Robert Habeck: Der Kumpel, welcher Kanzler werden will

„Diese Abstimmung ist eine offene Abstimmung“, sagt Habeck in dem Video. Auch wenn manche ihn dafür belächeln, er meint es ernst. Der Mann, der vor Kurzem noch der verhasste Wärmepumpenminister war, will der erste grüne Kanzler der Republik werden.

Die Grünen wittern Morgenluft

In sechs Wochen wird gewählt. Die Grünen wittern Morgenluft. Seit dem Ende der Ampelkoalition hat die Partei 25.000 Mitglieder hinzugewonnen. In Lübeck, wo Habecks Wahlkampftour am Montagabend begann, kamen statt der erwarteten 600 Zuschauer mehr als doppelt so viele. In den Wahlumfragen der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ist Habeck jetzt der Beliebteste unter den vier Kanzlerkandidaten oder liegt gleichauf mit Unionskandidat Friedrich Merz. Auch die Zustimmungswerte für die Partei steigen. Die Grünen liegen derzeit mit bis zu 15 Prozent in etwa gleichauf mit der SPD. An der Parteizentrale in Berlin hängt ein Banner mit Habecks Konterfei und seinem Ziel: Ein „Bündniskanzler“ will er werden.

Die Geschichte seiner Kanzlerambitionen beginnt im April 2021. Damals, als die Fridays-for-Future-Welle die Grünen in den Umfragen auf bis zu 28 Prozent trug, wäre er gerne schon einmal Kandidat geworden. Doch Annalena Baerbock wollte auch und in einer erklärtermaßen feministischen Partei hatte sie damit den Zuschlag. Habeck hat das mehrfach öffentlich betrauert, zuletzt im Sommer, als Baerbock auf eine abermalige Kandidatur verzichtete. Er sagte sinngemäß, Baerbock habe einen Elfmeter verschossen und es stehe nun „vier zu null“ gegen die Grünen. Habeck kokettiert mit dem Rückstand und bezeichnet sich als „Underdog“. Seine Hoffnung ist, dass die Wähler den Außenseiter sympathischer finden als die siegesbewusst auftretenden Kandidaten Merz und Scholz.

Nehmen die Leute ihm den „Bündniskanzler“ ab?

Die Kampagne der Grünen setzt ganz auf den Faktor Sympathie. Die Partei bewirbt ihren Kandidaten als modernere Alternative. Merz und Scholz stünden für eine Rückkehr in die Neunzigerjahre, Habeck für die Zukunft, lautet das Narrativ, das sich durch die Veranstaltungen und Videos zieht. Auf Instagram, wo die für die Grünen so wichtigen jüngeren Wähler sich tummeln, listet Habeck die nächsten Wahlkampforte auf und fragt: „Was geht ab in eurer Stadt, was muss ich gesehen haben?“ Er gibt sich als Kumpel, der Kanzler werden will.

Was Habeck auch sein will: ein Vermittler. Mit dem Wort „Bündniskanzler“ wirbt er für sich als Gegenmodell zu einer polarisierten politischen Debatte. Die Vorlage dafür lieferte ihm der Bruch der Ampelkoalition. An jenem Abend Anfang November, als Scholz über FDP-Chef Christian Lindner herzog und der über ihn, stand Habeck mit betretener Miene vor dem Kanzleramt und sagte, er habe Lösungsmöglichkeiten gesehen. Die Frage ist, wie viele Wähler ihm diese Geschichte abnehmen. Schließlich hat Habeck mit seiner Politik als Wirtschafts- und Klimaschutzminister maßgeblich dazu beigetragen, dass die politische Stimmung im Land sich überhaupt derart aufheizen konnte.

