Präsidentschaftswahl in Moldau: Zwischen europäischer Annäherung und russischer Bedrohung
Am Sonntag wählen die Bürgerinnen und Bürger in der Republik Moldau ein neues Staatsoberhaupt. Gleichzeitig stimmen sie über ein EU-Referendum ab. Im Zentrum der Wahl steht die Frage, wohin das kleine Land sich bewegen will: zur Europäischen Union oder zu Russland. Eine proeuropäische Mehrheit scheint sicher – doch prorussische Separatisten wollen sich dem nicht widerstandslos anschließen. Was die Präsidentschaftswahl bedeutet und worum es beim Referendum zur EU in Moldau geht.
Wer kandidiert bei der Präsidentschaftswahl in Moldau?
Die aktuelle Präsidentin Maia Sandu strebt eine zweite Amtszeit an. Sie ist die einzige proeuropäische Kandidatin – und hat die besten Chancen auf das Präsidentenamt. Sandu ist Teil der liberalen Partidul Acțiune și Solidaritate (PAS, zu Deutsch: Partei der Aktion und Solidarität). Sie hatte bei der Präsidentschaftswahl 2020 zum ersten Mal gewonnen. Damals ging es allerdings weniger um geopolitische Fragen als mehr um den Kampf gegen die Korruption: Sandu hat den Ruf, nicht korrumpierbar zu sein. Sie hat seitdem für ihre proeuropäische Politik an Zustimmung gewonnen. Sie ist die erste Frau im Präsidentenamt. Unter ihr gewann ihre Partei auch die absolute Mehrheit bei den Parlamentswahlen, wodurch sie eigenständig Gesetze verabschieden kann.
Ihre Herausforderer sind unterschiedlich prorussisch. Der bekannteste Gegenkandidat ist Alexandr Stoianoglo. Er wird unterstützt von der prorussischen Partidul Socialiștilor din Republica Moldova (PSRM, zu Deutsch: Partei der Sozialisten der Republik Moldau), deren Vorsitzender Ex-Präsident Igor Dodon ist. Er war Generalstaatsanwalt, wurde jedoch wegen Korruptionsvorwürfen des Amtes enthoben. Stoianoglo spricht sich zwar nicht direkt gegen eine EU-Annäherung aus, streut aber Zweifel und wirbt für gute Beziehungen zu Russland.
Es gibt zudem mehrere ebenfalls prorussische Kandidaten, die ähnliche Ansichten haben. Insgesamt gibt es zwölf Bewerberinnen und Bewerber um das Präsidentenamt.
Sollten keine Kandidatin und kein Kandidat in der ersten Runde der Wahl eine absolute Mehrheit bekommen, gibt es zwei Wochen später einen zweiten Wahlgang. Im Februar 2025 soll zudem auch ein neues Parlament gewählt werden.
Welche Themen sind bei der Präsidentschaftswahl in Moldau zentral?
Es ist die erste Präsidentschaftswahl seit dem Überfall Russlands auf das Nachbarland Ukraine und der damit verbundenen akuten Bedrohung Moldaus. Zugleich ist es auch die erste, seit Moldau EU-Beitrittskandidat ist und gilt somit als richtungsweisend. Die Republik Moldau liegt im Südosten Europas, zwischen der Ukraine und Rumänien. Das Land hat nur gut 2,5 Millionen Einwohner und ist eines der ärmsten Länder Europas.
„Die Kandidatinnen und Kandidaten sind sehr beliebig in ihren Versprechungen, die sie an das Wahlvolk machen“, sagt Nadja Douglas, Expertin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin. Bei Außenpolitik, Wirtschaftsfragen oder Energiepreisen werde sehr viel versprochen, „obwohl die Republik Moldau immer noch eine parlamentarische
Demokratie ist, in der die Präsidentin oder der Präsident nur
eingeschränkte Befugnisse hat“.
