Sexualisierte Gewalt und Antisemitismus: Die Sprache des Pogroms

Als mir zum ersten Mal sexualisierte Gewalt angedroht wurde, war ich 17. „Sexualisiert“ trifft es eigentlich nicht, das lässt selbst die unsäglichen Qualen des 7. Oktober steril erscheinen. Für mich klingt dieses Wort jedenfalls so, als hätte sich das, was ich mit 17 erlebt habe, in einer akademischen Studie abgespielt und nicht auf einer Großbaustelle in Moskau. Die Baustelle war eine riesige Brache, bedeckt mit hellbraunem Schlamm, zerfurcht von den Rädern und Ketten der Baumaschinen. Mittendrin das Gerüst unseres zukünftigen Studentenwohnheims, und in einem Bauwagen daneben wir Erstsemestler. Im sowjetischen Arbeiterstaat fehlten Arbeiter, und die Studenten mussten bei der Ernte oder auf dem Bau aushelfen. So kam ich auf diese Baustelle. Es war der erste Tag des ersten Semesters, und ich konnte es kaum erwarten, endlich Gleichgesinnte zu treffen, mit denen ich Kunst studieren sollte. Was dann auf dieser Baustelle passiert war, daran wollte ich lange nicht mehr denken, sehr lange, bis zum Oktober 2023. Seit dem Vormittag des 7. Oktober laufen über meinen Bildschirm Bilder aus einer anderen Zeit, aus Kischinew 1903 oder Berlin 1939, halb nackte Leichen und jubelnde Mörder. Bilder, die es nur schwarz-weiß geben sollte, nicht in Farbe, nicht live, nicht in meinem Leben. Diese junge Israelin, wie sie von Männern an den Haaren zu ihrem Geländewagen gezerrt wird, die helle Hose im Schritt rot. Die Füße eines Mannes auf der nackten Haut einer Frau, die in seinem Pick-up auf dem Boden liegt. Junge Männer schlagen auf nackte Tote ein, die auf Ladeflächen von Autos liegen und langsam durch Gaza gefahren werden, damit die Männer schlagen können, mit Stöcken, mit Fäusten, oder sind diese Nackten noch nicht tot?