Makel Gebäudeenergiegesetz

Vor allem das Gebäudeenergiegesetz, umgangssprachlich Heizungsgesetz genannt, haftet an ihm. Es war eine gemeinsame Entscheidung von SPD, Grünen und FDP, nur noch den Einbau klimafreundlicher Heizungen zu erlauben. Doch was das bedeutet, wurde allen Nicht-Grünen erst bewusst, als im Frühjahr 2023 der erste Gesetzentwurf aus Habecks Ministerium öffentlich wurde. Wegen der hohen Strompreise in Deutschland erschien die von den Grünen propagierte Wärmepumpe vielen Hauseigentümern nicht als Verheißung, sondern als Bedrohung. Mit „Habecks Heizhammer“ wurden die Grünen wieder das, was sie nach dem Veggie-Day-Debakel 2013 nicht mehr sein wollten: eine Verbotspartei, die den Deutschen ihre Gasheizung wegnehmen will.

Auch für die andauernd schlechte Wirtschaftslage in Deutschland steht vor allem Robert Habeck. Die Hoffnungen auf ein grünes Wirtschaftswunder haben sich bislang nicht erfüllt. Die Kombination aus hohen Energiepreisen, hohen Lohnkosten, hoher Steuerbelastung und viel Bürokratie lässt Unternehmen Investitionen ins Ausland verlagern. In der Industrie gehen Monat für Monat 10.000 Arbeitsplätze verloren. In den Werkshallen von Volkswagen, Thyssenkrupp und vielen anderen Unternehmen fragen sich die Mitarbeiter, wie lange sie ihren Lebensstandard noch werden halten können. Wie weit Deutschland gegenüber anderen großen Industrieländern zurückgefallen ist, rechnete der Sachverständigenrat, der die Regierung in der Wirtschaftspolitik berät, im Oktober vor: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt wuchs in den vergangenen fünf Jahren preisbereinigt nur um 0,1 Prozent, das amerikanische dagegen um zwölf Prozent.

Die Grünen machen vor allem die Vorgängerregierungen für die schlechte Lage verantwortlich – ihr Vertrauen auf das günstige russische Gas, die guten Geschäfte mit China und den militärischen Schutzschirm der Vereinigten Staaten. Immer wieder weisen sie darauf hin, wie Habeck die Deutschen vor zwei Jahren vor kalten Wohnungen im Winter bewahrte, indem er eilig Flüssiggasterminals bauen ließ und Ersatz für das ausbleibende russische Gas organisierte. Dieses pragmatische Handeln wird Habeck auch in der Wirtschaft bis heute hoch angerechnet.

Habeck hört zu

Danach lief es für ihn jedoch weniger gut. In der Auseinandersetzung um die drei letzten Atomkraftwerke beugte Habeck sich dem Willen seiner Partei und ließ die Meiler stilllegen. Das machte Deutschland abhängiger von Importen, unter anderem von französischem Atomstrom. Die grünen Vertrauten, mit denen er die Schlüsselpositionen im Ministerium besetzt hatte, taten damals alles, um die Vorteile eines Weiterbetriebs zu entkräften. Einer von ihnen, der Staatssekretär Patrick Graichen, wurde für Habeck noch in anderer Hinsicht zum Problem: Graichen wollte seinen Trauzeugen zum Chef der Deutschen Energie-Agentur machen. Erst als die Vorwürfe grüner Vetternwirtschaft zu erdrückend wurden, entließ Habeck Graichen.

In der Wirtschaft schätzt man an Habeck, dass er zuhört und ernsthaften Willen vermittelt, Probleme zu lösen. Dass er viele Milliarden Euro an Zuschüssen für die Umstellung auf klimafreundliche Produktionsweisen verteilt, kommt ebenfalls gut an. Viele Manager haben sich mit der zunehmenden Lenkung der Wirtschaft durch die Politik, die schon unter Habecks Vorgänger Peter Altmaier (CDU) begonnen hatte, arrangiert. Der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert neuerdings ebenso wie Habeck eine höhere Neuverschuldung. Habeck weist im Wahlkampf darauf gerne hin.

Der „sympathischste und schlechteste“ Wirtschaftsminister?

