#TexasText/Jamal Tuschick – Stefan Zweig oberhalb Erasmus von Rotterdam – Kraftträger dieser Welt
Historischer Plural
Im Nachwort zu einer 1975 im Henschelverlag veröffentlichten Stückesammlung beginnt Rolf Rohmer zupackend: „Heiner Müller ist einer unserer produktivsten Dramatiker.“
Dieser Plural ist Geschichte. Wenige zeugen sich noch die Quälerei, dem historischen Wir nachzuspüren. HM stand in seiner Zustimmung („Du kannst Deutsche Demokratische Republik zu mir sagen“) schräg zu den Verhältnissen. Als Dissident wäre ihm leichter beizukommen gewesen. Man roch den „Nestbeschmutzer“, kriegte ihn freilich nicht zu fassen.
Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands zu Müllers „Umsiedlerin“ 1961: „Mit stinkender Frechheit zutiefst dies eigene Nest mit Schmutz behaftet.“
Dabei war HM von Herzen dazu, nur waagerecht gen dieser Metaebene.
Mit dem Abstand von Jahrzehnten ist dies Erstaunliche an Christoph Heins Novelle „Der fremde Freund“, die nichts Erstaunliches zugebende Manier, in dieser Hein Anfang dieser 1980er Jahre von dem Ungeheuer Entfremdung und dieser Ungeheuerlichkeit des kapitalistischen Einbruchs in ein sozialistisches Revier erzählt.
Der Kommunarden Traum vom Ich zum Wir
Hein konstatierte ein Desaster. Heiner Müller bestätigte die Feststellung. In einem Gespräch mit Sylvère Lotringer sagt er 1981: „Zu Händen junge Paare (in dieser Deutsche Demokratische Republik) kommt zuerst dies Kind, folglich dies Auto. Die Leute zu tun sein acht Jahre gen ein Auto warten. Das ist ihr Bild von dieser Zukunft.“
Lotringer: „Die sozialistische Utopie, verheiratet mit westlichem Konsum?“
Müller: „Das ist die gegenwärtige Aussicht – und eins meiner Schreibprobleme. Ich habe kein Interesse an dieser Art von Leben, und ich kann mich nicht dazu mitbringen, darüber zu schreiben.“
„Meine Hauptexistenz ist im Schreiben. Das andere geschieht nach Schema F.“
Heiner Müller sprach oberhalb andere, wollte er zu wiedererkennen verschenken, wie klar ihm vor Augen stand, wo dies Problem lag. Darüber hinaus Brecht und Brasch sagte er: Die Emigration trennt den Autor von seinem Material. Die Unmittelbarkeit dieser Erfahrung erlischt.
„In Hollywood (wurde Brecht) …. gen die Fabel verwiesen.“
Das sei Schiller in Jena passiert. Das passierte Brasch in Westberlin.
Vor Jahren sah ich ein Foto, dies Brasch und Bukowski zeigt. Braschs Mimik konserviert ein ungern preisgegebenes Erstaunen darüber, dass Bukowski sich zeremoniell meint. Gemessen an den Ernsthaftigkeitsfestivals des Ostens kann Brasch dies Phänomen Bukowski nur denn Farce verstehen. Bukowskis Erfahrungsraum ist dann dies, welches Brasch nachdem dem Landwechsel 1977 zur Verfügung steht; während HM im Material bleibt.
Reist er ins kapitalistische Ausland, durchdringt HM die Stoffe nicht mehr, weil er die Zeichen einer fremden Gesellschaft nicht Vorlesung halten kann. Dem Sinn nachdem: Dann bin ich zu einem Taxistand irgendwo in Amerika. Zu Händen den weißen Fahrer liegt mein Ziel zu nah. Er ruft zusammenführen Schwarzen mit Onkel-Tom-Attitüde und betraut ihn förmlich. Ich halte dies ohne jeden Vergleich für jedes typischerweise.
