Regierungserklärung von Olaf Scholz: Der Kanzler und die Zuversicht

Die Diagnose klingt schrecklich inflationär: die schwerste Krise der Ampel. Denn: Krise war eigentlich immer, seit SPD, Grüne und FDP regieren. Erst Corona, dann Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten. Das Heizdesaster, das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Und gewissermaßen als permanente Krisenkulisse die Epochenthemen: Klima, Migration, Rechtsdrift, die liberale Demokratie weltweit in der Defensive.

Eines macht diese Lage aber besonders, macht sie zur vielleicht letzten Krise dieser Kanzlerschaft. Mitten im Showdown um den kommenden Bundeshaushalt, kurz nachdem die Ampel bei der EU-Wahl abgesoffen ist, ein paar Wochen vor den Klatschen bei den Ost-Wahlen: Es ist sehr einsam geworden um Olaf Scholz.

Die SPD? Implodiert. Die Regierung? Zerstritten. Die eigene Fraktion? Auf Krawall gebürstet. Die Jugendorganisation? In offener Opposition. Die Wirtschaft mault. Und selbst die Arbeiter rennen der Ex-Arbeiterpartei in Scharen davon, rüber zur extremen Rechten.

Der Kanzler wirkt fahrig

Ein Kanzler in der Krise, ohne Machtzentrum, abgesehen vielleicht von ein paar unerschütterlichen Adjutanten. Seine Vorgängerin hatte, als eigentlich auch längst nichts mehr ging, wenigstens noch die Qualitätsmedienöffentlichkeit auf ihrer Seite. Die Methode Scholz, darauf zu setzen, dass Kompetenz und Unaufgeregtheit wertgeschätzt werden, und darauf, dass sich alle anderen im Zweifel besser blamieren, sie stößt an ihre Grenzen.  

Das ist also die Lage, in der Scholz am Mittwochmittag im Bundestag hinter das Rednerpult tritt und eine Regierungserklärung abgibt. Und tatsächlich, der Kanzler wirkt zunächst angegriffen, braucht eine ganze Weile, bis er sich in seinem Skript zurechtfindet, verspricht sich oft, lässt sich von Zwischenrufen leicht aus dem Tritt bringen. Immer wieder Gemurmel und Gelächter im Plenum.

Er springt von Krise zu Krise, Thema zu Thema, versucht, wie das bei solchen Reden üblich ist, das größere Bild zu zeichnen, das sonst hinter der Tagespolitik manchmal verschwimmt. Und, so viel vorweg: Er legt sich immerhin fest, noch im Juli will seine Regierung einen Haushalt vorlegen, verspricht, es werde dabei „keine Einschnitte geben bei der sozialen Gerechtigkeit, bei Gesundheit, Pflege oder Rente“.

Die EU-Wahl, die er ja zunächst gar nicht kommentieren wollte – die Bitte um ein Statement wies er Berichten zufolge mit einem „Nö“ ab –, nennt er nun einen „Einschnitt“. Corona, der Krieg: „Ständige Krisenerfahrungen haben Vertrauen erschüttert, das kann man gar nicht anders sagen“, glaubt Scholz. Er appelliert an den Optimismus-Muskel des Landes. Vielen Menschen sei die Zuversicht abhandengekommen. „Wir müssen dort, wo Zuversicht fehlt, sie neu begründen.“

„Das war falsch, feige und dieses Hauses unwürdig“

Zuversicht, das ist die Klammer seiner Rede. Er wechselt ins Ausland, zur EU, zur Nato, kommt zurück nach Deutschland, lobt den Boom bei Solar und Windkraft, um dem Land zu zeigen: Es gibt doch Grund zum Optimismus. „Was wir alle brauchen, ist Zuversicht und Selbstvertrauen.“

Folgt man Scholz‘ Analyse, wie er sie seit Längerem vorträgt, dann steckt Deutschland gerade in Turnaround-Jahren, soll heißen: Jetzt zwickt’s halt grad hier und dort, aber es wird besser werden. Dafür zieht er diesen Vergleich. Im Bundestag sagt er: „Ich zähle zu jenen, die lange keinen Sport gemacht haben.“ Der Anfang sei dann „mühselig“ gewesen. Aber irgendwann wurde es leichter. So sei das auch in Deutschland: Nach Jahrzehnten, in denen für die Fitness des Landes „nicht genug getan wurde, sorgt die jetzige Regierung dafür, dass die nötigen Entscheidungen getroffen werden“.

Die Koalition klatscht da stets artig mit. So richtig springt der Funke der Zuversicht vom Redepult bislang nicht über. An zwei Stellen versammelt sich allerdings die Mitte des Hauses laut und geschlossen hinter dem Kanzler. Es sind, sicher kein Zufall, jene, wo er selbstsicher und fehlerfrei spricht.

Nämlich mit Blick auf Russlands vermeintliches Friedensangebot an die Ukraine, das, so der Kanzler, ja sogar Gebietsverluste der Ukraine vorsehe an Stellen, wo noch gar keine russischen Truppen vorgedrungen sind. Wer glaube, „dass daraus ein dauerhafter Frieden in Europa wird, der muss schon sehr viel Russia Today schauen“. Leider wolle Russland keinen Frieden. Die Ukraine wolle „einen gerechten Frieden ohne Unterwerfung und Angst vor neuer Aggression“.

Applaus auch für den Kanzler, als er Putins politische Vorhut im Bundestag, ganz Links- und Rechtsaußen angreift. Scholz erinnert daran, wie die AfD-Fraktion und die Abgeordneten aus dem Bündnis Sahra Wagenknecht die Rede des ukrainischen Präsidenten im Bundestag schwänzten: „Das war falsch, feige und dieses Hauses unwürdig.“