Sanktionen | Wladimir Putin hat sich verrechnet
Vor allem das Einfrieren der Reserven der Zentralbank ist für Moskau ein Desaster. China wird dem kriegsführenden Präsidenten kaum zur Seite springen
Zum Kriegführen braucht man dreierlei: Geld, Geld und noch mal Geld. Davon schien der russische Präsident Wladimir Putin reichlich zu haben. Doch der Krieg dauert länger als gedacht. Die Reaktionen, die Sanktionen und wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen, kommen schneller und fallen härter aus als zuvor angenommen. Putin hat sich gewaltig verrechnet.
Der Ausschluss russischer Banken aus dem Bezahl- und Bankenkommunikationssystem SWIFT – nach anfänglichem Zögern vor allem der deutschen, italienischen und ungarischen Regierungen dann doch am Wochenende beschlossen – schneidet die russische Wirtschaft von ihren Geschäftspartnern im Westen ab. Der Rubel stürzte ab. Die Zentralbank sah sich am Montag gezwungen, den Leitzins auf 20 Prozent zu verdoppeln. Der Sold der russischen Soldaten hat seit Kriegsbeginn die Hälfte seines Gegenwerts in Dollar eingebüßt. Und die Sanktionen gegen die russische Zentralbank führen dazu, dass Putin seine Kriegskasse verliert. Die russische Zentralbank hat keinen Zugriff auf ihre Devisenreserven und Auslandskonten mehr.
Zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine schien es, als ob die Fremdwährungsreserven der Zentralbank in Höhe von mehr als 460 Milliarden Dollar das Land auch durch eine längere Zeit von Wirtschaftssanktionen tragen würden. Doch dann beschlossen die EU, die USA und Großbritannien, die Guthaben Russlands auf Zentralbankkonten im Ausland einzufrieren. Diese machen zusammen mit Krediten des Internationalen Währungsfonds (IWF) den Großteil der Fremdwährungsreserven aus. Und da der IWF laut Statut Kriege nicht mitfinanzieren darf, muss er Russlands Guthaben an Sonderziehungsrechten blockieren. Damit sind wesentliche Teile von Putins Kriegskasse futsch, bis auf etwa 130 Milliarden Dollar in Gold, die in Moskau liegen. Kredit im Ausland hat das Regime nicht mehr. Auch China wird den Teufel tun und Russlands Krieg in Europa finanziell unterstützen.
Wirtschaftliche Erholung nach Corona ist verschoben
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine ist nicht nur weltpolitisch eine Zäsur. Er macht auch all jenen einen dicken Strich durch die Rechnung, die nach der lang anhaltenden Corona-Krise – dem größten Einbruch der Weltwirtschaft seit Ende des letzten Weltkriegs – auf einen raschen Aufschwung der Weltwirtschaft gesetzt hatten. Denn so viel ist sicher: Es wird deutliche Einbußen an Wachstum geben. Also werden die Europäische Zentralbank und auch die Federal Reserve in den USA ihre schon angekündigten Zinswenden wohl aufschieben. Gut möglich, dass statt dem Ende des viel gescholtenen Ankaufs von Staatsanleihen nun eine Neuauflage folgt.
Die ukrainische Wirtschaft wird die schlimmsten Schäden erleiden, egal wie der Krieg ausgeht. Im günstigsten Fall, wenn die Ukraine als selbstständiger Staat überlebt, wird es viele Jahre und massive Finanzhilfen aus der EU brauchen, um das kriegszerstörte Land wieder aufzubauen. Eisenbahnen und Häfen lassen sich reparieren, Lieferketten und Handelsnetze wieder knüpfen, aber zu einem hohen Preis. Verbleibt die Ukraine unter russischer Besatzung, verkommt sie im Sumpf des russischen Gangster-Kapitalismus.
Russland ist ein ökonomischer Zwerg mit Großmachtambitionen und einer völlig überdimensionierten Armee. Seine Wirtschaft, die bereits 2015 und dann ab 2020 zwei erhebliche Einbrüche erlebt hat und schon jetzt unter einer Inflationsrate von über 15 Prozent leidet, wird durch den Krieg und die Sanktionen schwer beschädigt werden. In diesem und in den folgenden Jahren wird die russische Wirtschaft weiter schrumpfen, genau wie die russische Bevölkerung. Der Exodus junger und gut ausgebildeter Russen gen Westen wird weitergehen. Bleibt Putin an der Macht, werden die Russen weiter Ankündigungen aus dem Kreml über großartige Wirtschaftsreformen hören, während mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts in den Militärhaushalt fließen. Dieser wird systematisch kleingerechnet und in Schattenhaushalten versteckt.