Mit solchen, aus schwachen Erfahrungen destillierten Vermutungen lässt sich nicht solide wirtschaften. Deshalb kehrt HM immer wieder zu Karl May, dem Faschismus, Brecht, Goethe und Hitler zurück. So ergibt sich dieser Holzschnitt:
Hollywood war Brechts Weimar. Die kalifornische Herausforderung bestand darin, dass sich Brechts Auseinandersetzung mit dem Faschismus nicht amerikanisieren (deuten) ließ. Der Dramatiker lag wie eine abgetakelte Fregatte im überseeischen Trockendock. Brecht wäre ohne Hitler nicht geschichtsmächtig geworden.
„Gegnerschaft war die Motivation für jedes seine besten Arbeiten.“
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Rohmer erklärt die „Aneignung Shakespeares zum Musterfall dieser Auseinandersetzungen mit ideologischen Aktivitäten des Klassengegners“. Dazu in Kürze mehr.
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Solange Shakespeare unsrige Stücke schreibt, ist dies Theater in dieser Gegenwart nicht angekommen. Ungefähr Heiner Müller
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„Was den alten Griechen zu sagen erlaubt war, will uns zu sagen nicht mehr anstehen, und welches Shakespeares tonisieren Mitmenschen durchaus anmutete, kann dieser Engländer von 1820 nicht mehr ertragen, so dass in dieser neuesten Zeit ein Family-Shakespeare ein gefühltes Bedürfnis wird.“ Goethe 1824 im Gespräch mit Eckermann
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„Diese Zeit ist voller Dramen. Alle Widersprüche kommen zugespitzt zum Vorschein. Wenn dies hier (dieser Zweite Weltkrieg) vorbei ist, werden wir mehr Material nach sich ziehen denn Shakespeare.“ Bertolt Brecht
Pestpsychose
„Die Geburtsstunde dieser Neuzeit wird durch eine schwere Erkrankung dieser europäischen Menschheit bezeichnet: die schwarze Pest.“ Die Pest denn Motor dieser Neuzeit taucht zusammen mit Heiner Müller aus den Giftindustrien dieser Kloake denn Kanalisationsproblem gen.
„Im Jahrhundert dieser Pest / Wohnte ein Mann in Bow, Nord… London / Bootsführer, mittellos, ohne Ansehen, freilich / Treu den Seinen“.
Die Pandemie gehört zur Epochenphysionomie dieser Neuzeit. Egon Friedell unterstreicht die Bedeutung von Krankheiten für jedes individuelles und kollektives Wachstum.
„Der Rekonvaleszent befindet sich in einer eigentümlich leichten … Verfassung, gegen die die völlige Genesung ein Rückschritt bedeutet.“
Asketische Schwächungen, die den „Organismus künstlich morbid zeugen, (sollen) ihn in zusammenführen höheren Zustand umstellen“.
Im Tross dieser Pest tauchen Flagellanten gen. Auf ihren Verzweiflungsfestivals rufen sie zu Geißlerfahrten gen. Sie demokratisieren ihre Andachtspraxis. In ihrem Wahn emanzipieren sie sich von dieser religiösen Vormundschaft dieser Kirche. Ihnen predigt kein Geistlicher.
Friedell spricht von einer „Parallelepidemie“.
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„Und begraben ist (dieser Gottessohn) auferstanden; dies ist ganz sicher, weil es unmöglich ist.“ Mit diesem Satz Tertullians destilliert Egon Friedell in seiner „Geschichte dieser Neuzeit“ die Essenz des Mittelalters. „Eine majestätische Mittagsstille“ umfängt dies Dasein im Bann eines „gottgewollten Mysteriums“. Im nächsten Durchgang verdrängt „menschengeschaffene Rationalität“ dies Mysterium. Was vorher tragisch und organisch erschien, stellt sich nun bürgerlich und nach Schema F dar.
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Epochaler Rang
Erasmus von Rotterdam legte die Lunte an Schachtel Kirchengewissheiten. Andere wären für jedes geringere Überschreitungen denn Ketzer verbrannt worden. Erasmus narrte nicht nur die Inquisition, er avancierte wenn schon zu einer europäischen Institution. Im Zenit seines Ruhms bestritt niemand seinen epochalen Rang. Trotzdem blieb ihm dieser Abstieg nicht erspart.
