Region Kursk: Russlands Angriff hinaus den ukrainischen Brückenkopf

Dass eine russische Gegenoffensive im Raum Kursk tatsächlich und so schnell starten würde, war alles andere als sicher und wurde von zahlreichen Beobachtern angezweifelt. Zunächst hatte sich nach der ukrainischen Offensive Anfang August die Frontlinie kaum verändert, und es wurde vermutet, dass Russland in der Defensive bleiben und den ukrainischen Brückenkopf sowohl von West als auch von Ost her nicht in die Zange nehmen wollte. Man blieb auf andere Frontabschnitte fokussiert, zumal die Hauptgefahr einer fortgesetzten ukrainischen Überraschungsoffensive gebannt war.

Schnell zeichnete sich ab, dass dieser Vorstoß sein mutmaßliches Maximalziel nicht erreichen würde – das Kursker Kernkraftwerk 40 Kilometer von der ukrainisch-russischen Grenze entfernt. Dementsprechend schienen sich russische Verbände darauf zu beschränken, den ukrainischen Brückenkopf zu isolieren und die Elitebrigaden im faktisch entstandenen Halbkessel bei klarer Luftüberlegenheit nach und nach aufzureiben.

Brennende Panzer

Im Gegensatz zu Kiew, das in Zeitnot ist, bis zu den US-Wahlen Anfang November klare Erfolge zu präsentieren, kann sich Moskau Zeit lassen. Das war der Eindruck vor einer Woche, inzwischen hat eine Gegenoffensive begonnen. Erkennbar überrascht zogen sich ukrainische Einheiten teils fluchtartig von der Westflanke zurück. Innerhalb kürzester Zeit ging ein Dutzend Orte wieder an die Russen. Das Taktieren um die Region Kursk ist damit jedoch nicht vorbei. Um die Initiative wieder an sich zu reißen, stießen neu verlegte ukrainische Sturmbrigaden in einem anderen Grenzabschnitt Richtung Gluschkowo vor, um in den Rücken der russischen Gegenoffensive zu kommen. Es zeigt sich ein lehrbuchreifes Taktieren, bei dem Offensiven und Gegenoffensiven wechseln.

Bemerkenswert beim ukrainischen Gluschkowo-Manöver ist, dass Kiew den Kursker Brückenkopf offenbar ohne Rücksicht auf Verluste halten will. Weitere Soldaten werden auf russisches Staatsgebiet verlegt, ausgestattet mit deutschen Panzern. Auf Sinnbilder bedacht, wird in der russischen Kriegsdebatte auf brennende Leopard-Panzer geblickt und an die Schlacht im Kursker Bogen vom Juli/August 1943 erinnert, als vor gut acht Jahrzehnten an nahezu gleicher Stelle deutsche „Panther“ und „Tiger“ ausbrannten und die Wehrmacht mit ihrer letzten Offensive auf sowjetischem Boden scheiterte.

Nach wie vor bleibt die Bewertung des ukrainischen Unternehmens Kursk international umstritten. Was auf Karten mit blauen und roten Pfeilen erfolgreiche Manöver abbildet, bleibt in der Realität ein riskantes Unterfangen. Ausgehend von den visuell bestätigten Treffern übersteigen die Verluste an westlicher Technik bei Kursk die aller anderen Frontabschnitte. Dies betrifft nicht nur klassische Offensivtechnik wie Kampf- und Schützenpanzer, sondern auch westliche Raketenartillerie und Flugabwehrsysteme, die nun im ukrainischen Grenzgebiet stehen. Um die vorrückenden Truppen zu unterstützen, platzierte der Generalstab in Kiew viel Material an der Grenze zur Kursker Region und machte es so zum Ziel für russische Gegenschläge.

Als Folge davon verliert die Ukraine bei ihrer Kursk-Operation Equipment, unter anderem HIMARS-Raketenwerfer. Statt bei den stets beklagten knappen Ressourcen die Front zu verkürzen, wurde sie ausgedehnt, mit dem Effekt, dass sich der Kreml wegen der Kursker Bresche im eigenen Verteidigungssystem nicht an den Verhandlungstisch gezwungen sah. Im Gegenteil, bereits laufende Sondierungen etwa über einen weiteren Gefangenenaustausch sind unterbrochen. Vor allem aber fehlen wegen der auf russischem Boden benötigten Eliteverbände Ressourcen, um die bröckelnde Front im Donbass zu halten. Das Verhältnis von Gewinn und Verlust spricht nicht für die Operation. Kleinstädte bei Kursk wie Sudscha oder Borki zu erobern und dafür Pokrowsk oder Torezk im Donbass zu verlieren, das ist für die ukrainische Armee ein maximal schlechter Deal.