Quarz-Bergwerk: Legen die Folgen von Hurrican Helene die globale Chipindustrie lahm? – WELT
Ein kleiner Ort in den Appalachen versorgt die globale Chipindustrie mit hochreinem Quarz. Doch Hurrikan Helene hat die Eisenbahnstrecken zerstört. Während die Branche den Schaden herunterspielt, sind Experten besorgt.
Zerstörte Brücken, unterspülte Straßen, ganze Ortskerne unter Wasser: Der Hurrikan Helene hat die Bergkette der Appalachen im Westen North Carolinas so hart getroffen wie noch kein Sturm zuvor. Die Bilder erinnern an die Ahrtalkatastrophe, nur ist eine deutlich größere Region betroffen. Mitten im Katastrophengebiet liegt das kleine Örtchen Spruce Pine, das von den Fluten von Helene besonders hart getroffen wurde – über 200 Liter pro Quadratmeter soll der Sturm laut lokalen Wettermeldungen hier abgeregnet haben.
In den deutschen Medien ist Helene längst vom US-Wahlkampf und dem Nahostkonflikt aus den Schlagzeilen verdrängt – doch das könnte sich ändern, denn die Fluten von Spruce Pine könnten sich mittelfristig auf die gesamte Weltwirtschaft auswirken.
Am Ortsrand von Spruce Pine bauen zwei Bergbau-Spezialfirmen einen der wichtigsten Rohstoffe der globalen Chipindustrie ab: Die Unternehmen Quartz Corporation und Sibelco teilen sich die Lizenz für den Abbau von hochreinem Quarz aus den Hügeln rund um Spruce Pine. Was auf den ersten Blick aussieht wie weißer Sand, ist einer der wertvollsten und gesuchtesten Rohstoffe der Chipbranche.
Um zu verstehen, welche Bedeutung das relativ kleine Bergwerk in Spruce Pine für Industriegiganten wie Intel, TSMC, Nvidia oder Samsung haben könnte, muss man zunächst die Produktionskette eines modernen Hochleistungschips rückwärts gehen: Chips werden hergestellt, indem Fertiger wie Intel oder TSMC nanometer-feine Leiterbahnen auf Scheiben aus monokristallinen Silizium, auf Wafer, belichten. Diese Wafer wiederum werden aus hochreinen gezüchteten Siliziumkristallen, den Ingots, geschnitten. Um die Siliziumkristalle zu züchten, muss hochreines Silizium in einem Tegel aus hochreinem Quarzglas geschmolzen werden.
Insbesondere die Tigel für die Schmelze und Zucht von hochreinen Ingots werden aus dem Quarzsand aus North Carolina hergestellt – mehr als 70 Prozent des weltweit dafür verwendeten Materials stammen aus der einen Bergflanke bei Spruce Pine. Nirgends sonst ist der Rohstoff derart rein gefunden worden.
Wer aktuell bei deutschen Unternehmen wie dem Silizium-Spezialisten Wacker Chemie oder dem Wafer-Hersteller Siltronic anruft, um nach einer Einschätzung der Folgen von „Helene“ auf die globale Chip-Industrie zu fragen, der wird beruhigt: Nein, noch ist kein Engpass bekannt, im Übrigen gebe es alternative Quellen für hochreines Silizium. „Unsere Einschätzung ist, dass es ausreichende Bestände in der relativ langen Wertschöpfungskette für das Material gibt“, kommentiert eine Sprecherin von Siltronic: „On Top haben auch wir Sicherheitsbestände auf Lager.“
Unabhängige Berater sind deutlich besorgter: „Natürlich gibt es Bestände in der Industrie, notfalls auch alternative chemische Verfahren, um Silizium zu reinigen. Doch insbesondere das Material für die Schmelztigel sowie für diverse Quarzglas-Sorten, die für Glasrohre in Chipfabriken benötigt werden, ist nur sehr begrenzt verfügbar und stammt entweder aus China oder aus Spruce Pine“, sagt ein Berater der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe im Gespräch mit WELT unter Bedingung von Anonymität. „Wir müssen da jetzt Panikmache vermeiden, dafür besteht kein Anlass.“
Doch der Spezialist warnte bereits vor acht Jahren vor den Folgen der wenigen Quellen für den hochreinen Quarzsand, beriet die Industrie zu Verfahren zur Reinigung von Material aus alternativen Abbaugebieten. Sein Fazit damals: „Aufgrund der strengsten Spezifikationen gibt es keinen Standard-Technologieweg, der für die Verarbeitung von Quarz zu hochreiner oder fortschrittlicher Qualität gilt.“
Mit anderen Worten: Vielleicht gibt es alternative Möglichkeiten zur Reinigung, doch die werden bislang nicht in industriellem Maßstab eingesetzt. Schließlich gab es immer den Sand aus North Carolina. Bis jetzt, bis Helene kam. Lässt sich das Material nicht länger abbauen, dann wird es knapp – wie schnell, kann aktuell niemand genau sagen.
