Robert Habeck in Südkorea: Ein Hoch aufwärts Atomkraft und Schuldenbremse

Fast eine Stunde ist Robert Habeck am Donnerstagmittag bei schweißtreibenden 33 Grad im „Palast der strahlenden Glückseligkeit“ in Seoul schon unterwegs, da erklärt ihm der Führer noch kurz die fünf Beziehungsebenen des Konfuzianismus, die das gesellschaftliche Leben in Südkorea prägen.

Herrscher und Untertan, Vater und Sohn, Ehemann und Ehefrau, älterer und jüngerer Brüder, Freund und Freund. Habeck hört interessiert zu. Womöglich denkt er in diesem Moment an das Berliner Beziehungsgeflecht. Kanzler und Untertanen, Vizekanzler und Vize-Vizekanzler, Grüne und FDP. In weniger als zwei Wochen soll der Haushalt für das Jahr 2025 stehen. Glückselig wirkt Habeck nicht. Aber zuversichtlich, dass die Einigung nicht mehr weit entfernt ist.

Der Stopp in Südkorea soll Signal sein

Nach der Kabinettssitzung am Mittwoch ging es mit der Regierungsmaschine los auf die lange erwartete Chinareise, aus der das Ministerium eine „Ostasienreise“ gemacht hat. Denn bevor Habeck an diesem Freitag in Peking landet, besucht er Südkorea. Er spricht mit dem Premierminister, trifft Manager, schaut sich die demilitarisierte Zone an der Grenze zu Nordkorea an. Die Lage ist dort noch angespannter, seit Russlands Präsident Wladimir Putin in dieser Woche im Norden zu Besuch war.

Habecks Station in Südkorea soll ein Signal sein. Seit seinem Amtsantritt drängt er die deutsche Wirtschaft, ihre Abhängigkeit von China zu reduzieren und mehr auf andere Länder Asiens zu setzen. Im Ministerium sieht man sich auf einem guten Weg, Wirtschaftsinstitute zeichnen ein anderes Bild. Demnach investieren deutsche Unternehmen so viel in China wie nie. Die rund ein Dutzend Mittelständler, die Habeck begleiten, sind aber auch an Südkorea interessiert.

Habeck spricht von einem „Land, das mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen hat wie wir“. Es gibt tatsächlich viele Parallelen: den hohen Industrieanteil, die hohe Exportabhängigkeit, den Wunsch nach mehr Unabhängigkeit von China, die alternde Gesellschaft und die nicht weit entfernte sicherheitspolitische Bedrohung.

Deutschland könne froh sein, dass es die EU um sich herum habe – Südkorea fühle sich wie ein „Shrimp im Ozean zwischen den großen Walen“. Diese Äußerung bekommt Habeck in Seoul gleich mehrfach zu hören. Die Wale, das sind die USA und China, die sich seit Monaten einen Handelsstreit liefern.

Im Gegensatz zu Deutschland wächst das Land

Ein Unterschied sticht indes ins Auge: Die südkoreanische Wirtschaft wächst, die deutsche nicht. Im ersten Quartal betrug das Wachstum gegenüber dem Vorquartal 1,3 Prozent, für das Gesamtjahr werden gar 2,5 Prozent erwartet. Südkorea profitiert vom Boom der Künstlichen Intelligenz, für die etwa Samsung und SK Hynix wichtige Speicherchips liefern.

Debatten wie die deutsche über eine Lockerung der Schuldenbremse gibt es in Südkorea nicht, im Gegenteil. Als die Opposition kürzlich forderte, den lahmenden Privatkonsum über Geldgeschenke an die Bevölkerung anzukurbeln, sprang die Zentralbank der Regierung mit dem Argument bei, dass für solche „Manöver“ kein Spielraum sei.

Zwar ist Koreas Verschuldung mit 53 Prozent, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, aktuell recht niedrig. In Deutschland beträgt die Quote 64 Prozent – und auch das ist im Vergleich zu Frankreich oder den USA wenig. Trotzdem wirbt die Regierung in Südkorea für die Einführung einer Schuldenbremse, die bei 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und einem jährlichen Haushaltsdefizit von 3 Prozent liegen soll.

