Proteste in dieser Türkei: Türkischer Frühling

Der Weg zum Eingang des großen Gerichtsgebäudes von Istanbul führt in diesen Tagen an grauen Polizeigittern entlang. Es geht um den großen Platz herum und dann, wie bei einem Schneckenhaus, in einer Kurve bis zur Sicherheitsschleuse. Am vergangenen Samstagabend warten vor dem Gericht ein paar Dutzend Menschen auf Neuigkeiten von ihren Kindern. Sie schauen durch die Gitterstäbe hinauf zu dem grauen Gebäudeklotz, lesen Textnachrichten, suchen nach Hinweisen, ob sich drinnen etwas tut.

Es ist der letzte Abend des Ramadan, das Zuckerfest beginnt, ein hoher muslimischer Feiertag. In der ganzen Türkei versammeln sich in diesen Tagen Familien, sie werden gemeinsam essen, reden und zur Ruhe kommen. Wie an Weihnachten in Deutschland. Die Mütter und Väter aber, die an diesem Abend vor dem Gerichtsgebäude warten, haben ungewisse Stunden vor sich. Werden sie das Fest mit ihren Lieben verbringen? Die meisten der Kinder waren zwei Tage zuvor festgenommen worden. Sie hatten vor einem Einkaufszentrum gegen die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu protestiert, viele von ihnen Studenten. Die Polizei hatte sie einzeln abgeführt. Ein Aufschrei folgte: Lasst die çocuklar frei – die Kinder! Kommen sie zum Fest wieder raus?