miteinander an, wobei nicht alle die ganze Wahrheit über ihren emotionalen und sozialen Stand offenbaren.
Das ist amüsant mit anzuschauen, solange The Decameron nicht mit Seitenhieben auf den Wahnsinn der Ständegesellschaft spart: Die völlige Achtlosigkeit der Noblesse gegenüber dem sie umgebenden Elend, ihre Egozentrik und Unselbstständigkeit stehen der stetigen Ackerei der Bediensteten gegenüber, die diese ungerechte Ordnung zähneknirschend als gottgegeben akzeptieren. Eine Hinterfragung der Ordnung vollzieht sich allerdings dann, als bekannt wird, dass Visconte Leonardo verstorben und seine Villa damit herrenlos ist.
Den daraufhin entbrennenden Kampf um die Oberhand lädt Showrunnerin Kathleen Jordan mit viel zeitgeistigem Humor und Habitus auf, zum einen in den Dialogen und zum anderen mit Popsongs, die situativ passend abgespielt werden. Das ist durchaus mal treffend inszeniert, etwa als Licisca einen Befreiungsschlag gegen die sie malträtierende Filomena vollführt, dabei Master and Servant von Depeche Mode anklingt und ein Bettler das ganze mit „Fuck yeah, Signora!“ kommentiert. Doch im Verlauf der acht knapp einstündigen Folgen nutzt sich dieser Effekt ab und kann nicht länger über die recht zerstreute und repetitive Erzählweise hinwegtäuschen.
Das ist schade, denn im Groben umkreist die Serie immer mal wieder die Vorstellung vom Tod als großem Gleichmacher und liefert im historisch-verspielten Gewand Bezüge zu Debatten der Corona-Pandemie.
Zu einer interessanten Auseinandersetzung hiermit kommt es jedoch nicht, vielmehr wird dann doch vor allem der Frage nachgegangen, wofür es sich in schlimmen Zeiten überhaupt zu (über-)leben lohnt. Die Antwort darauf ist so banal wie universell.