Die Einwohnerzahl schrumpft schon jetzt

Was das Land zu sparsamem Haushalten treibt, ist die niedrige Geburtenrate. Nur 0,7 Kinder bekommt eine Frau rechnerisch in Südkorea, so wenig wie in keinem anderen Land der Welt. Von Frauen wird nach der Geburt eines Kindes erwartet, dass sie sich der Familie widmen. Das wollen aber viele nicht. Die Einwohnerzahl Südkoreas von aktuell rund 51 Millionen schrumpft schon leicht, deutlich früher, als dies noch vor wenigen Jahren prognostiziert wurde.

Sollte die Regierung nicht bald einen Weg finden, den Rückgang zu stoppen, könnte Südkoreas Wirtschaft von 2040 an schrumpfen, prognostiziert die Zentralbank. Sie warnt eindringlich vor den Folgen des demographischen Wandels, auch für die Sozialsysteme.

Bislang gibt es nur wenige Bemühungen der Regierung, das Schrumpfen der Einwohnerzahl über Zuwanderung abzufedern. Die Koreaner sehen diese überwiegend kritisch. Die Zahl der ausländischen Fachkräfte ist nach einem Bericht der Unternehmensberatung McKinsey zwischen 2012 und 2022 nur geringfügig auf 51.000 gestiegen. Die Zahl der ausländischen Arbeiter insgesamt, unter anderem oft in der Gastronomie tätig, wuchs von 725.000 auf 879.000 zwar etwas stärker, ist deutlich niedriger als selbst im Nachbarland Japan.

Die Rentenkasse ist überfordert

Eine Folge: Die staatliche Rentenkasse, die erst im Laufe der Neunzigerjahre sukzessive aufgebaut wurde, ist überfordert. Nach einer Studie der OECD haben die Südkoreaner im Alter die niedrigsten verfügbaren Einkommen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.

In der Energiepolitik macht Südkorea das Gegenteil von Deutschland. Das Land ist einer der größten Atomstromerzeuger der Welt. 27 Reaktoren im ganzen Land stehen für fast 30 Prozent des Energiemixes. Der Vorgänger des amtierenden Präsidenten Yoon Suk-yeol hatte dem Land vor einigen Jahren zwar einen kleinen Atomausstieg verordnet. Nach und nach sollten erneuerbare Energien bis zu zehn Reaktoren entbehrlich machen. Doch Yoon sagte den Ausstieg nach seinem Amtsantritt 2022 kurzerhand wieder ab. Für die energiehungrigen Chip-, Auto- und Batteriekonzerne werden nun sogar fünf weitere Reaktoren neu gebaut.

Ob ihn das nachdenklich stimmt? Nein, sagt Habeck. Insgesamt verfolge Südkorea eine ganz ähnliche Politik wie Deutschland. Es sei auf Handel und offene Märkte angewiesen. Seit dem Jahr 2011 besteht zwischen der EU und Südkorea ein Freihandelsabkommen. Habeck wünscht sich ein Update, mehr Erleichterungen, aber das muss die EU-Kommission verhandeln. „Zweitens will das Land sich unabhängiger aufstellen, also diversifizieren, wie wir es in Plattdeutsch sagen. Das ist ganz analog zu dem, was wir machen.“

Und die Energiepolitik? Die sei „in der Tat“ anders – weil das Land andere Voraussetzungen habe. Was er damit meint, haben zuvor schon Diplomaten erläutert: Wegen der dicht bewaldeten Hügel sei das mit der Windkraft schwierig. Aber auf dem Meer sollen jetzt Windparks entstehen, auch mit deutscher Hilfe. „Südkorea wird auf jeden Fall dekarbonisieren“, zeigt sich Habeck überzeugt. Kohle und Gas sollen weichen. Bis zum Ende des Jahrzehnts will Südkorea ein Drittel seines Strombedarfs mit Atomkraft decken – und 30 Prozent mit Erneuerbaren.