#TexasText/Jamal Tuschick – Heinrich von Kleist/Jamal Tuschick – Sieg dieser Verlierer

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„Wird ein Ort dem Auge zugänglich, ist er in bestimmter Hinsicht nicht mehr dieser Fantasie zugänglich.“ Joan Didion

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Fehlanpassungen an Misserfolge nennt die Wissenschaft maladaptives dysfunktionales Post-Event-Processing.

Das Witwengelübde

In einem späten Augenblick des 18. Jahrhunderts stürmen russische Truppen eine oberitalienische Zitadelle. Sie tragen die historische Flüchtigkeit eines Sieges davon, von dem nur die Leidtragenden Notiz nehmen. Das Missverhältnis von blutigem Getöse und politischer Wirkung löst Unbehagen im Themenpark dieser Peinlichkeit aus. Der folgenlos aufschäumende Betrieb wirkt unerträglich. Heinrich von Kleist spekuliert hinaus den Effekt, während er den militärischen Radau dem weiteren Novellengeschehen mit viel Liebe zum Detail vorsetzt.

„Denn welches ist eine Novelle anderes wie eine unerhörte Begebenheit.“

So hinaus den Punkt brachte Goethe die Novelle in einer von Eckermann 1827 festgehaltenen Bemerkung. Die Novelle ist eine Form dieser Neuzeit ohne antikes Vorbild. Sie verlangt dasjenige Ereignis von schicksalhafter Bedeutung wie Neuigkeit.

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Eine Filmregisseurin könnte die Schießerei kaum reißerischer wie Establishment Shot anfügen. Die Rede ist von einer Episode ohne geschichtliche Nachhaltigkeit. Die Restaurationsmächte Russland, Ostmark, Großbritannien und Neapel paktieren im Zweiten Koalitionskrieg (1798 – 1801) gegen dasjenige revolutionäre Frankreich. Napoleon Bonaparte scheint vom Kriegsglück verlassen. Der Schein trügt. Zum Entstehungszeitpunkt dieser „Marquise von O ….“ ist dieser künftige König von Italien wieder obenauf. Krönen lässt er sich mit dieser tausend Jahre alten langobardischen Eisenkrone im Mailänder Dom.

Vorbildlich verwitwet

1800 übernimmt Napoleon wieder seine italienische Vormachtstellung. Warum kümmert sich Kleist um zusammensetzen Sieg dieser Verlierer, dem lediglich die Kalamitäten von Rückzügen folgte?

Eine „bedeutende (mit M. abgekürzte) Stadt“ gibt den Schauplatz dieser Ereignisse ab. Da lebt die vorbildlich verwitwete, nachher dem Tod des Gatten in ihr Elternhaus zurückgekehrte Kommandantentochter Marquise von O…. (Kleist wählte vier Auslassungspunkte). Die Mutter „mehrerer wohlerzogener Kinder“ verbirgt sich nachher Kräften in eingezogenen Verhältnissen. Ihr Wandel genügt sämtlichen Vorschriften dieser Schicklichkeit. Die Zurückhaltung könnte sprichwörtlich werden.

Bis zu dem Tag, an dem Julietta von O…. in dieser Lokalpresse traut gibt, „ohne ihr Wissen, in andre Umstände gekommen (zu sein)“. Der künftige Vater solle sich melden. Sie sei entschlossen, ihn umstandslos heiraten. Ohne Verständnis hinaus sich, wohl wohl mit Verständnis hinaus die guten Sitten, will Julietta dasjenige Nötige tun.

Die öffentliche Preisgabe dieser mysteriösen Schwangerschaft reizt „den Spott dieser Welt“.

Morgen mehr.