Vor diesem Krieg machte die russische Volkswirtschaft knapp drei Prozent der globalen Wirtschaftsleistung aus. Als Folge der Sanktionen wird dieser Anteil schrumpfen. Denn für die Weltwirtschaft ist Russland nur als Lieferant von Rohstoffen und Energie von Bedeutung. Russland ist groß, aber die USA und die OPEC-Länder sind weit größer. Fallen die russischen Gas- und Ölimporte kriegsbedingt aus, springen andere Exportländer ein, allen voran die USA. Die werden daran verdienen: Der Umstieg auf noch umweltschädlicheres, teureres Flüssiggas kostet.
Die Energiepreise werden weiter steigen, weil Händler und Spekulanten die Gunst der Stunde nutzen werden. Solange die Regierungen in Europa und Amerika es ihnen erlauben. Dabei wäre es durchaus möglich, sich aus der selbst verschuldeten Abhängigkeit von russischem Gas und Öl zu lösen. Für Europa wäre das eine lästige und kostspielige Umstellung, aber alles andere als eine wirtschaftliche Katastrophe. Für Russlands Wirtschaft indes ein Untergangsszenario: Wenn die Einnahmen aus dem Gas-, Öl- und Kohleexport wegbrechen, steht der russische Staat blank da. Mehr als die Hälfte seiner regulären Einnahmen stammen aus dem internationalen Geschäft mit Rohstoffen und Energie.
Wird China Russland aus der Patsche helfen? Peking ist über Putins Krieg höchst verärgert und will auf keinen Fall in eine Konfrontation mit der NATO hineingezogen werden. Die Position Russlands als Paria der Weltpolitik zu teilen, darauf hat man in China erst recht keine Lust. Im UN-Sicherheitsrat hat China sich enthalten, statt mit den Russen zu stimmen. China hat die Annexion der Krim nicht anerkannt und wird auch eine russische Eroberung der Ukraine nicht anerkennen. Aber China kommt es nicht ungelegen, dass der geostrategische Gegenspieler USA sich ganz auf Russland konzentrieren muss.
Was China am Krieg Russlands gegen die Ukraine stört
Die Weltwirtschaftsmacht China braucht Rohstoffe, aber dauerhaft hohe und steigende Energie- und Rohstoffpreise braucht sie nicht. Sie wird die Schwäche Russlands nutzen, um die Preise zu drücken. Sie braucht auch Hightech-Vorprodukte und Halbfabrikate, allerdings nicht aus Russland. Als Absatzmarkt ist Russland für China uninteressant. Kein Vergleich mit den Absatzmärkten in Europa, in Asien und in Amerika. Kein Vergleich mit den Investitionen aus dem beziehungsweise im westlichen Ausland. Außer einigen Waffensystemen hat Russland China wenig zu bieten.
Sicher wird Russland versuchen, China mehr Rohstoffe, Gas, Öl und Kohle zu verkaufen. Da China ein eigenes internationales Zahlungssystem entwickelt hat, dem Russland angeschlossen ist, können Gas- und Ölimporte so auch ohne SWIFT problemlos bezahlt werden. Aber China kann den absehbaren Ausfall von Auslandsinvestitionen aus dem Westen nicht ersetzen.
Obendrein hat China selbst ökonomische Interessen in der Ukraine, die mit jedem Tag Krieg größeren Schaden nehmen. Der Telekomriese Huawei ist stark in der Ukraine engagiert, China ist seit 2017 der wichtigste Handelspartner der Ukraine. Die liefert vor allem Agrarprodukte, ein Drittel der chinesischen Mais-Importe kommen von dort. Aber eben auch Hightech-Produkte aus dem ukrainischen Maschinen- und Flugzeugbau. Krieg in der Ukraine passt ganz und gar nicht in Chinas Pläne.
Dafür darf sich Europa auf eine neue Phase des Wettrüstens einstellen. Die Ausgaben für militärische Zwecke werden überall steigen, auf mittlere und längere Frist. Der kommende Boom der Hightech-Rüstungsproduktion, die die Massenproduktion von Munition, Handwaffen und Ausrüstungen einschließt, dürfte deutsche, französische, belgische, britische und schwedische Waffenschmieden erfreuen. Eine kreditfinanzierte Rüstungskonjunktur kann der Westen für einige Zeit am Laufen halten – auf jeden Fall länger, als Russland das kann.
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