Insgesamt sind innenpolitische Themen bei der Präsidentschaftswahl nach Einschätzung von Douglas aber zentraler. Thematisiert würden etwa auch polarisierende Themen wie Wertepolitik oder der Umgang mit LGBTIQ, sagt Douglas. Themen wie etwa die Inflation, die im vergangenen Jahr bei fast 30 Prozent lag, würden aber vergleichsweise wenig thematisiert.
Der Ukrainekrieg sei zwar wichtig, aber nicht das dominierende Thema, sagt Osteuropaexpertin Douglas. „Die Menschen haben sich wahrscheinlich daran gewöhnt, dass im Nachbarstaat Krieg geführt wird.“
Worum geht es beim EU-Referendum in Moldau?
Neben der Wahl stimmen die Menschen auch über ein EU-Referendum ab. Es geht um die Frage, ob die Integrationsziele in der EU in die Verfassung aufgenommen werden sollen. Präsidentin Sandu hofft, mit der parallel stattfindenden Abstimmung die Beliebtheit ihrer proeuropäischen Politik zu nutzen und so auch das Referendum zu verabschieden. Mit beidem hätte sie ein starkes Mandat für die EU-Beitrittsverhandlungen.
„Das EU-Referendum ist natürlich auch im Wahlkampf das dominierende Thema“, sagt Douglas. Es werde viel Desinformation durch prorussische Kräfte
betrieben, die viele negative Szenarien für den Fall eines EU-Beitritts aufbauten. Gleichzeitig sei die Zustimmung zum EU-Beitritt aber gestiegen.
Die Republik Moldau ist – wie die Ukraine – seit 2022 Beitrittskandidat für die EU. Dieser Schritt war auch eine Belohnung für die ambitionierte Reformpolitik unter Sandu. Die EU unterstützt bereits jetzt das kleine Land mit Finanzhilfen. So konnte sich Moldau beispielsweise schon weitgehend von russischem Gas und Stromlieferungen aus Transnistrien freimachen. Gerade seit 2022 sprechen sich immer mehr Menschen in Moldau aktiv für einen EU-Beitritt des Landes aus. Skepsis gibt es jedoch vor allem in ländlichen Gebieten. Der EU-Beitritt wird als Eliteprojekt gesehen, die Anforderungen der EU für einen Beitritt als zu hoch.
Es braucht 33 Prozent Wahlbeteiligung, damit das Referendum gültig
ist. Dann müssen im Parlament allerdings noch zwei Drittel der Abgeordneten
zustimmen, dass die EU-Integration in die Verfassung aufgenommen wird. Diese Mehrheit stellt die Regierungspartei bisher jedoch nicht.
Was beeinflusst das Wahlverhalten in Moldau?
„Da diese Wahl als Schicksalswahl tituliert wurde und vielen klar ist, dass das eine sehr entscheidende Wahl ist, nehme ich an, dass viele Leute zur Wahl gehen werden – auch weil sie am Referendum teilnehmen wollen“, sagt Douglas. Die Wahlbeteiligung dürfte also höher ausfallen als bei vergangenen Wahlen, auch wenn der Sieg der proeuropäischen Kräfte als wahrscheinlich gilt.
Gleichzeitig ist die Bevölkerung uneinig. „Die Stimmung ist sehr gespalten, sehr aufgeheizt. Gerade jetzt, in der Endphase des Wahlkampfs, werden die prorussischen Kräfte immer aggressiver und aktiver, die Desinformationskampagnen nehmen zu“, sagt Douglas. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass es kurz vor der Wahl noch zu Zwischenfällen komme. Aber alles in allem sollte die Wahl friedlich verlaufen.
Demokratisch dürfte die Wahl ebenfalls werden. „Durch die Beeinflussung gerade von vulnerablen, ärmeren Wählerschichten, viel Stimmenkauf durch die prorussischen Kräfte wird es natürlich massive Unregelmäßigkeiten geben“, sagt Expertin Douglas. Die Wahlkommission bemühe sich aber um Einhaltung demokratischer Standards, „sodass man von echten Wahlen sprechen kann“. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stufte frühere Wahlen meist als insgesamt weitgehend demokratisch ein.