Was man ihm jedoch übel nimmt: Zu einer Wachstumsinitiative konnte die Ampelkoalition sich erst im Sommer 2024 durchringen und hatte dann nicht mehr die Kraft, diese umzusetzen. Gleiches gilt für das Gesetz, das die Grundlage für den Bau neuer Gaskraftwerke schaffen sollte. Deutschland braucht diese Gaskraftwerke, um in sonnen- und windarmen Zeiten Strom erzeugen zu können. Habeck sei der „sympathischste und schlechteste“ Wirtschaftsminister in der Geschichte Deutschlands, sagte kürzlich der frühere Siemens-Chef Joe Kaeser pointiert. Das trifft die Stimmung vieler in der Wirtschaft.

Wenn es mit dem Kanzleramt nicht klappen sollte, will Habeck zumindest sein zweites Ziel erreichen: die Grünen in Regierungsverantwortung halten. Doch auch der Weg dahin ist noch lang. Falls die Gewichte sich nicht noch gravierend verschieben, ist die einzige Machtoption für die Grünen eine Koalition mit der Union. Vor allem in der CSU präferieren viele jedoch ein Bündnis mit der SPD, trotz der lähmenden „Groko“-Zeit. Mit den Sozialdemokraten sei in der Migrationspolitik mehr zu machen, heißt es.

Vorbild Schleswig-Holstein

Die ständigen Ansagen von CSU-Chef Markus Söder an CDU-Chef Merz, eine Koalition mit den Grünen komme nicht in Frage, sind für Habeck einerseits schlecht, weil Söder in der Koalitionsfrage ein gewichtiges Wort mitreden wird. Andererseits könnte der Streit innerhalb der Union auch dazu führen, dass der ein oder andere Wähler – vor allem frühere Anhänger von Angela Merkel – sein Kreuz vielleicht bei den Grünen macht. Es war kein Zufall, dass die Grünen ihren Wahlkampfauftakt nach Schleswig-Holstein legten. Dort regiert Ministerpräsident Daniel Günther von der CDU weitgehend geräuschlos mit den Grünen.

Habeck nähert sich in diesen Tagen auffällig oft den inhaltlichen Positionen der Union an. Vor Kurzem forderte er, dass Deutschland 3,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben soll, was derzeit einer Summe von rund 150 Milliarden Euro im Jahr entspräche – mehr als der bislang größte Haushaltsposten, der Bundeszuschuss zur Rente. Wenige Tage später sagte er dann noch, dass Syrer ohne Arbeit in ihre Heimat zurückkehren müssten, wenn es dort wieder sicher sei. Früher hätten solche Aussagen bei den Grünen umgehend Widerspruch ausgelöst. Diesmal blieb es ruhig.

Bevor Habeck sich im November auf dem Parteitag in Wiesbaden offiziell zum Kanzlerkandidaten küren ließ, hatte er sich Beinfreiheit ausbedungen. Das Herzensthema der Grünen, der Klimaschutz, spielt im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle. Die Partei weiß, dass sie damit außerhalb ihrer Kernwählerschaft momentan kaum punkten kann. Stattdessen wirbt sie mit einer Ausweitung der Mietpreisbremse, der Rückkehr zum 49-Euro-Ticket und der Deckelung der Stromnetzentgelte. Um 1000 Euro sollen Familien im Jahr entlastet werden. Das Versprechen niedrigerer Lebenshaltungskosten ist eine Lehre aus dem Wahlausgang in den Vereinigten Staaten. Selbst einen Zuschuss zum Führerschein für Azubis hat die Partei, etwas versteckt, in ihr Programm geschrieben. Habeck hat ihn bei der Vorstellung des Wahlprogramms prominent erwähnt und um eine Zahl ergänzt: 1000 Euro.

Auch wenn viele in der Partei seinen Mitte-Kurs kritisch sehen: Sie schlucken ihn. Habeck ist die einzige Chance für die Grünen, weiter zu regieren. Umgekehrt ist diese Wahl für Habeck vermutlich die letzte Chance, aus den Grünen eine Volkspartei zu machen. Holt er nicht deutlich mehr als die 14,8 Prozent von Baerbock 2021, dürften „Realos“ wie er in der Partei künftig deutlich weniger zu sagen haben.