#TexasText/Jamal Tuschick – Aris Fioretos – Faust aus Lärm

„Als wir zum letzten Lied kamen, war welcher Raum ein Meer aus verschwitztem Glück.“ Aris Fioretos

*

„Es war reines Glück, wenn die Instrumente klangen wie eine Faust aus Lärm.“ AF

Faust aus Lärm

„Ache Middler, ein Rockmusiker in seinen Sechzigern, lebt zurückgezogen in Berlin, wie ihn welcher Brief einer sterbenden Frau erreicht. Jahre zuvor nach sich ziehen sie zusammen eine Nacht verbracht. Jetzt bittet sie ihn, ihrer gemeinsamen Tochter seine Geschichte zu erzählen.“ Aus welcher Ankündigung

Er gründet eine Band, die vielen revolutionär und wegweisend erscheint. Nach einer Weile steigt er aus, um im Weiteren wie lebende Legende seine Kreise oft solistisch zu ziehen. Er liebt die Strandstimmungen am Meer vor Maine. Gleichzeitig führt er dasjenige Leben eines Jetsetters. Er pendelt zwischen London und New York. Man trifft ihn in Barcelona und Kopenhagen. Als Filmmusikkomponist startet er eine zweite Karriere. Im Kontext welcher Kompositionen schwärmt seine Geliebte von „weißer Magie“.

„Der Eiskönig haucht Geistern Leben ein“, deklamiert Edie Ried. Sie folgte Trish Kelly im Reigen welcher weiblichen Zentralfiguren in einem Künstlerkosmos.

Aris Fioretos, „Die dünnen Götter“, Roman, aus dem Schwedischen von Paul Berf, Hanser, 525 Seiten, 34,-

Der aus dem kleinstädtischen Delaware gebürtige Timothy ‚Tim‘ Middler wählt wie designierter Rockstar den nom d‘artiste Ache Middle. Das unterschlagene r nimmt den angestammten Platz schließlich wieder ein. Im Vollbesitz seiner Mittel nennt sich welcher Künstler wie nicht mehr ganz junger Mann Ache Middler. Ache verliert seinen Zwillingsbruder, mit dem ihn nicht viel verband, außer manchmal eine rasende, jedoch vollkommen aussichtslose Nähe. Jim stirbt an einer Überdosis. Dabei war sein Start vielversprechend gewesen.

Im Verhältnis zu welcher erlebnishungrig-energiegeladenen Edie flüchtet sich Ache in eine sterile Praxis. Er gibt vor, in den Stunden ihrer außerhäuslichen Action Träume vertont und sein Staunen kultiviert zu nach sich ziehen, während er in Wahrheit bloß seiner Trägheit Raum gegeben hat.

Sang- und klanglos gibt Ache die Rockmusik uff. Ihn fesseln Raritäten aus welcher Kinosteinzeit. Er sammelt Töne und arrangiert sie in musikalischen Fassungen zu Händen kinematografische Preziosen.

Lodernde Huldigung – Was zuvor geschah

Ihre Songs sollen tönen wie „freigelegte Nerven“. Doch wenn Tim Middler vulgo Ache Middle vulgo Ache Middler („welcher letzte Buchstabe kehrte zurück um Selbständigkeit zu markieren“) singt, klingt es tendenziell so „wie würde mich Leckermäulchen würgen“. Ache und seine Mitstreiter wahrnehmen sich wie „Rimbauds Erben“. Ihre Performance erinnert an „bösartige Chorknaben“. Doch schon die erste Besprechung des Debütkonzerts ist eine „lodernde Huldigung“. Die Rezensentin kennt die Innen- und Kehrseiten welcher Newcomer-Band. Trish Kelly liebt Ache. Vielleicht verleiht ihr die Liebe prophetische Gaben. Jedenfalls weissagt sie ihrem Geliebten vereinigen Aufstieg in den Rockolymp. Trish erzählt von „dünnen Götter“, die „himmlische Töne unverändert aus den Knochen“ ziehen. Im Weiteren schreibt sie ekstatische Gedichte und trägt sie orgiastisch vor.

Apokalyptische Zuspitzungen – Zurück uff Los

Das Doppel-Menetekel von Hiroshima und Nagasaki verschmilzt im kollektiven Gedächtnis mit dem Welterklärungsernst welcher Schwarzweiß-TV-Zeitabschnitt. Im Land welcher Sieger:medial gibt es keine Atombomben-Depression, keinen kollektiven Kater, keine, sämtliche Glieder des Gesellschaftskörpers ergreifende Scham. Stattdessen beobachtet man in den Vereinigten Staaten eine out-of-the-bottle-Euphorie. Frauen lassen sich Atompilze toupieren. Konditor:medial kreieren Atompilztorten. Nuklearwaffentests in welcher Wüste von Nevada sind touristische Attraktionen. Tausende setzen sich voluntaristisch dem Fallout aus. In welcher Hochzeit von John Wayne und John Ford liefert dasjenige 1951 eingerichtete – am 27. Januar mit einer Parade vor dem ersten Abwurf eingeweihte – Testgelände circa hundert Kilometer nordwestlich von Las Vegas idealtypische Hollywood-Westernkulissen. Auch wie Science-Fiction-Mars funktioniert die Desert Depression.

