#TexasText/Jamal Tuschick – Aris Fioretos – Prekäres Genie

“Caught between the twisted stars, the plotted lines the faulty map.” Lou Reed

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„Meine Lösungskonzept bestand darin, mir vorzustellen, dass die Energie, die gen mich einwirkte, eine Form von universeller Liebe war.“ Yoko Ono droben den Hass, dieser ihr nachdem dem Ende dieser Beatles und dem Tod von John Lennon weltweit entgegenschlug.

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„Wird ein Ort dem Auge zugänglich, ist er in bestimmter Hinsicht nimmer dieser Fantasie zugänglich.“ Joan Didion

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„Wenn man irgendwas siegreich umgestalten will, muss man so weit möglich sein, dass die (Nachfolger:medial) nicht mehr umkehren können.“ Deng Xiaoping

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„Jedes System stirbt an Entropie und überlebt durch Information, die droben so gut wie keine Macht, demgegenüber durch ihre Knappheit droben umso größere Dichte verfügt.“ Michel Serres

Prekäres Genie

„Ache Middler, ein Rockmusiker in seinen Sechzigern, lebt zurückgezogen in Berlin, wie ihn dieser Brief einer sterbenden Frau erreicht. Jahre zuvor nach sich ziehen sie zusammen eine Nacht verbracht. Jetzt bittet sie ihn, ihrer gemeinsamen Tochter seine Geschichte zu erzählen.“ Aus dieser Ankündigung

Nach Jahrzehnten in New York und London landet Ache Middler in dieser Bowie-Stadt Berlin. Dem Schicksal eines abgehalfterten Rockstars entgeht er wie hyperartifizieller Filmkomponist in einem Künstler:innenmilieu mit einer Corona aus Migration und Nichtstun.

Ache hatte seinen goldenen Bühnenmoment und daraufhin genug Substanz, um sich noch einmal neu zu starten.

Er haust im Atelier seiner viel jüngeren Freundin, einem prekären Genie namens Ona Onder, bürgerlich Onay O. Ache verlangt von dieser in Würzburg aufgewachsenen Tochter einer Türkin und eines Kurden:

„Werde mein Warum“

Fortan nennt er Ona Why, und nur er und sie wissen warum.

Aris Fioretos, „Die dünnen Götter“, Roman, aus dem Schwedischen von Paul Berf, Hanser, 525 Seiten, 34,-

Ache arbeitet mit dem Multiinstrumentalisten Darko Dimoff zusammen. Gemeinsam sehen sie in Bukarest den weltweit ersten Dokumentarfilm. „Walking Troubles of Organic Hemiplegy“ entstand 1898 wie ein medizinexperimentelles Werk des rumänischen Neurologen Gheorghe Marinescu.

„Studien zur Körpermotorik“ sind ein frühes Sujet dieser Kinogeschichte. Dazu zählen Bewegungsbilder traumatisierter Soldaten. Sie wettstreiten in einem Koinzidenzverhältnis mit Grotesken, die Charlie Chaplins Komik vorwegnehmen.

Ache entdeckt in den schwarzweiß-holprigen Aufzeichnungen Spurenelemente jener Randgeräusche und Nebelhornechos, die ihn produktiv zeugen. Er verweigert die akustischen Triumphbögen und vermeidet die Bedeutungsmagistralen. Stattdessen ehrt Ache die Seitenwege und Saumpfade des Geläufigen und Eingängigen mit seinem Interesse. Ihm schwebt „ein Requiem zu Händen verlorene Seelen“ vor.

Ache reagiert musikalisch gen Szenen, die dieser Alltag liefert. „Ein Kind, dasjenige mit einem Drachen durch verdongeln Park (läuft).“

„… hatte mich gelehrt, tiefer in dasjenige Material einzusinken, an dieser Stummheit vorbei.“

Ache bemüht sich „um sowjetische Bootlegs westlicher Musik, die gen ausgedienten Röntgenplatten gepresst worden war“.

