SPD-Parteitag: Gegen Merz, gegen Musk, und ein kleinster Teil zweitrangig pro Olaf
Und sie erheben sich doch. Manche
etwas schwerfällig, ihr Handy zur Seite legend, manche vor allem aus Gründen
der Gruppendynamik. Aber am Ende stehen sie fast alle, die 600 Delegierten auf
diesem Parteitag der SPD. Sie applaudieren ihrem Parteifreund und Kanzler,
routiniert und ein wenig pflichtschuldig. Einem Kanzler, der sie mal wieder
nicht wirklich begeistert hat, ihnen in seiner Rede aber immerhin 50 Minuten
lang deutlich gemacht hat, worin er sich von Friedrich Merz unterscheidet.
Die SPD trifft sich – sechs Wochen vor
der Bundestagswahl. Aber die Hauptfigur auf dieser Veranstaltung ist der CDU-Vorsitzende.
In quasi jedem Redebeitrag, egal ob bei den Parteichefs Lars Klingbeil und
Saskia Esken, bei Verteidigungsminister Boris Pistorius oder den
Ministerpräsidentinnen, immer wieder taucht Friedrich Merz als negative Folie
auf, von der man sich möglichst abgrenzen möchte.
Üblicherweise verfolgen Amtsinhaber
eine andere Strategie: Sie verschwenden kein Wort auf ihre Herausforderer, um
sie nicht aufzuwerten oder von der eigenen Bilanz abzulenken. Doch Scholz ist
als Kanzler nicht nur historisch unbeliebt. Unter seiner Regierung hat sich der
bisherige Amtsinhaberbonus in einen Malus
verwandelt. Auch deshalb spricht er auf dem Parteitag möglichst wenig von
seiner eigenen Bilanz als Kanzler und versucht stattdessen, den
Herausforderer abzuwerten.
Welche Koalitionen sind möglich?
Unsicherheit simulieren wir täglich 1.000 verschiedene
Wahlausgänge und berechnen für jeden eine fiktive
Sitzverteilung. Dann zählen wir, wie oft die jeweilige
Koalition eine Mehrheit hätte.
Koalition | Chancen auf Mehrheit | ||
---|---|---|---|
+ | nahe Null | ||
+ | nahe Null | ||
+ | nahe Null | ||
+ | nahe Null | ||
+ | nahe Null | ||
+ | nahe Null | ||
+ | nahe Null |
Scholz nennt Merz zwar selten beim Namen.
Aber die Pläne des „Oppositionsführers“ bestimmen die Hälfte seiner Redezeit.
Der „Fritze Merz“ ist so etwas wie Scholz‘ Drohung: Es kann noch schlimmer
werden als mit mir.
Wo sind die positiven Botschaften?
In Kurzform geht das so: Scholz selbst
stehe für anständige Löhne, stabile Renten und Investitionen in Bildung und
Infrastruktur. Und der Oppositionsführer? Der kommt mit dem „Rotstift“, stehe
für „soziale Kälte“ und eine „Spaltung“ der Gesellschaft. Anders als Merz stehe
die SPD nicht für das „Entweder-oder“, sondern für „Zusammenhalt“.
Oder einfach nur für das „Sowohl-als-auch“? Strategisch ist die Abgrenzung von der CDU und deren selbst nicht
besonders populärem Kandidaten nachvollziehbar. Doch was die Genossen als
eigenes Programm unter der Überschrift „Zusammenhalt“ fassen, sieht gerade in
der Gegenüberstellung aus wie mangelnde Prioritätensetzung.
Die positiven
Kernbotschaften der SPD, die Scholz wie eine Ansammlung von Spiegelstrichen der
Merz-Dystopie gegenüberstellt, gehen dabei vergleichsweise unter. Zwar spricht Scholz nicht
so trocken und technisch wie manchmal im Bundestag. Aber die für den
SPD-Wahlkämpfer üblichen großen Begriffe wie „Respekt“, „Gerechtigkeit“ oder
„Zusammenhalt“, auf die sich Scholz in seiner Rede stützt, klingen hölzern bei
einem, der sich auch so kurz vor der Wahl mit rhetorischer Gewitztheit
schwertut.
Die „ganz normalen Leute“
Dabei hat Scholz eine
neue Redefigur für sich entdeckt – sie macht das Ganze allerdings noch
holzschnittartiger: die „ganz normalen Leute“. Ihm gehe es um diejenigen, die
„überall in den ganz normalen Städten und Dörfern in Deutschland wohnen“. Ganze 13-mal kommt das Wort „normal“ in seinem Redemanuskript vor. Diese normalen
Leute macht Scholz als „Leistungsträger in diesem Land“ aus, für die er
Politik machen wolle. Genau das wird in ähnlicher Beliebigkeit die Union für sich in Anspruch nehmen.
Die beiden anderen Antihelden dieses
SPD-Wahlkampfes kommen aus den USA. Elon Musk ist nach Merz der meistgenannte
Name. Den zweiten Namen, Donald Trump, spricht Olaf Scholz nicht aus, doch auch
er dürfte gemeint sein, wenn er erklärt, „die Unverletzlichkeit der Grenzen“
gelte für jedes Land. Musk und Trump: der reichste Mann der Welt, der für die
AfD Wahlhilfe macht, und dessen Präsidenten-Buddy, der Nato, Klimaabkommen und
weitere Grundpfeiler pulverisieren könnte. Sie bestimmen auch die Rede von Parteichef
Lars Klingbeil. Mit Blick über den Atlantik ruft dieser: „Wir nehmen den
Kampf an“, es gehe um „Haltung und Prinzipien“, die es auch international zu
verteidigen gelte.
Immerhin
vertritt Scholz inhaltlich ein Programm, mit dem die meisten in der SPD ganz
gut leben können. Links, sozialstaatlich, tendenziell geht es eher um
Entlastungen für die Bürger als um Zumutungen. Es ist „linker als Scholz“, sagt
ein Parteilinker. Aber das war streng genommen 2021 auch schon und muss nichts
heißen, was das anschließende Regieren angeht. Die Sozialdemokraten wissen
inzwischen, dass 400.000 neue Wohnungen im Jahr leichter versprochen als
wirklich gebaut sind.