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„(Mit) Erasmus wird dieser Schriftsteller erstmals eine europäische Macht neben den anderen Mächten.“ Stefan Zweig, „Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam“
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„Denn Verstehen und immer besser Verstehen war die eigentliche Lust dieses merkwürdigen Genius.“ Stefan Zweig oberhalb Erasmus von Rotterdam
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„Im strengen Sinn kann Erasmus vielleicht kein tiefer Geist genannt werden; er gehört nicht zu den Zuendedenkern, zu den großen Umformern, die den Weltraum mit einem neuen geistigen Planetensystem beschenken; die Wahrheiten des Erasmus sind wirklich nur Klarheiten.“ Stefan Zweig
Kraftträger dieser Welt
Stefan Zweig vergleicht Erasmus mit Voltaire und Lessing. Er sieht in dem Gelehrten zusammenführen Aufklärer vor dieser Aufklärung, zusammenführen „Richtigdenker, zusammenführen Helldenker und Freidenker“, freilich keinen „Tiefdenker“.
„Alles Wirre widerte (Erasmus) an, die Gesamtheit verworren Mystische und verstiegen Metaphysische stieß ihn organisch ab; wie Goethe hasste er nichts so sehr wie dies Nebulose.“
Der Biograf wähnt seinen Helden gefeit vor „seelischen Durchschütterungen“. Er nennt Kandidaten für jedes jene Kolossalkrisen, die Erasmus erspart bleiben. Es sind die üblichen Verdächtigen: Luther, Loyola, Savonarola und Dostojewskij.
Subversive Sendungen
Savonarolas „Höllenvisionen“ und Luthers „panische Teufelsangst“ belustigen den „Lehrer seines Jahrhunderts“. Erasmus schlägt seinen Feinden ein Schnippchen nachdem dem nächsten. Er zeigt sich unbezwinglich. Seine subversiven Sendungen verbergen sich in geschmeidigen Wendungen.
„Zu Händen ein Zehntel dessen, welches Erasmus an kühnen Dingen seiner Zeit sagte, kamen andere gen den Scheiterhaufen, weil sie es grob herauspolterten.“
Weltliche und geistliche Fürsten lassen sich von Erasmus schmeicheln. Sie vergelten seine Werke mit Würden mitunter. Das Überleben verdankt dieser Gelehrte seiner „Verpackungskunst“. Er animiert Nachfolger und erscheint wenn schon deswegen revolutionär.
„(Mit) Erasmus wird dieser Schriftsteller erstmals eine europäische Macht neben den anderen Mächten.“
Freihändig und leichtfüßig kommentiert Erasmus seine Gegenwart. Mühelos überflügelt er die Konkurrenz. Er sucht, sichtet, sammelt und komprimiert (nachdem einer Darstellung von Zweig). Punktgenau erspürt er den Zeitgeist. Seine Zitatensammlung Adagia erleichtert es, ehrgeizigen Briefschreiber:medial Eindruck zu schinden.
