Seenotrettung : Rechthaben ist eine deutsche Disziplin

Das private Seenotrettungsbündnis United4Rescue wird bis 2026 im Jahr mit zwei Millionen Euro staatlichem Geld unterstützt. Das hat die Bundesregierung unlängst beschlossen. Der kirchennahe Verein finanziert unter anderem Rettungsschiffe der deutschen NGOs Sea Watch, SOS Humanity und Sea Eye. Wenn also künftig Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet werden, dann geschieht das auch mithilfe öffentlicher Gelder aus Deutschland.

Niemand will, dass Menschen im Meer ertrinken müssen. Da ist die Entscheidung doch eine gute Sache, möchte man meinen. Nun hilft der deutsche Staat eben mit, aus einem menschenrechtlichen Pflichtgefühl heraus. Diese Entscheidung der Ampel ist abereine Provokation, die Schaden anrichtet. 

Um das zu verstehen, sollte man sich kurz die seit Jahren anhaltende Debatte um die Rolle der privaten Seenotretter in Erinnerung rufen. Für die einen sind es Helden, für die anderen im bestenfalls Naivlinge, die Menschenschmugglern das Geschäft erleichtern. In allen sogenannten Frontstaaten werden die Aktivitäten der Seenotretter aus Deutschland mit größter Skepsis gesehen. Das gilt für Italien, das gilt aber auch für Griechenland, Malta, Zypern, Spanien und Frankreich.

Auch der Doppelwumms führte zu Irritationen

Ob diese Skepsis begründet ist oder nicht, sei zunächst einmal dahingestellt. Was bei dieser Entscheidung zählt, ist, dass die Bundesregierung den anderen zu Erkennen gibt, dass sie ihr Blick auf die Seenotretter nicht im Geringsten interessiert. Dabei verletzt sie eine der Grundregeln der Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Die Argumente, die Empfindlichkeiten, die Interessen, die Sichtweise der anderen müssen immer so weit wie möglich und mit Bedacht in die eigenen Entscheidungen einfließen.

So funktioniert das in der EU, ob man es will oder nicht.

Die humanitäre Geste der Ampel entpuppt sich als provinzielle Rechthaberei, die das Klima zwischen Mitgliedstaaten vergiftet. Es ist nicht die erste Entscheidung dieser Regierung, die in anderen europäischen Ländern Irritationen ausgelöst hat. Der inzwischen berühmte Doppelwumms des Kanzlers war eine andere. Da ging es weniger um den Inhalt, sondern auch darum, dass man die anderen Mitgliedstaaten nicht ausreichend und rechtzeitig informiert hatte.

Warum auch? Der Kanzler wähnte sich im Recht, und das reicht ihm offenbar. Rechthaben ist eine deutsche Disziplin – mit der europäischen Kerndisziplin des Dialogs ist sie kaum vereinbar.

Deutschland hält Zusagen nicht ein

Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass die Sicht der anderen einem im Angesicht des vielfachen Todes im Mittelmeer egal ist, ja sogar egal sein muss.  Es ist leichter, einfach nur auf die neue rechts Regierung unter Giorgia Meloni zu verweisen. Dass sie mit einer erstaunlichen Mehrheit gewählt worden ist, gerät dabei schon fast in Vergessenheit.

Meloni hat seit ihrem Regierungsantritt gewiss viel dazu beigetragen, die Debatte um die Seenotretter zu verschärfen. Aber es geht es ja nicht nur um die Regierungschefin Italiens. Es geht um die italienische Öffentlichkeit, der es nicht zu vermitteln ist, dass Seenotretter aus Deutschland Migranten in Italien anlanden, die dann aber nur in sehr geringer Zahl von Deutschland aufgenommen werden. Im Februar dieses Jahres gab es Zusagen der sogenannten Koalition der Willigen, zu der auch Deutschland gehört. Deutschland verpflichtete sich 3.500 Flüchtlinge aufzunehmen, bis Mitte Oktober waren es genau 74!

Bei Thema Migration sind alle unehrlich, auch die italienische Seite.

90.000 Menschen sind seit Beginn dieses Jahres über das Mittelmeer nach Italien gekommen. So viele wie seit 2016 nicht mehr. Doch nur ein kleiner Teil von ihnen hat in Italien Asyl beantragt. Die Erklärung dafür ist denkbar einfach. Die meisten Migranten wollen weiter Richtung Norden, nach Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Skandinavien. Und, das sollte Berlin beunruhigen, die italienischen Behörden winken sie einfach durch.

Das gab es im Übrigen schon 2015, als noch der Sozialdemokrat Matteo Renzi Regierungschef in Italien war und er sich feiern ließ, weil er Marineschiffe ausgesandt hatte, um Migranten und Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Binnen kürzester Zeit kamen auf diese Weise fast 150.000 Menschen nach Italien, viele zogen weiter Richtung Norden, ohne jede weitere Kontrolle.