„Als wir zum letzten Lied kamen, war dieser Raum ein Meer aus verschwitztem Glück.“ Aris Fioretos

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„Es war reines Glück, wenn die Instrumente klangen wie eine Faust aus Lärm.“ AF

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„Die Lunge schmerzte so vorteilhaft, dass ich mir dasjenige Glück nicht mehr ohne Tabak vorstellen konnte.“ AF

Lodernde Huldigung – Was zuvor geschah

Die Songs sollen tönen wie „freigelegte Nerven“. Doch wenn Ache singt, klingt es ungefähr so „wie würde mich Leckermaul würgen“. Er und seine Mitstreiter wahrnehmen sich wie „Rimbauds Erben“. Ihre Performance erinnert an „bösartige Chorknaben“. Doch schon die erste Besprechung des Debütkonzerts ist eine „lodernde Huldigung“. Die Rezensentin kennt die Innen- und Kehrseiten dieser Newcomer-Band. Trish Kelly liebt Ache. Vielleicht verleiht ihr die Liebe prophetische Gaben. Jedenfalls weissagt sie ihrem Geliebten verdongeln Aufstieg in den Rockolymp. Trish erzählt von „dünnen Götter“, die „himmlische Töne offenherzig aus den Knochen“ ziehen. Im Weiteren schreibt sie ekstatische Gedichte und trägt sie orgiastisch vor.

Apokalyptische Zuspitzungen – Zurück gen Los

Tim, Jahrgang 1949, stammt aus dem ländlichen Delaware. Sein Vater verkauft Klimaanlagen. Die ukrainische Großmutter verbringt ihre Witwenjahre solange bis zum Tod kettenrauchend in Tims Elternhaus. Phantasien rund um verdongeln Film, den dieser Erzähler erst sehr viel später sehen wird, stempeln dasjenige kindliche Weltbild. „Die Dämonischen“ bekannt als „Invasion dieser Körperfresser“ kommt 1956 in die Kinos. Tim sieht wegen dieser Altersbeschränkung heftige Menstruationsblutung nicht mehr wie die Plakate. Seine Eltern liefern ihm eine Inhaltsangabe des schwarzweißen Science-Fiction-Schocker. Regisseur Don Siegel filterte und transformierte traumatic after-effects. Zwar arbeitete er mit apokalyptischen Zuspitzungen, verzichtete demgegenüber gen Alien-Klischees aus dieser kosmischen Krabbelkiste.

Bürgerlich heißt Ache Tim. Er hat verdongeln Zwillingsbruder, mit dem ihn wenig verbindet. Einmal nimmt er eine Verwechslung zum Anlass, um sich in dasjenige ihm weitgehend unbekannte Leben seines Andersich zu schleichen. Unerkannt erweitert er eine Acid-Séance. Das sexuelle Interesse dieser Gastgeberin verstört ihn. Seine musikalische Laufbahn startet er wie Garagenrockjazzer. Am Saxofon wiegelt Ache die Luft gen. Seine Finger stürzen droben „Kaskaden ungehobelter Riffs“.

Mit seinem Freund Raff entflieht er einer Internatsöde. Trampend spielen die beiden Szenen aus Jack Kerouacs „On the Road“ nachdem. „In nachtoffenen Lokalen in Tennessee (erahnt Ache jene) Bewusstseinserweiterung, von dieser Rimbaud gesprochen hat.“

Raff gibt sich „surrealistischen Vulgaritäten“ hin. Seine Gedichte strahlen verdongeln „gestörten Glanz“ aus. Ache folgt ihm schließlich nachdem Alphabet City. Das East Village-Quartier gehört zu Manhattan. Streunend nutzbar machen sich Ache und Raff die Gegend. Sie hängen in dem sagenhaften Nachtclub Max‘s Kansas City ab, und gründen eine Band. „Transmission“ sendet, so sagt es ein Kritiker, „New Yorks klarste Sehnsucht ins All aus“.