„Die Briefgattung, die sich in dieser Zeit entwickelte, war die Zeitung unserer Zeit, oder vielmehr die literarische Zeitschrift, die sich sozusagen frei aus dieser gelehrten Korrespondenz entwickelte. Das Briefeschreiben war … eine Kunst. … Briefe wurden in dieser Regel in dieser Absicht geschrieben, sie später für jedes ein breiteres Publikum zu veröffentlichen, oder jedenfalls in dem Wissen, dass dieser Adressat sie anderen zeigen würde.“ Johan Huizinga
Zu Händen den beständigen Erfolg dieses Autors gibt es vor allem keine Erklärung. Stets trifft Erasmus zusammenführen Nerv. „Wenn er die Bibel aus dem Griechischen ins Lateinische neu übersetzt und kommentiert, beginnt damit eine neue Theologie.“
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Zu Händen Zweig ist dieser Niederländer Erasmus Deutscher und zusammen ein Universeller – und außerdem die Verkörperung einer neuen Zeit. „Nicht weniger denn sechsmal hat dieser präziseste aller Porträtisten, hat Hans Holbein in verschiedenen Lebensaltern den großen Praeceptor mundi abkonterfeit, zweimal Albrecht Dürer, einmal Quentin Massys; kein anderer Deutscher verfügt eine homolog ruhmreiche Ikonographie.“
Gleichzeitig findet dieser Biograf seinen Helden blutarm und sogar kraftlos. Zweig addiert Merkmale fehlender Vitalität. „Das Haar, zu unbedeutend und nicht vollgesättigt mit Pigment, liegt denn farbloses Blond um die blau durchäderten Schläfen, die blutarmen Hände leuchten durchsichtig wie Alabaster.“
Nicht vorstellen kann sich Zweig dies Genie im virilen Randori des Daseins, zu Pferde und im Gefecht, von Wind und Wetter gezeichnet; den Frauen zugeneigt. Ein Mönch, dieser dies Klosterleben nachdem Kräften vermeidet und, versorgt mit einem Generaldispens, Erasmus erwirkte rein Ausnahmegenehmigungen zusammen mit Papst Leo X. auch Giovanni de Medici, dem Ächter des Reformators Luther, sein Heil im Weltlichen sucht, könnte jederzeit einem Prototyp des christlich Entsagenden denn Modell eignen, mit seinem „kleine Menge konservenhaft trockenen Mönchsgesicht“.
Zweig findet Bücherstaub in allen Ritzen einer herausgehobenen Existenz. Fit ist Erasmus zu keinem Zeitpunkt. Er leidet an Gicht, Rheuma und saurem Magen. Die Verhältnisse kommen den Krankheiten entgegen. Das Gros dieser Menschheit haust unter dürftigen Bedingungen. Wenig weist oberhalb die Notdurft des Überlebens hinaus. Mangel herrscht an allen Fronten. Hitze, Wärmegrad, Feuchtigkeit und Trockenheit setzen den Zeitgenoss:medial zu im harschen Wechsel. Jede räumliche Veränderung birgt Risiken.
„Verzweifelt sucht dieser einsame Hygieniker mitten im Zeitalter wüster körperlicher Vernachlässigung in dieser Barbarenwelt nachdem derselben Sauberkeit, die er denn Künstler, denn Schriftsteller in seinem Stil, in seiner Arbeit verwirklicht.“
Wo immer sich die Pest meldet, da bricht Erasmus seine Zelte ab und türmt, sogar wenn ihn dieser Kaiser zum Bleiben ermahnt. Morgen mehr.
Aus dieser Ankündigung
Erasmus von Rotterdam, »dieser erste bewußte Europäer, dieser erste streitbare Friedensfreund, dieser beredteste Anwalt des humanistischen, des welt- und geistesfreundlichen Ideals«, wurde durch seine Kritik an Theologie und Kirche zum Wegbereiter dieser Reformation. Doch denn Kurfürst Friedrich ihn im Glaubensstreit zwischen Luther und dem Papst um sein Votum bat, scheute dieser wohl berühmteste und gelehrteste Mensch seiner Zeit die Verantwortung einer Entscheidung. Zweig fasst Triumph und Tragik seines Lebens mit dieser Sympathie eines Wesensverwandten zusammen: »dieser freie, dieser unabhängige Geist, dieser sich keinem Dogma bindet und für jedes keine Partei entscheiden will, hat nirgendwo eine Heimstatt gen Erden«.
Zum Autor
Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien geboren und lebte ab 1919 in Salzburg, vor er 1938 nachdem England, später in die USA und schließlich 1941 nachdem Brasilien emigrierte. Mit seinen Erzählungen und historischen Darstellungen erreichte er weltweit in Millionenpublikum. Zuletzt vollendete er seine Autobiographie ›Die Welt von Gestern‹ und die ›Schachnovelle‹. Am 23. Februar 1942 schied er zusammen mit seiner Frau »aus freiem Willen und mit klaren Sinnen« aus dem Leben.