Die Diaspora ist ein wichtiger Faktor bei der Wahl – und zwar für die proeuropäischen Kräfte. „Die Diaspora hat bei der letzten Wahl eine entscheidende Rolle gespielt, weil sie überwiegend für Maia Sandu gestimmt hat“, sagt Douglas. „Doch viele sind enttäuscht, weil der Reformprozess stagniert und viele Erwartungen sich nicht realisiert hätten.“
Wichtig ist auch die Separatistenregion Transnistrien. Die prorussische Region ist weitgehend geschlossen gegen einen EU-Beitritt. Russland ist noch immer Schutzmacht über das Separatistengebiet im Osten des Landes – obwohl die Republik Moldau seit 1991 unabhängig ist.
Was bedeutet der Ausgang der Wahl?
Sollte die Wahl tatsächlich zugunsten der proeuropäischen Kräfte ausgehen, würde das ein neues Kapitel für das Land bedeuten. „Danach fängt die Arbeit erst richtig an“, sagt Douglas. „Die Regierung muss dann versuchen, die Bevölkerung hinter diesem Projekt zu vereinen, auch die Bevölkerungsteile, die skeptisch oder ablehnend gegenüber einem EU-Beitritt sind.“
Natürlich könne das auch zu einer noch tieferen Spaltung in der Bevölkerung führen, die Russland auch weiter anheizen könnte, sagt Douglas. Die russische Regierung will ihren Einfluss in Moldau nämlich ausbauen. „Es ist nicht davon auszugehen, dass Einflussversuche und hybride Kriegsführung in Moldau nach der Wahl plötzlich aufhören“, sagt Douglas.
Welche Folgen hat der Ukrainekrieg für Moldau?
Im Zuge des Überfalls Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 rückte auch Moldau ins Bewusstsein Europas – und die Bedrohung, der das Land ausgesetzt ist. Durch das Separatistengebiet Transnistrien an der Grenze zur Ukraine steht Moldau seit seiner Unabhängigkeit im Konflikt mit Russland. In dem Gebiet sind auch russische Soldaten stationiert.
„Eine unmittelbare Gefahr einer Einbeziehung Transnistriens in den Krieg besteht zurzeit nicht mehr so akut“, sagt Douglas. „Auch weil deutlich wurde, dass selbst die transnistrischen De-facto-Eliten diesen Krieg nicht unbedingt befürworten.“ 2022 und 2023 habe es mehrfach Raketeneinschläge auf moldauischem sowie Anschläge und Provokationen auf transnistrischem Gebiet gegeben. Aber das sei in den vergangenen Monaten nicht mehr vorgekommen, sagt Douglas. Auch das Thema ukrainischer Flüchtlinge sei nicht mehr so dominant wie in den vergangenen Jahren.
Trotzdem sind die Menschen eng mit der Ukraine verbunden. „Viele wissen natürlich, dass Moldaus Schicksal sehr, sehr eng verknüpft ist mit dem Ausgang dieses Krieges“, sagt Douglas. „Der Ausgang des Ukrainekrieges bedingt im Grunde auch die Zukunft dieses Landes, denn es ist eingekeilt zwischen der Ukraine und Rumänien.“ Sollte sich Russland die Ukraine teilweise einverleiben oder die Ukraine keine Unterstützung durch den Westen mehr erhalten, dann sei das Schicksal beider Staaten sehr unklar. Die russische Bedrohung, die eine historische Bürde Moldaus ist, sei wieder akut.
Am Sonntag wählen die Bürgerinnen und Bürger in der Republik Moldau ein neues Staatsoberhaupt. Gleichzeitig stimmen sie über ein EU-Referendum ab. Im Zentrum der Wahl steht die Frage, wohin das kleine Land sich bewegen will: zur Europäischen Union oder zu Russland. Eine proeuropäische Mehrheit scheint sicher – doch prorussische Separatisten wollen sich dem nicht widerstandslos anschließen. Was die Präsidentschaftswahl bedeutet und worum es beim Referendum zur EU in Moldau geht.