Faust aus Lärm

Nach einer Weile steigt Ache aus, um im Weiteren wie lebende Legende seine Kreise oft solistisch zu ziehen. Er liebt die Strandstimmungen am Meer vor Maine. Gleichzeitig führt er dasjenige Leben eines Jetsetters. Er pendelt zwischen London und New York. Man trifft ihn in Barcelona und Kopenhagen. Als Filmmusikkomponist startet er eine zweite Karriere. Im Kontext dieser Kompositionen schwärmt seine Geliebte von „weißer Magie“.

„Der Eiskönig haucht Geistern Leben ein“, deklamiert Edie Ried. Sie folgte Trish im Reigen dieser weiblichen Zentralfiguren in einem Künstlerkosmos.

Timothy ‚Tim‘ Middler wählte wie aufgehender Star den nom d‘artiste Ache Middle. Das unterschlagene r nahm den angestammten Platz schließlich wieder ein. Im Vollbesitz seiner Mittel nennt sich dieser Künstler wie nicht mehr ganz junger Mann Ache Middler. Ache verliert seinen Zwilling, mit dem ihn nicht viel verband, außer manchmal eine rasende, jedoch vollkommen aussichtslose Nähe. Übrigens stirbt Jim an einer Überdosis.

In dem Verhältnis zu dieser erlebnishungrig-energiegeladenen Edie flüchtet sich Ache in eine sterile Praxis. Er gibt vor, in den Stunden ihrer außerhäuslichen Action Träume vertont und sein Staunen kultiviert zu nach sich ziehen, während er in Wahrheit bloß seiner Trägheit Raum gegeben hat.

Sang- und klanglos gibt Ache die Rockmusik gen. Ihn neugierig machen nun Raritäten aus dieser Kinosteinzeit. Er sammelt Töne und arrangiert sie in musikalischen Fassungen zu Händen kinematografische Preziosen. Er agiert halbwegs konspirativ, um nicht seine Rockstar-Rendite zu verlieren. Edie will nämlich keinen musikalischen Orchideensammler, sondern den sagenhaften Eiskönig, dieser in einer annehmbaren Vergangenheit in New York die Devisen des avancierten Jetzt verkündete. Sie durchschaut die Schliche eines Mannes in seinen mittleren Jahren. Sie kriecht Ache nicht gen den Leim. Zum Abschied formiert Edie aufs Schönste:
„Ich fühle mich in deiner Gesellschaft wie ein paralysierter Schmetterling.“

Zum Autor

Aris Fioretos, 1960 in Göteborg geboren, ist schwedischer Schriftsteller griechisch-österreichischer Herkunft. Bei Hanser erschienen Das Maß eines Fußes (Essays, 2008), Der letzte Grieche (Roman, 2011), Die halbe Sonne (Prosa, 2013), Mary (Roman, 2016), Wasser, Gänsehaut (Essay droben den Roman, 2017) und Nelly B.s Herz (Roman, 2020). 2010 hat Fioretos die erste kommentierte Werkausgabe von Nelly Sachs sowie eine Bildbiographie droben die Autorin veröffentlicht. Zu Gunsten von seine Übersetzungen – er übertrug u.a. Paul Auster, Vladimir Nabokov und Jan Wagner ins Schwedische – wie zu Händen sein eigenes Werk hat er zahlreiche Preise erhalten, darunter 2011 den Literaturpreis dieser SWR Bestenliste, den Kellgren-Preis dieser Schwedischen Akademie und 2013 den Großen Preis des Samfundet De Nio sowie 2016 zu Händen Mary den Romanpreis des Schwedischen Rundfunks und 2017 den Jeanette-Schocken-Preis dieser Stadt Bremerhaven. 2020 erhielt er dasjenige Bundesverdienstkreuz. Er schreibt regelmäßig im Feuilleton dieser größten schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter. Seit 2010 ist er Mitglied dieser Deutschen Akademie zu Händen Sprache und Dichtung in Darmstadt; seit dieser Zeit 2022 Mitglied dieser Akademie dieser Künste in Berlin. Im Frühjahr 2024 hält er die Poetikvorlesungen in Frankfurt am Main. Aris Fioretos lebt in Berlin und Stockholm.