Start-up-Szene: Gründer flirten mit welcher AfD
Eine Woche ist vergangen, seit die Ampelkoalition auseinanderbrach. Nach dem ersten Erstaunen über den Rausschmiss der FDP durch den Kanzler richten sich die Blicke jetzt auf die Neuwahl am 23. Februar und die Zeit danach. Derzeit deutet alles darauf hin, dass CDU-Chef Friedrich Merz die nächste Regierung anführen wird – eine schwarz-rote oder eine schwarz-grüne. Aber würde Deutschland mit einer solchen Koalition besser dastehen als unter der ungeliebten Ampel? In der Wirtschaft sind sich einige nicht so sicher.
Mitten in das politische Vakuum platzt jetzt die Forderung eines bekannten Kopfes aus der Start-up-Szene, die CDU solle nach der Wahl Gespräche mit der AfD aufnehmen. Christian Reber, Gründer der inzwischen zu Microsoft gehörenden App Wunderlist und heute Investor, hat sie am Dienstag auf der Plattform X veröffentlicht. An Merz gerichtet schrieb er dort*: „Öffnen Sie sich für eine Koalition mit der AfD, unter der Bedingung das kein offensichtlich rechts-radikales Parteimitglied politische Verantwortung tragen wird.“ Deutschland dürfe nicht aus der EU austreten und keine neue Währung einführen. „Stehen Sie gemeinsam mit der AfD für eine deutsche, bürgernahe und europäische Politik.“ Rebers Sorge: „Wenn wir in der nächsten Bundestagswahl nicht alle Wählerstimmen respektieren, droht Deutschland eventuell eine rechte Mehrheit in 2029.“
Den Anstoß zu der Debatte hatte ein Bekannter von ihm gegeben: Christian Miele, ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Start-up-Verbands. Die Bürger wollten „mehrheitlich eine bürgerlich-rechte Politik“, schrieb er auf X. „Eine große Gefahr besteht, dass es abermals vier Jahre faule Kompromisse geben wird.“ Die AfD, so Miele weiter, könnte dann 2029 an den anderen Parteien „rechts“ vorbeiziehen. „Was tun? Wie damit umgehen? Was sind eure Gedanken dazu?“
Die Debatte wurde schnell hitzig. Reber bekam Zustimmung für seinen Beitrag, teils wurde er aber auch, etwa von dem Grünen Daniel Eliasson, scharf kritisiert. Der Investor Frank Thelen, einem breiteren Publikum aus der Fernsehsendung „Höhle der Löwen“ bekannt, schrieb: „Keiner will eine starke AfD, aber aktuell geben uns die Wähler event. keine andere Option, Ihre demokratischen Stimmen in einer funktionierenden Regierung zusammen zu bringen.“ Der CDU-Politiker Thomas Jarzombek, der in der letzten großen Koalition von Angela Merkel Start-up-Beauftragter war, wies die Forderungen zurück: „Wir glauben an Europa, es war unser Projekt von Helmut Kohl und Konrad Adenauer. Die Afd will es zerstören. Wir glauben an die Westbindung, die transatlantische Partnerschaft und die NATO. Die Afd will mit Putin gehen. Wir glauben an die Freiheit der Menschen und die Möglichkeiten jedes einzelnen. Die AfD ans Kollektiv.“
In den Umfragen der Meinungsforscher kommen CDU/CSU aktuell auf ungefähr 33 Prozent der Stimmen, gefolgt von der AfD mit Werten zwischen 17 und 19,5 Prozent. Die SPD liegt bei 16 Prozent, die Grünen kommen auf elf Prozent, die FDP kämpft mit der Fünfprozenthürde. Das Bündnis Sahra Wagenknecht, das teils konservative, teils linke Positionen vertritt, erreicht fünf bis sieben Prozent. In der vergangenen Bundestagswahl hatte sich gezeigt, dass sich die Stimmung im Wahlkampf schnell ändern kann. Aktuell werden im Berliner Regierungsviertel indes vor allem zwei Regierungsoptionen als realistisch betrachtet: Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün.
Koalition der zwei stärksten Parteien
Bereut hat Christian Reber seinen Post auf X nach eigenem Bekunden nicht. Der Zuspruch für die AfD in seinem Freundes- und Bekanntenkreis treibe ihn schon seit Monaten um, erzählt er am Morgen danach. Das Bilden von Koalitionen um die AfD herum findet der gebürtige Brandenburger „merkwürdig“. Er sagt: „Für mich verletzt das mein Grundverständnis von Demokratie.“ Ginge es nach ihm, sollten die stärkste und die zweitstärkste Partei nach einer Wahl eine Koalition bilden. „Wenn die Grünen zweitstärkste Kraft wären, Schwarz-Grün. Wenn die AfD, dann Schwarz-Blau.“ Auf die Frage, welche AfD-Politiker er als geeignet betrachtet, Ministerämter auszuüben, überlegt Reber kurz, bevor er antwortet: „Ich würde Alice Weidel die Innenpolitik anvertrauen. Dann soll sie vier Jahre lang mal zeigen, was sie kann.“ Sein Wunsch, das betont Reber ausdrücklich, sei das nicht. Der Investor, der auch schon mal Mitglied der Grünen war, hofft auf Schwarz-Gelb, hält das aber für unwahrscheinlich.
Der Geschäftsführer des Deutschen Start-up-Verbands, Christoph Stresing, hält sich aus der Debatte raus: „Als Start-up-Verband sind wir überparteilich“, sagt er. „Wir sind ein freies Land, in dem jeder seine Meinung frei äußern kann.“ In der jährlichen Umfrage des Verbands, welche Partei bei Gründern am höchsten im Kurs steht, landeten im Frühjahr die Grünen vorne, gefolgt von der FDP und der Union. Die AfD war mit nur drei Prozent unter Gründern weitaus unbeliebter als in der Gesamtbevölkerung.
Auch andere Wirtschaftsverbände verweisen bei Fragen zu einzelnen Parteien und Wunschkoalitionen in der Regel auf ihre Überparteilichkeit, sprechen allenfalls indirekt Empfehlungen oder Warnungen aus. Eine Ausnahme gab es im Herbst im Thüringer Landtagswahlkampf, als der Verband der Familienunternehmer die Positionen der AfD als „wirtschaftliche Katastrophe“ bezeichnete. Zuvor hatte AfD-Landeschef Björn Höcke einer Gruppe von Unternehmen, die sich in einer Kampagne für eine weltoffene Gesellschaft engagierten, „schwere wirtschaftliche Turbulenzen“ gewünscht.
Für die Verbände sind parteipolitische Positionierungen wie diese eine Gratwanderung, wissen sie doch, dass es auch unter ihren Mitgliedern viele AfD-Anhänger gibt. Christoph Ahlhaus, Geschäftsführer des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft (BVMW), ist einer, der darüber offen redet. „Wie überall in der Gesellschaft wird auch in der mittelständischen Wirtschaft die Frage nach dem Umgang mit der AfD diskutiert“, sagt er. „Die einen können sich eine Koalition der CDU mit der AfD vorstellen oder wünschen sie sich sogar, die anderen sind unentschlossen oder lehnen eine Zusammenarbeit strikt ab.“ Aufgabe des Verbands sei es nicht, Koalitionsempfehlungen auszusprechen, sondern auf bessere Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen hinzuwirken. Leitlinien zum Umgang mit der AfD will der Verband aber trotzdem schon bald entwickeln.
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