In welchem Zustand die beiden Werke in Spruce Pine aktuell sind, dazu halten sich Quartz Corp und Sibelco aktuell noch bedeckt. „Der Betrieb unserer Einrichtungen wurde am 26. September in Vorbereitung auf den Sturm eingestellt und wir wissen nicht, wann er wieder aufgenommen wird“, schreibt Quartz Corp., und Sibelco kommentierte am 1. Oktober, vier Tage nach dem Sturm: „Seien Sie versichert, dass Sibelco aktiv mit Regierungsbehörden und Rettungs- und Bergungsmaßnahmen Dritter zusammenarbeitet, um die Auswirkungen dieses Ereignisses abzumildern und den Betrieb so schnell wie möglich wieder aufzunehmen. Unsere oberste Prioritäten bleiben die Gesundheit, Sicherheit und das Wohlbefinden unserer Mitarbeiter sowie die Gewährleistung der Sicherheit der Spruce-Pine-Anlage.“ Eine Versicherung zur schnellen Wiederaufnahme des Förderbetriebs klingt anders.
Warum, zeigt auch der Blick in soziale Medien: Die Bahnlinie des Betreibers CSX, über die der Quarzsand abgefahren wird, ist über weite Strecken unterbrochen. Die Bergkette der Appalachian Mountains in North Carolina ist eine der ärmsten Regionen der USA – hier, im einstigen Kohlerevier der Ostküste, ist die Verkehrsinfrastruktur veraltet, viele Brücken haben der Flut nicht standgehalten. Auch viele Straßen sind unterspült, das Örtchen selbst ist zerstört, lokale Anwohner berichten von Plünderungen. Selbst wenn die Maschinen im Werk selbst, das entlang des Ufers des lokalen Flusses North Toe River liegt, nicht direkt betroffen sind, ist Spruce Pine mindestens für Wochen außer Gefecht.
Fraglich ist nun, wie lange die globale Industrie ohne den Sand aus North Carolina auskommt. Laut Fachanalysen reicht der globale Wafer-Lagerbestand mindestens drei Monate. Die Herstellung neuer Wafer dauert jedoch Wochen bis Monate, allein die Zucht eines neuen monokristallinen Kristalls kann einen Monat dauern. Eventuell wird die globale Chip-Produktion wie auch der Neubau von Chip-Fabriken in einigen Monaten zumindest kurz ausgebremst, bis die Sand-Züge aus Spruce Pine wieder rollen.
Dann stünden auch Aktienwerte von Weltkonzernen wie Nvidia oder TSMC im Feuer. Sollte das Spruce-Pine-Bergwerk tatsächlich derart wichtig sein, könnte der Wiederaufbau mit Kapital aus der Chip-Industrie beschleunigt werden. Der Neubau selbst einer ganzen Bahnlinie im Expresstempo ist billiger, als Milliarden Dollar teure Chipfabriken in die Werksferien zu schicken.
Benedikt Fuest ist Wirtschaftskorrespondent für Innovation, Netzwelt und IT.
Source: welt.de