Roller aus Remagen: Wenn die Lieferkette reißt

Patrik Tykesson wirkt gut gelaunt, als er gegen 11:30 Uhr die Produktionshalle seiner Elektro-Roller betritt. Dabei war er um fünf Uhr morgens noch in Zürich – Investorentermin. Kumpan Electric ist gerade in einer neuen Finanzierungsrunde. Das Start-up produziert E-Roller in Deutschland und bezieht auch die meisten seiner Teile von deutschen Zulieferern. „Wir fertigen alle unsere Roller in Handarbeit hier in Remagen“, sagt Tykesson und beschreibt die sieben Stationen, in denen die Roller auf rollbaren Montageständern durch die Halle geschoben werden. Ein Monteur verlegt gerade ein Geflecht aus Kabeln durch den Roller. Ein anderer montiert Teile der Verkleidung auf das Innenleben. Sieben Monteure für sieben Stationen. So entstehen momentan um die zehn Roller am Tag. Die Produktion läuft – doch das ist nicht immer so.

„Ungefähr einmal im Monat fehlen uns wichtige Komponenten. Dann laufen teilweise zwei bis drei Tage lang keine Roller mehr vom Band“, so Tykesson. Der Grund: Lieferschwierigkeiten. Stahl, Aluminium, Halbleiter – irgendein Teil sei immer knapp. Die Produktion werde dann umgestellt – die Monteure bauen die Roller zumindest so weit zusammen, wie es ohne das fehlende Teil geht. „Unsere Chips kaufen wir inzwischen immer häufiger über Broker“, sagt Tykesson. „Auf dem Markt wird gerade um jedes Teil gekämpft.“ Und diesen Kampf darf man nicht verlieren: „Wenn auch nur ein Teil fehlt, steht die Produktion erst einmal still.“ Früher habe Kumpan den Produktionsablauf einmal monatlich korrigieren müssen. „Inzwischen sind es ein- bis zweimal pro Woche.“ Kumpan hat Probleme in der Lieferkette – wie viele andere Unternehmen auch. Für Patrik Tykesson sind es freilich keine Probleme, es sind „Herausforderungen“.

Patrik Tykesson, Geschäftsführer von Kumpan, mit E-Rollern : Bild: Stefan Finger

85 Prozent der Teile aus Deutschland

Dabei müsste das Unternehmen mit seinen rund 100 Mitarbeitern im Vergleich zu anderen Konkurrenten gerade sehr gut dastehen. Der E-Roller-Produzent setzt auf eine lokale Lieferkette und bezieht 85 Prozent seiner Teile aus Deutschland. Die Produktion findet komplett in Remagen statt, von der Entwicklung bis zur Konstruktion. Damit passt Kumpan eigentlich voll in den Zeitgeist – raus aus Abhängigkeiten von China und mehr Arbeit mit lokalen Unternehmen. Doch auch der große Fokus auf lokale Lieferketten schützt nicht vor den Dynamiken des Weltmarkts. Ist Stahl gerade knapp, braucht man ihn trotzdem in der Herstellung. Dann stürzen sich alle auf den wenigen verfügbaren Stahl. Ein weiteres essenzielles Gut für elektrische Fahrzeuge sind die Akkus. Immerhin machen die rund einen Drittel des Kaufpreises der Kumpan-Roller aus. Die Zellen dafür bezieht das Unternehmen von LG und Samsung. Auf lange Sicht wolle man aber auf Akkus des schwedischen Start-ups Northvolt setzen.

Das Retro-Design der Kumpan-Roller erinnert stark an die ikonischen Vorbilder aus den Fünfzigerjahren – so stark, dass Piaggio, Hersteller der berühmten Vespa, Kumpan vor vier Jahren verklagte. Das Design erinnere zu stark an den italienischen Rollerklassiker. Piaggio verlor den Streit jedoch im August dieses Jahres. Kumpan darf seine Modelle weiter in Retrooptik bauen.

Marktforschung in China

Die Tykessons haben sich bewusst für eine lokale Lieferkette entschieden. Sie kennen sowohl die globale als auch die lokale Produktion. Bis 2015 produzierte das Unternehmen in China. 2009 feilte Patrik Tykesson zusammen mit seinen beiden Brüdern an einem vollständig elektrisch betriebenen Roller. Damals galt China als Vorreiter in Sachen Elektromobilität. Also setzte Patrik Tykesson sich in den Flieger und untersuchte sechs Wochen lang die E-Mobilität in Fernost. Dort fand der Halbschwede eine Firma, die für ihn und seine Geschwister Roller produzieren könnte. Die drei Brüder machten sich gleich daran, einen Benzin-Roller elektrisch umzurüsten. Mit diesem ersten Prototypen begann in China die Produktion der Kumpan-Roller. Ihr erstes voll elektrisches Zweirad verkauften sie am 26. August 2010.

Doch nach ein paar Jahren waren die Tykessons mit der chinesischen Produktion nicht mehr zufrieden. Andere Hersteller hätten sie kopiert, und die Produktion sei zu unflexibel gewesen. „Wenn ich in China eine Produktionsänderung in Auftrag gebe, dauert es ein Jahr, bis die geänderten Produkte hier ankommen. Bei einer lokalen Produktion kann ich viel flexibler in den Produktionsprozess eingreifen“, meint Patrik Tykesson. Das liege unter anderem an den Lieferzeiten aus China, die mit dem Containerschiff ungefähr zehn Wochen betragen. Außerdem sei die Kommunikation mit lokalen Zulieferern schneller und einfacher. „Wenn es bei einem deutschen Zulieferer irgendwelche Probleme gibt, kann man eben da hinfahren und das Problem klären“, so Tykesson. In China gab es ab einem bestimmten Punkt in der Produktion einen Design-Freeze, ab dem in der laufenden Produktion nichts mehr geändert werden könne. In Deutschland sei die Lieferkette da flexibler.

Rückzug aus China

2015 entschieden die Remagener sich dazu, die Produktion in China ganz einzustellen und ihre E-Roller nur noch in Deutschland herzustellen. Der Aufbau eines lokalen Zulieferer-Netzwerks war schwierig. „Unsere Roller bestehen aus circa 850 Einzelteilen“, erklärt Patrik Tykesson. Damit komme man auf ungefähr 200 Zulieferer.

Würde Kumpan seine Roller in China herstellen, wären die Produktionskosten laut Tykesson nur rund zehn Prozent geringer. „Der Lohnanteil bei der E-Roller-Produktion ist sehr gering“, sagt er. Für einen Roller benötige man rund vier Arbeitsstunden. „Außerdem ist China schon lange kein Billiglohnland mehr.“ Konkurrenzfähig gegenüber global produzierenden Herstellern sei die Firma so aber trotzdem, meint Tykesson: „Unseren Kunden ist Made in Germany sehr wichtig.“ Dafür seien diese auch bereit, höhere Preise zu bezahlen.