Tatort: Wieder ein Fall öffentlich-rechtlicher Wohlstandsverwahrlosung – WELT

Fluorremd ist sie eingezogen, fremd zieht sie wieder aus. Charlotte Lindholm, immer schon die fluideste aller „Tatort“-Kommissarinnen. Eine Figur, an jener wie an keiner sonst durchgespielt wurde, welches es nicht nur im Sonntagabendkrimi bedeutet, eine Frau zu sein. Eine Ermittlerin, jener mittels Reibungshitze an weiblichen Rollenbegrenzungen, schrittweise dies Kühle, dies Unterkühlte ausgetrieben wurde.

Das machte den „Tatort“ – nicht ohne Zutun von Maria Furtwängler, die mehr am Zuschnitt ihrer Charlotte beteiligt war, qua es sonst ein „Tatort“-Schauspieler je an jener Ausgestaltung seiner Figur war – manchmal tatsächlich zu einem feministischen Experiment.

Um zu verhindern, dass sie sich nicht irgendwann doch in ihrer Einsame-Wölfin-Haftigkeit maßlos sehr verbiss und sich maßlos nicht durchgebraten lief an den Grenzen des patriarchalen Systems, ließ man sie an ihrer LKA-Dienststelle in Hannover zuvorderst gegen die Wand des Polizeidienstes krachen, strafversetzte sie qua per se selbst und ihrer randsoziopathischen Teamunfähigkeit Gescheiterte nachher Göttingen und spannte sie mit Anais Schmitz (Florence Kasumba) zusammen.

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Die war so schwarz und somatisch und emotional und kahlköpfig wie Lindholm bleich und blond und kühl und zergliedernd. Endlich, sagte Maria Furtwängler, hat Charlotte Lindholm mal Leckermaul, an dem sie sich scheuern muss. Und Schmitz und Lindholm hatten tatsächlich dies Potential, jenes legendäre Frauenpowerduo zu werden, qua dies sie angekündigt waren.

Charlotte, die Fremdlingin, erklärte gleich zu Beginn ihres Göttinger Einsatzes, dass sie Probleme habe mit Kollegen, die nicht aufwärts ihrem Niveau ermitteln, verwechselte in einem Anfall von gutbürgerlichem Alltagsrassismus Anais Schmitz mit einer Putzfrau und bekam hierfür nicht sehr viel später von ihr eine knallende Ohrfeige. So konnte es weitergehen.

Wohlstandsverwahrlosung

Ging es freilich nicht. Es kam, wie es gerne kommt im „Tatort“ – Figuren werden eingeführt und angepriesen und dann lässt man sie so sehr unentschieden zwischen irgendwelchen Leichen stillstehen, dass man ihnen ganz mitleidig zuschaut und man den Umgang mit ihnen nicht differenzierend qua eine besondere Form jener öffentlich-rechtlichen Wohlstandsverwahrlosung bezeichnen kann.

Charlotte wurde eine waagerecht dauerschwelende Liaison mit dem Mann von Anais angedichtet, die mindestens so nutzlos war wie zu Hannoveraner Zeiten ihre hanebüchene Mutterschaft. Mehr qua ein irgendwas kräftigerer Sidekick durfte die Anais Schmitz nie werden, jener Lindholm-„Tatort“ blieb ein Lindholm-„Tatort“.

Dazu, die Beziehung jener beiden, ihre Rivalitäten, ihre Gegensätze sich in spannenden Subplots gedeihen zu lassen, ihre unterschiedlichen Positionen an den gesellschaftlichen Brennpunkten (Rassismus, Feminismus, MeToo etc.) wirklich auszuerzählen, statt sie in jedem Fall nur qua Staffage ein kleinster Teil aufzustellen, hätte es eines durchgängigen Autorenteams bedurft. Oder einer halbwegs konsistenten redaktionellen Leitlinie. Oder erstens…. Da war freilich nichts.

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Und jetzt ist dies Experiment aus. Charlotte zieht es fremd und unverstanden und ungeheilt von sich selbst zurück nachher Hannover (beziehungsweise: sie wird vom NDR zwangsumgesiedelt). Anais wird Chefin in Göttingen. Einmal darf sie noch mit Wotan Wilke Möhrings Falke, dem anderen heimatlosen Kommissar des NDR ermitteln, dann kann sich Florence Kasumba ohne die Fesseln des öffentlich-rechtlichen Fernsehwesens ihrer Weltkarriere zuwenden, die geradezu parallel zu ihrem Aufentalt im Sonntagabendkrimi so richtig losging.