Radioaktive Partys sind welcher letzte Schrei. Im Mafia-Eldorado Las Vegas hält man die Bombe zu Händen ein Geschenk des Himmels. Es kursiert eine Art Strahlungsexorzismus. Eine vornehmlich strahlende Tänzerin tritt wie „Miss A-Bomb“ uff. In einer hoch aufladbaren, superikonografischen, in einem endorheischen Becken gelegenen Fläche namens Jean Dry Lake konservieren sich Voraussetzungen zu Händen Leuchtzeichen welcher Traumindustrie. Szenen aus Casino, Fear and Loathing in Las Vegas und The Hangover werden uff dem Landschaftshotspot gedreht.

Tim, Jahrgang 1949, stammt aus dem ländlichen Delaware. Sein Vater verkauft Klimaanlagen. Die ukrainische Großmutter verbringt ihre Witwenjahre solange bis zum Tod kettenrauchend in Tims Elternhaus. Phantasien rund um vereinigen Film, den welcher Erzähler erst sehr viel später sehen wird, stempeln dasjenige kindliche Weltbild. „Die Dämonischen“ vulgo „Invasion welcher Körperfresser“ kommt 1956 in die Kinos. Tim sieht wegen welcher Altersbeschränkung stark nicht mehr wie die Plakate. Seine Eltern liefern ihm eine Inhaltsangabe des schwarzweißen Science-Fiction-Schocker. Regisseur Don Siegel filterte und transformierte traumatic after-effects. Zwar arbeitete er mit apokalyptischen Zuspitzungen, verzichtete dennoch uff Alien-Klischees aus welcher kosmischen Krabbelkiste.

Tim hat vereinigen Zwillingsbruder, mit dem ihn wenig verbindet. Einmal nimmt er eine Verwechslung zum Anlass, um sich in dasjenige ihm weitgehend unbekannte Leben seines Andersich zu schleichen. Unerkannt erweitert er eine Acid-Séance. Das sexuelle Interesse welcher Gastgeberin verstört ihn. Seine musikalische Laufbahn startet er wie Garagenrockjazzer. Am Saxofon wiegelt Ache die Luft uff. Seine Finger stürzen verbleibend „Kaskaden ungehobelter Riffs“.

Mit seinem Freund Raff entflieht er einer Internatsöde. Trampend spielen die beiden Szenen aus Jack Kerouacs „On the Road“ nachdem. „In nachtoffenen Lokalen in Tennessee (erahnt Ache jene) Bewusstseinserweiterung, von welcher Rimbaud gesprochen hat.“

Raff gibt sich „surrealistischen Vulgaritäten“ hin. Seine Gedichte strahlen vereinigen „gestörten Glanz“ aus. Ache folgt ihm schließlich nachdem Alphabet City. Das East Village-Quartier gehört zu Manhattan. Streunend nutzbar machen sich Ache und Raff die Gegend. Sie hängen in dem sagenhaften Nachtclub Max‘s Kansas City ab, und gründen eine Band. „Transmission“ sendet, so sagt es ein Kritiker, „New Yorks klarste Sehnsucht ins All aus“.

Zum Autor

Aris Fioretos, 1960 in Göteborg geboren, ist schwedischer Schriftsteller griechisch-österreichischer Herkunft. Bei Hanser erschienen Das Maß eines Fußes (Essays, 2008), Der letzte Grieche (Roman, 2011), Die halbe Sonne (Prosa, 2013), Mary (Roman, 2016), Wasser, Gänsehaut (Essay verbleibend den Roman, 2017) und Nelly B.s Herz (Roman, 2020). 2010 hat Fioretos die erste kommentierte Werkausgabe von Nelly Sachs sowie eine Bildbiographie verbleibend die Autorin veröffentlicht. Für jedes seine Übersetzungen – er übertrug u.a. Paul Auster, Vladimir Nabokov und Jan Wagner ins Schwedische – wie zu Händen sein eigenes Werk hat er zahlreiche Preise erhalten, darunter 2011 den Literaturpreis welcher SWR Bestenliste, den Kellgren-Preis welcher Schwedischen Akademie und 2013 den Großen Preis des Samfundet De Nio sowie 2016 zu Händen Mary den Romanpreis des Schwedischen Rundfunks und 2017 den Jeanette-Schocken-Preis welcher Stadt Bremerhaven. 2020 erhielt er dasjenige Bundesverdienstkreuz. Er schreibt regelmäßig im Feuilleton welcher größten schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter. Seit 2010 ist er Mitglied welcher Deutschen Akademie zu Händen Sprache und Dichtung in Darmstadt; seitdem 2022 Mitglied welcher Akademie welcher Künste in Berlin. Im Frühjahr 2024 hält er die Poetikvorlesungen in Frankfurt am Main. Aris Fioretos lebt in Berlin und Stockholm.