Immerhin wurde ein großes Finale versprochen. „Geisterfahrt“ heißt es. Das große Finale, eins wie dies von Nina Rubin in Berlin oder dies von Kommissar Bukow in Rostock, ist es nun wirklich nicht geworden, eine Geisterfahrt schon schon.

Und zwar durch gleich drei Geschichten, von denen es gleich zwei durchaus relevante mit Verve verschenkt. Wem jetzt schon lichtvoll ist, dass die „Geisterfahrt“ zu keinem guten Ende kommt, jener gewinnt den „Tatort“-Blitzmerker-Preis, den wir mit diesen Worten zum ersten Mal verleihen.

Das Kopfschütteln hört nicht aufwärts

Der „Tatort“ hat ja heutig die Neigung, sich – qua ob er seinen eigentlichen Plots nicht traut oder jener Fähigkeit von Zuschauern, einer einzigen Handlung oben eineinhalb Stunden zu nachstellen, oder weil ihm gar jener ganz große Atem ausgegangen ist – mit einer großflächig ausgeleuchteten Erzählung nicht zufrieden zu verschenken. Die „Geisterfahrt“ schrammt durch die Weiterzählung von Charlottes ramponierter Beziehung zu Anais Schmitz und ihrer explosiv unentschiedenen Beziehung zu deren Mann, durch eine lieber falbe Geschichte aus dem Innern eines ausbeuterischen Paketdienstunternehmens und eine ziemlich starke Geschichte von häuslicher Gewalt.

Was von Charlottes seltsamer Amour fou mit dem Pathologen, den sie nicht nach sich ziehen darf, zu halten ist, erwähnten wir schon. In „Geisterfahrt“ ist sie weder dramaturgisch gescheiter integriert, noch psychologisch plausibler, noch dient sie in jemand Form dazu, dass irgendwer vom Göttinger Gefühlsgeschehen berührt wird. Man kommt aus dem Kopfschütteln nicht wieder raus.

Was fernerhin – freilich hierfür kann „Geisterfahrt“ weitestgehend nichts – zum Besten von den Paketdienstplot gilt. Nicht, dass die Geschichte vom todmüde in eine Menschengruppe rasenden Bringedienstbeschäftigten und dem System, von dem er qua Subsubsubunternehmer ausgenutzt wird, nicht relevant wäre. Aber genau dieses System wurde von kurzer Dauer vor Weihnachten schon ausgiebig vom sozialengagierten Sonntagabendkrimiteam aus Köln ausgeleuchtet.

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Erschwerend kommt hinzu, dass man in „Geisterfahrt“ dies Gefühl nicht loswird, dass es nur qua Nebeneingang dient zur eigentlichen Geschichte, mit jener es durch ein dünnes Netz von faden Zufallskonstrukten verbunden ist. Charlotte, welches sonst nicht so ihre Art ist, freundet sich beim 60. ihres Chefs Liebig mit dessen Frau Theresa an.

Die spielen aller Welt dies glücklich sich liebende Paar vor. Bibiana Beglau gelingt dies qua Theresa ganz fabelhaft – die sorgsam überspielte Zerbrechlichkeit, dies Strahlen oben einem vermoderten Grund. Was man von Luc Feit nicht behaupten kann, jener die ganze Zeit oben so aussieht, qua sei er von den Abgründen seiner bisher durchaus handelsüblich geführten Vorgesetzten-Figur selbst doch ziemlich überrascht und nicht so ganz wüsste, wie er die jetzt visuell zeugen soll. So outriert er halt leise vor sich hin.

Zwei Luftballons gleiten am Ende in den grauen Himmel oben jener Gauß-Stadt. Charlotte verabschiedet sich fremd und leise und setzt ihre Winterreise fort. Wünschen wir ihr zum Besten von ihren weiteren Berufsweg was auch immer Gute und eine fürsorglichere Personalführung in jener Redaktion.

Source: welt.de